Franziskus: „Wir müssen diesen entscheidenden Moment nutzen“
Anne Preckel und Stefan Kempis – Vatikanstadt
„Die Corona-Pandemie hat uns an einen Scheideweg geführt – wir müssen diesen entscheidenden Moment nutzen“, schreibt er in einer Botschaft, die der Vatikan am Dienstagmittag veröffentlichte. Der Weltgebetstag ist zugleich Auftakt der sogenannten Schöpfungszeit, in der Christen in der ganzen Welt ihren Einsatz für das „Gemeinsame Haus“ erneuern.
In seiner Botschaft beschreibt der Papst die aktuelle Corona-Krise als Einschnitt, der auch neue Wege aufgezeigt habe. Natur und Umwelt wurden weniger belastet, „einfachere und nachhaltigere Lebensstile“ seien wieder neu entdeckt worden. Dies biete Chancen zur Umkehr, schreibt der Papst: „Die Krise hat uns in einem gewissen Sinn die Möglichkeit gegeben, neue Lebensweisen zu entwickeln. Man hat gesehen, wie sich die Erde erholen kann, wenn wir sie zur Ruhe kommen lassen. Die Luft ist sauberer geworden, das Wasser klarer, Tierarten sind an viele Orte zurückgekehrt, von denen sie verschwunden waren.“
Erneut kritisiert der Papst die Ausbeutung von Natur und Umwelt durch das globale Wirtschaftssystem und konsumorientierte Lebensweisen. Unser Lebensstil bringe den Planeten „hart an seine Grenzen“, formuliert der Papst, „der ständige Wachstumsdruck und der unaufhörliche Kreislauf von Produktion und Konsum erschöpfen die Umwelt. Die Wälder sterben, die Böden erodieren, die Felder verschwinden, die Wüsten breiten sich immer weiter aus, die Meere versauern und die Stürme werden immer intensiver: die Schöpfung stöhnt!“
Die Pandemie habe uns an einen Scheideweg geführt, so Franziskus weiter. „Wir müssen diesen entscheidenden Moment nutzen, um überflüssige und zerstörerische Aktivitäten und Ziele aufzugeben und Tugenden, Beziehungen und schöpferische Initiativen zu pflegen. Wir müssen unsere Gewohnheiten in Sachen Energieverbrauch, Konsum, Transport und Ernährung auf den Prüfstand stellen. Wir müssen unsere Volkswirtschaften von ihren nicht notwendigen und schädlichen Aspekten befreien und für den Handel, die Produktion und den Transport von Waren ertragreiche Möglichkeiten entwickeln."
Eine Anspielung auf Greta Thunberg
Mit deutlichen Worten fordert der Papst in seiner Botschaft einen Schuldenerlass für die armen Länder. „Wir dürfen nämlich“, so argumentiert er, „die Geschichte der Ausbeutung der Südhemisphäre nicht außer Acht lassen, die enorme ökologische Schulden verursacht hat, vor allem durch den Raubbau von Ressourcen und die exzessive Müllentsorgung in einer Umwelt, die allen gehört.“ Es sei daher „Zeit für eine Gerechtigkeit im Sinne einer Wiedergutmachung“. Bei Entwicklungs- und Wiederaufbauhilfen sollten die soziale und die ökologische Komponente immer mitberücksichtigt werden.
Festhalten am Pariser Klimaziel
Einmal mehr verlangt Franziskus, der 2015 die Umwelt- und vorgelegt hat, stärkere Anstrengungen beim Klimaschutz. Das Ziel müsse dabei, wie beim Pariser Klimagipfel 2015 vereinbart, weiter darin bestehen, „den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur unter einer Schwelle von 1,5°C zu halten“. „Die Zeit läuft uns davon, wie uns unsere Kinder und Jugendlichen in Erinnerung rufen“, mahnt der Papst mit einem Seitenblick auf die von Greta Thunberg angestoßene Bewegung.
„In Vorbereitung auf den wichtigen Klimagipfel in Glasgow, im Vereinigten Königreich (COP 26), lade ich alle Länder ein, ehrgeizigere nationale Ziele zur Reduzierung der Emissionen zu verabschieden.“ Auch vom Biodiversitätsgipfel (COP 15) in Kunming (China) erwartet sich der Papst viel: Er solle „ein Wendepunkt auf dem Weg zur Wiederherstellung der Erde“ werden.
Die ökumenische „Schöpfungszeit“, die die christlichen Kirchen vom 1. September bis 4. Oktober begehen, wünscht sich Franziskus als „eine Zeit der Umkehr und des In-sich-Gehens“. „Wir haben die Bande gebrochen, die uns mit dem Schöpfer, mit anderen Menschen und mit der übrigen Schöpfung verbunden haben. Diese beschädigten Beziehungen bedürfen der Heilung…“
Versöhnung mit Gott, Versöhnung mit der Natur, Versöhnung mit den Mitmenschen, vor allem den Armen und Verwundbaren – so lautet das von Franziskus gesteckte Ziel. Er lädt dazu ein, „wieder auf die Erde zu hören“ und „uns daran zu erinnern, dass wir ein Teil und nicht etwa die Herren des großen Lebenszusammenhanges sind“. Und er erinnert – wie schon bei der Amazoniensynode im Vatikan vom Herbst 2019 – an die Rechte der indigenen Völker und Gemeinschaften.
Ein revolutionäres Zitat
Die Papstbotschaft schließt mit einem Zitat aus den Psalmen: „Sende deinen Geist, Herr, und erneuere das Antlitz der Erde“ (vgl. Ps 104,30). Mit diesem Zitat schloss auch der hl. Papst Johannes Paul II. im Sommer 1979 seine . Sie wurde von seinen polnischen Landsleuten damals, mitten im Kalten Krieg, als Signal zum Widerstand gedeutet und führte Ende August 1980, vor genau zwanzig Jahren, zu den Streiks auf der Danziger Leninwerft, zur Gründung der freien Gewerkschaft „Solidarnoscz“ – und mit der Zeit zum Sturz der kommunistischen Systeme.
Einen ähnlichen Wandel für die Schöpfung und das Klima wünscht sich heute auch Papst Franziskus.
(vatican news)
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