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Wortlaut: Papstrede an Religionsvertreter in Thailand

Wir dokumentieren hier im Wortlaut und in amtlicher deutscher Übersetzung die Ansprache von Papst Franziskus bei der Begegnung mit Vertretern christlicher Kirchen und Führern anderer Religionen an der Chulalongkorn-Universität in Bangkok, Thailand.

ANSPRACHE DES HEILIGEN VATERS

Begegnung mit den christlichen und andersgläubigen Verantwortungsträgern

 

Bangkok, Universität Chulalongkorn, 22. November 2019

Herr Kardinal,

Brüder im Bischofsamt,

geschätzte Vertreter der verschiedenen religiösen Bekenntnisse,

Vertreter der akademischen Gemeinschaft,

liebe Freunde,

danke für den herzlichen Empfang. Ich danke Bischof Sirisut und Dr. Bundit Eua-arporn für ihre freundlichen Worte. Ich bin dankbar für die Einladung zum Besuch dieser berühmten Universität; ich danke den Studenten, den Dozenten und den Angestellten, die diesem Haus des Studiums Leben verleihen, und ebenso für die mir angebotene Möglichkeit zum Treffen mit Vertretern der verschiedenen christlichen Gemeinschaften und mit den Verantwortlichen anderer Religionen, die uns durch ihre Anwesenheit ehren. Ich bringe Ihnen meine Dankbarkeit für Ihr Kommen sowie meine besondere Wertschätzung und Anerkennung für das kostbare kulturelle Erbe und die geistlichen Traditionen zum Ausdruck, denen Sie angehören und die Sie bezeugen.

Vor einhundertzweiundzwanzig Jahren – 1897 – besuchte König Chulalongkorn, dessen Namen diese erste Universität trägt, Rom und erhielt eine Audienz bei Papst Leo XIII.: Es war das erste Mal, dass ein nichtchristliches Staatsoberhaupt im Vatikan empfangen wurde. Die Erinnerung an diese wichtige Begegnung wie auch an seine Regierungszeit, die sich unter vielen anderen Vorzügen durch die Abschaffung der Sklaverei auszeichnete, fordert uns heraus und ermutigt uns dazu, uns mit Entschiedenheit den Weg des Dialogs und des gegenseitigen Verständnisses zu eigen zu machen. Und dies sollte in einem Geist brüderlicher Solidarität geschehen, die hilft, den vielen Sklavereien ein Ende zu setzen, die in unseren Tagen andauern – ich denke insbesondere an die Geißel des Menschenhandels.

Die Notwendigkeit der gegenseitigen Anerkennung und Wertschätzung wie auch die Zusammenarbeit unter den Religionen ist für die heutige Menschheit dringender denn je; die Welt von heute steht vor komplexen Problemstellungen wie der wirtschaftlich-finanziellen Globalisierung und ihren schwerwiegenden Konsequenzen für die Entwicklung der einzelnen Gesellschaften; es bestehen nebeneinander die raschen Fortschritte, die scheinbar eine bessere Welt fördern, und die tragische Fortdauer ziviler Konflikte im Zusammenhang mit der Migration, Flüchtlingen, Hungersnöten und kriegerischen Auseinandersetzungen, aber auch mit den Umweltschäden und der Zerstörung unseres gemeinsamen Hauses. All diese Situationen mahnen uns und erinnern uns daran, dass keine Region oder kein Bereich unserer Menschheitsfamilie in der Meinung leben oder die Zukunft gestalten kann, als ob man gegenüber den anderen getrennt und immun wäre. All diese Situationen wiederum verlangen von uns den Mut, neue Formen zum Aufbau der heutigen Geschichte zu ersinnen, ohne dabei andere herabzusetzen oder zu schmähen.

„Die Epochen sind vorbei, in denen das Denken einer zeitlich-räumlichen Abschottung vorherrschen und sich als wirksamer Mechanismus zur Lösung der Konflikte behaupten konnte“

 

Die Epochen sind vorbei, in denen das Denken einer zeitlich-räumlichen Abschottung vorherrschen und sich als wirksamer Mechanismus zur Lösung der Konflikte behaupten konnte. Heute ist es an der Zeit, sich kühn Folgendes vorzustellen: die Logik der Begegnung und des gegenseitigen Dialogs als Weg, die gemeinsame Zusammenarbeit als Verhaltensregel und das gegenseitige Kennenlernen als Methode und Kriterium. Und auf diese Weise ist ein neues Muster zur Lösung der Konflikte anzubieten, zum Verständnis zwischen den Personen beizutragen und die Schöpfung zu bewahren. Ich denke, dass in diesem Bereich die Religionen wie auch die Universitäten viel beizusteuern und anzubieten haben, ohne dabei ihre eigenen Merkmale und besonderen Gaben aufgeben zu müssen; alles, was wir in diesem Sinn tun, ist ein bedeutender Schritt, um den jüngeren Generationen ihr Recht auf die Zukunft zu gewährleisten, und wird auch ein Dienst für die Gerechtigkeit und den Frieden sein. Nur so werden wir ihnen die notwendigen Werkzeuge bereitstellen, damit sie selbst die zentralen Personen bei der Gestaltung nachhaltiger und inklusiver Lebensstile seien.

Diese Zeiten verlangen von uns, dass wir feste Grundlagen schaffen, die im Respekt und der Anerkennung der Würde der Personen verankert sind sowie in der Förderung eines ganzheitlichen Humanismus, der den Schutz unseres gemeinsamen Hauses zu erkennen und einzufordern vermag; ferner in einem verantwortungsvollen Umgang, der die Schönheit und den Reichtum der Natur als ein für die Existenz wesentliches Recht bewahrt. Die großen religiösen Traditionen unserer Welt zeugen von einem transzendenten und weithin gemeinsamen geistigen Erbe, das solide Beiträge in diesem Sinn anbieten kann, wenn wir nicht die Begegnung miteinander scheuen.

Wir alle sind gerufen, nicht nur auf die Stimme der Armen in unserem Umfeld zu achten: die Ausgegrenzten, die Unterdrückten, die indigenen Völker und die religiösen Minderheiten, sondern auch keine Angst zu haben, Foren zu bilden – wie sie sich zaghaft schon entwickeln –, in denen wir uns vereinen und gemeinsam arbeiten können. Zugleich sind wir aufgerufen, für die gebotene Verteidigung der Menschenwürde und Achtung des Rechts auf Gewissens- und Religionsfreiheit einzutreten und Räume zu schaffen, in denen etwas frische Luft weht; dabei dürfen wir gewiss sein, dass »nicht alles verloren [ist], denn die Menschen, die fähig sind, sich bis zum Äußersten herabzuwürdigen, können sich auch beherrschen, sich wieder für das Gute entscheiden und sich bessern, über alle geistigen und sozialen Konditionierungen hinweg, die sich ihnen aufdrängen« (Enzyklika Laudato si’, 205).

Hier in Thailand, einem Land großer Naturschönheiten, möchte ich ein Unterscheidungsmerkmal hervorheben, das ich als entscheidend und gewissermaßen als einen Teil jener Reichtümer betrachte, die zu „exportieren“ und mit anderen Regionen unserer Menschheitsfamilie zu teilen sind. Sie schätzen und sorgen sich um Ihre alten Menschen, sie achten sie und geben ihnen einen bevorzugten Platz. Denn sie stellen Ihnen die notwendige Verwurzelung sicher, damit Ihr Volk nicht im Nachlaufen hinter gewissen Slogans die Kraft verliert, die schließlich die Seele der neuen Generationen entleeren und gefährden. Mit der wachsenden Tendenz, die Werte und die lokalen Kulturen durch das Aufzwängen eines einzigen Modells in Verruf zu bringen, »erleben wir eine Tendenz zur „Homogenisierung“ der jungen Menschen, welche die ihrem Herkunftsort eigenen Unterschiede auflösen und sie in manipulierbare serienmäßig hergestellte Individuen verwandeln will. So entsteht eine kulturelle Zerstörung, die so schwerwiegend ist wie das Aussterben der Tier- und Pflanzenarten« (Apostolisches Schreiben Christus vivit, 186). Lassen Sie die Jugendlichen weiter den kulturellen Schatz der Gesellschaft entdecken, in der sie leben. Den jungen Menschen helfen, den lebendigen Reichtum der Vergangenheit zu entdecken und sich in Erinnerung an die eigenen Wurzeln zu begegnen, ist für ihre Weiterentwicklung und die Entscheidungen, die sie treffen müssen, ein wahrer Akt der Liebe ihnen gegenüber (vgl. ebd., 187).

Diese ganze Sicht bezieht notwendigerweise die Rolle der Bildungseinrichtungen wie diese Universität mit ein. Die Forschung und das Wissen helfen, neue Wege zu eröffnen, um die Ungleichheit unter den Personen zu vermindern, die soziale Gerechtigkeit zu stärken, die menschliche Würde zu verteidigen, neue Formen der friedlichen Lösung von Konflikten zu suchen und die Mittel zu bewahren, die unserer Erde Leben geben. Mein Dank gilt in besonderer Weise den Erziehern und Akademikern dieses Landes, die durch ihre Arbeit den heutigen und künftigen Generationen die Fähigkeiten und vor allem die Weisheit uralter Herkunft vermitteln, die es ihnen ermöglichen werden, an der Förderung des Gemeinwohls der Gesellschaft mitzuwirken.

Liebe Brüder und Schwestern, wir alle sind Glieder der Menschheitsfamilie und jeder an seinem Platz ist eingeladen, sich aktiv und direkt am Aufbau einer Kultur zu beteiligen, die auf gemeinsamen Werten ruht, die zur Einheit, zum gegenseitigen Respekt und zum harmonischen Zusammenleben führen mögen.

Einmal mehr danke ich Ihnen für Ihre Einladung und Ihre Aufmerksamkeit. Ich bete und bringe meine besten Wünsche für Ihre Bemühungen zum Ausdruck, die darauf ausgerichtet sind, der Entwicklung Thailands in Wohlstand und Frieden zu dienen. Auf Sie hier Anwesende, auf Ihre Familien und auf die, denen Sie dienen, rufe ich den göttlichen Segen herab. Und ich bitte Sie, es auch für mich zu tun. Danke!

(vatican news)

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22. November 2019, 08:34