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Chrisam-Messe im Petersdom Chrisam-Messe im Petersdom 

Predigttext: „Niemals den Kontakt mit den Leuten verloren"

Jesus macht sich im Evangelientext zur Chrisam-Messe die Verheißungen Jesaja zu eigen, Papst Franziskus sprach in seiner Predigt darüber, was das genau bedeute. Die genannten Gruppen seien erst einmal nur allgemein, in seinem Leben aber sei Jesus ihnen dann mit Namen und Gesicht begegnet.

Predigt von Papst Franziskus bei der Chrisam-Messe am Gründonnerstag 2019

            Der soeben gehörte Abschnitt aus dem Lukasevangelium lässt uns die Emotion jenes Moments miterleben, in dem der Herr sich die Weissagung des Propheten Jesaja zu eigen macht, als er sie feierlich inmitten seiner Leute vorliest. Die Synagoge war voll von Angehörigen, Nachbarn, Bekannten, Freunden … und nicht so Befreundeten. Und alle richteten ihre Blicke auf ihn. Die Kirche richtet immer ihre Blicke auf Jesus, den Gesalbten, den der Geist sendet, um das Volk Gottes zu salben.

            Die Evangelien zeigen uns oft dieses Bild des Herrn inmitten der Menge, umgeben und bedrängt von den Leuten, die ihm die Kranken bringen, die ihn bitten, die bösen Geister auszutreiben, die seine Lehren hören und mit ihm gehen. »Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie und sie folgen mir« (Joh 10,27).

            Der Herr hat niemals den direkten Kontakt mit den Leuten verloren; er hat die Gnade der Nähe zum Volk in seiner Gesamtheit und zu jedem Menschen in jenen Volksmengen bewahrt. Das erleben wir in seinem öffentlichen Leben, und so war es auch am Anfang: Der Glanz des Kindes zog sanft Hirten, Könige und so alte Träumer wie Simeon und Hanna an. Und so war es auch am Kreuz: Sein Herz zog alle zu sich (vgl. Joh 12,32) – die Veronikas, die Simons von Kyrene, Verbrecher, Hauptleute …

            Der Begriff „Menge“ ist nicht abwertend. Vielleicht mag es sich für manches Ohr nach anonymer, undifferenzierter Masse anhören … Doch im Evangelium sehen wir, dass sich die Menge verwandelt, wenn sie mit dem Herrn – der sich in ihr wie ein Hirte in der Herde verhält – in wechselseitige Beziehung tritt. Im Gemüt der Leute erwacht das Verlangen, Jesus zu folgen; es kommt Bewunderung auf und die Unterscheidung (discernimento) nimmt Gestalt an.

            Ich möchte mit euch über diese drei Gnaden nachdenken, welche die Beziehung zwischen Jesus und der Menge kennzeichnen.

Die Gnade der Nachfolge

            Lukas spricht davon, dass viele Menschen ihn suchten (vgl. Lk 4,42), ihn begleiteten (vgl. Lk 14,25), sich um ihn drängten, ihn einzwängten (vgl. Lk 8,42-45) und große Volksmengen zusammenkamen, um ihn zu hören (vgl. Lk 5,15). Dieses Nachfolgen der Menschen geht über jedes Kalkül hinaus; es ist ein bedingungsloses Nachfolgen, voller Zuneigung. Es steht im Kontrast zur Kleinlichkeit der Jünger, deren Haltung gegenüber den Menschen fast an Grausamkeit grenzt, als sie dem Herrn vorschlagen, die Leute wegzuschicken, damit sie sich etwas zu essen suchen. Hier – so glaube ich – begann der Klerikalismus: in diesem Willen, sich die Speise zu sichern, es sich selbst bequem zu machen und sich dabei um die Leute nicht zu kümmern. Der Herr zerschlägt diese Versuchung. »Gebt ihr ihnen zu essen!« (Mk 6,37) war die Antwort Jesu: „Kümmert euch um die Leute!“

Die Gnade der Bewunderung

            Die zweite Gnade, welche die Menge empfängt, wenn sie Jesus folgt, besteht in einer Bewunderung voll von Freude. Die Leute staunen über Jesus (vgl. Lk 11,14), über seine Wunder, doch vor allem über seine Person. Den Menschen gefällt es so sehr, ihn auf der Straße zu begrüßen, sich von ihm segnen zu lassen und ihn selig zu preisen, so wie jene Frau aus der Menge, die seine Mutter selig nannte (vgl. Lk 11, 27). Und der Herr bewunderte seinerseits den Glauben der Menschen, er freute sich darüber und ließ keine Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen.

Die Gnade der Unterscheidung

            Die dritte Gnade, welche die Leute empfangen, ist die der Unterscheidung. »Aber die Leute erfuhren davon [wohin Jesus gegangen war] und folgten ihm« (Lk 9,11). Es »war die Menge voll Staunen über seine Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat« (Mt 7,28-29; vgl. Lk 5,26). Christus, das fleischgewordene Wort Gottes, erweckt im Volk dieses Charisma der Unterscheidung. Es handelt sich sicherlich nicht um ein Unterscheidungsvermögen von Spezialisten in Diskussionen. Wenn die Pharisäer und die Schriftgelehrten mit Jesus diskutierten, wurde den Menschen seine Vollmacht deutlich: die Kraft seiner Lehre, die zu den Herzen vorzudringen vermochte, und die Tatsache, dass die bösen Geister ihm gehorchten; und dass er ferner für einen Augenblick die sprachlos zurückließ, die verfängliche Gespräche anfingen – das Volk genoss dies.

            Vertiefen wir ein wenig diese Sicht des Evangeliums bezüglich der Volksmenge. Lukas zeigt vier große Gruppen, welche vorzugsweise die Empfänger der Salbung des Herrn sind: die Armen, die Kriegsgefangenen, die Blinden und die Zerschlagenen. Er nennt sie im Allgemeinen. Doch dann sehen wir mit Freude, dass im Laufe des Lebens des Herrn diese Gesalbten ein Gesicht und eigene Namen bekommen. Wie die Salbung mit Öl auf einem Körperteil aufgetragen wird und die wohltuende Wirkung sich über den gesamten Körper erstreckt, so greift der Herr die Verheißung des Propheten Jesaja auf und benennt verschiedene „Mengen“, zu denen der Geist ihn sendet. Er folgt dabei der Dynamik einer – wir könnten es so bezeichnen – „inklusiven Präferenz“: die Gnade und das Charisma, die einem Menschen oder einer Gruppe im Besonderen gegeben werden, kommen wie jedes Handeln des Geistes allen zugute.

            Die Armen (ptochoi) sind jene Gebeugten wie die Bettler, die sich bücken, um etwas zu erbitten. Aber arm (ptoché) ist auch die Witwe, die mit ihren Fingern die zwei kleine Münzen „salbt“, die alles waren, was sie an jenem Tag zum Leben besaß. Die Salbung jener Witwe, um das Almosen zu geben, entgeht der Aufmerksamkeit aller; nur Jesus bleibt sie nicht verborgen, der voll Güte auf das Kleine sieht. Mit ihr kann der Herr seine Sendung in Fülle verwirklichen, das Evangelium den Armen zu verkünden. Es sind paradoxerweise die Jünger, die diese gute Nachricht hören, dass es solche Menschen gibt. Sie, die großherzige Frau, nimmt nicht einmal wahr, dass „sie im Evangelium auftaucht“ (das heißt, dass ihre Geste im Evangelium erwähnt wird): die frohe Botschaft, dass ihre Handlungen im Reich Gottes „Gewicht haben“ und mehr als alle Reichtümer der Welt zählen, erlebt sie in ihrem Inneren wie viele Heilige „von nebenan“.

            Die Blinden werden durch eine der sympathischsten Gestalten des Evangeliums repräsentiert, durch Bartimäus (vgl. Mk 10,46-52), den blinden Bettler, der seine Sehkraft wiedererlangte und von da an nur noch Augen dafür hatte, Jesus entlang des Weges zu folgen. Die Salbung des Blicks! Unser Blick, dem die Augen Jesu jene Strahlkraft wiedergeben können, die allein seine unentgeltliche Liebe geben kann, jene Strahlkraft, die uns tagtäglich durch die eigennützigen oder banalen Bilder geraubt wird, welche die Welt überschwemmen.

            Lukas bezeichnet die Zerschlagenen (tethrausmenous) mit einem Ausdruck, der mit dem Wort „Trauma“ zusammenhängt. Das ruft sofort das Gleichnis in Erinnerung, das vielleicht das beliebteste des Evangelisten Lukas ist, nämlich das Gleichnis des Barmherzigen Samariters. Der Samariter salbt die Wunden (traumata: Lk 10,34) mit Öl und verbindet sie. Es sind die Wunden des Mannes, der halbtot geschlagen wurde und am Straßenrand lag. Die Salbung des verwundeten Fleisches Christi! In dieser Salbung liegt das Heilmittel für alle Traumata, die Menschen, Familien und ganze Völker wie Ausgeschlossene und Überflüssige am Rand der Geschichte unbeteiligt lassen.

            Die Gefangenen sind die Kriegsgefangenen (aichmalotos), jene, die mit der Lanzenspitze (aichmé) abgeführt wurden. Jesus benutzt dann diesen Ausdruck, als er sich auf die Gefangenschaft und die Verschleppung aus Jerusalem, seiner geliebten Stadt, bezieht (Lk 21,24). Heute werden die Städte nicht so sehr von Lanzenspitzen eingeschlossen, sondern mit viel subtileren Mitteln der ideologischen Kolonisierung. Nur die Salbung der eigenen Kultur, die durch das Werk und die Kunst unserer Vorfahren geschmiedet wurde, kann unsere Städte von diesen neuen Sklavereien befreien.

            Was uns betrifft, liebe Mitbrüder im priesterlichen Dienst, dürfen wir nicht vergessen, dass unsere Vorbilder im Evangelium diese „Leute“ sind, diese Menge mit den konkreten Gesichtern, die durch die Salbung des Herrn wiederaufgerichtet und belebt werden. Es sind jene Menschen, die die Salbung des Geistes an uns vervollständigen und wirklich werden lassen; an uns, die wir gesalbt wurden, um zu salben. Mitten unter ihnen wurden wir genommen, und ohne Furcht können wir uns mit diesen einfachen Leuten identifizieren. Jeder von uns hat seine eigene Geschichte. Ein wenig Erinnerung daan wird uns sehr gut tun. Sie sind das Bild unserer Seele und das Bild der Kirche. Jeder verkörpert das eine Herz unseres Volkes.

            Wir Priester sind der Arme. Und wir möchten das Herz jener armen Witwe haben, wenn wir Almosen geben und die Hand des Bettlers berühren und ihm in die Augen schauen. Wir Priester sind Bartimäus, und jeden Morgen beten wir beim Aufstehen: „Herr, ich möchte sehen können!“ Wir Priester sind, in manchem Aspekt unserer Sünde, der Verwundete, der von den Räubern halbtot geschlagen wurde. Und wir, wir als Erste, möchten uns den mitfühlenden Händen des Barmherzigen Samariters übergeben, um dann mit unseren Händen Mitgefühl mit den anderen zu haben.

            Ich bekenne euch, dass ich bei Firmungen und Weihen gerne reichlich Chrisam auf die Stirn und die Hände derer, die gesalbt werden, auftrage. Wenn man reichlich salbt, macht man die Erfahrung, dass sich dort auch die eigene Salbung erneuert. Das will ich sage: Wir sind nicht Automaten für die Ausgabe von Öl in Flaschen. Wir sind gesalbt, um selbst zu salben. Wir salben, wenn wir uns selbst ausspenden, indem wir unsere Berufung und unser Herz verschenken. Während wir salben, werden wir erneut durch den Glauben und durch die Zuneigung unseres Volkes gesalbt. Wir salben, wenn wir unsere Hände schmutzig machen, indem wir die Wunden berühren, die Sünden, die Bedrängnisse der Menschen. Wir salben, wenn wir unsere Hände mit Duft versehen, indem wir ihren Glauben, ihre Hoffnungen und ihre vorbehaltlose Großherzigkeit in ihrer Hingabe berühren.

            Wer zu salben und zu segnen lernt, wird von der Kleinlichkeit, vom Missbrauch und von der Grausamkeit geheilt.

            Beten wir darum, dass der Vater, wenn wir uns mit Jesus in die Mitte unserer Leute stellen, in uns den Geist der Heiligkeit erneuere und uns gewähre, dass wir uns vereinen, um sein Erbarmen für die uns anvertrauten Gemeinden und für alle Menschen auf Erden zu erflehen. So werden die vielen Völker in Christus vereint; sie wachsen zusammen zu einem einzigen Volk und werden vollendet in seinem ewigen Reiche (vgl. Weihegebet bei der Priesterweihe).

(vatican news)

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18. April 2019, 10:00