Litauen: In Erwartung des zweiten Papstes
Gudrun Sailer: „Die Menschen in Litauen erwarten Franziskus mit tiefer Freude, und das ist nicht so dahingesagt. Der Papst kommt in dieses zwar stark katholisch geprägte, aber kleine Land, und das empfinden die Menschen hier in der Peripherie Europas als Geschenk. Wir sind ja hier in Vilnius und Kaunas viel unterwegs gewesen dieser Tage, und wenn wir uns als Vatikan-Leute zu erkennen geben, nicht einfach als Leute, die da unverschämt im Heiligtum der Muttergottes der Barmherzigkeit fotografieren, dann hellen sich die Gesichter förmlich auf, natürlich nicht wegen uns, sondern wegen des Besuchs aus Rom, der jetzt gleich kommt.“
Pope: Der litauische Kardinal Backis hat in einem Interview mit Dir gesagt, die eigentliche Herausforderung dieser Zeit für die Kirche in Litauen ist es, auf die Jugend zuzugehen und viel mit Familien zu arbeiten. Bricht der Glaube weg in Litauen?
Gudrun Sailer: „Ja, das sagen viele, die in den vergangenen 25 Jahren, seit dem Besuch von Johannes Paul II. gerade drei Jahre nach der Unabhängigkeit Litauens kirchliche Beobachter sind. Es ist auch nachvollziehbar: im Kommunismus war es äußerlich schwer, den Glauben zu leben, aber in der Gleichgültigkeit der Säkularisierung ist es schwer, ihn innerlich zu behalten. Vilnius zum Beispiel ist eine ganz junge Stadt, eine Universitätsstadt, aber viele dieser jungen Leute sind an anderen Dingen interessiert, die wollen reisen, eine gute Ausbildung, einen hohen Lebensstandard, vielleicht einmal ins Ausland, und geistliche Dinge spielen eine geringere Rolle. Aber das ist eben nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen sind die litauischen Jugendlichen, die tief spirituell interessiert sind, und zwar auf eine ganz unaufgeregt Weise, und das sind eben auch nicht wenige, davon haben wir uns überzeugt bei Treffen von jungen freiwilligen Helfern vor der Messe in Kaunas, die einzige Messe, die der Papst in Litauen feiert.“
Pope: Welche Probleme beschäftigen die Menschen in Litauen heute?
Gudrun Sailer: „Zunächst der Rahmen, Litauen ist – wie die übrigen zwei Staaten im Baltikum, Lettland und Estland, die der Papst ja auch besucht – seit 2004 Teil der EU und der NATO. Alle drei Staaten haben den Euro, und wirtschaftlich geht es halbwegs gut voran. Ein Beispiel, in Vilnius eröffnen jetzt im Abstand von wenigen Wochen zwei private Kunstsammlungen in ziemlich spektakulären neuen Gebäuden, eines davon entworfen von dem Stararchitekten Daniel Libeskind. Die Sammler sind litauische Unternehmer bzw. ein Rechtsanwalt, die, indem sie ihre Kunstsammlungen öffentlich zugänglich machen, dem Land etwas zurückgeben wollen. Abseits von wachsendem Reichtum: Zu viele Arme bleiben arm. Litauen hat die höchste Selbstmordrate Europas und ein großes Problem mit Alkoholsucht.“
Pope: Und wie äußert sich das?
Gudrun Sailer: „Der Alkohol ruiniert viele Familien, die Jugendämter mussten zuletzt in zwei Monaten 600 Kinder aus ihren Familien holen und an Pflegefamilien vermitteln, katholische NGOs helfen übrigens dabei. Und was die Menschen sehr beschäftigt, ist der riesige Nachbar Russland. Spätestens seit Moskau die Krim annektiert hat, wächst in den baltischen Ländern ein tief rumorendes Unbehagen, die Sorge, dass irgendwann sie an der Reihe sein könnten, denn zweimal in der Geschichte war Litauen Teil von Russland, bekanntlich nicht zu seinem Vorteil. Im Westen von Litauen liegt die russische Enklave Kaliningrad, das Gebiet mit den meisten stationierten Waffen auf dem Kontinent. Das ist bedrohlich, deshalb suchen die Balten ja so offensiv die Nähe der USA, sogar heute, und sind ausgesprochen EU-freundlich, weil sie in den westlichen Kräften Schutz suchen; etwas wie EU-Skepsis ist im Baltikum schwer zu finden, das sind überzeugte Europäer am nordöstlichen Rand der EU. Es wäre nicht verwunderlich, würde der Papst hier im Baltikum die Frage der Bewahrung des Friedens ansprechen.“
Pope: Wir haben es ja gestreift, vor 25 Jahren kam zum ersten Mal ein Papst nach Litauen, Johannes Paul II. – was ist diesmal anders?
Gudrun Sailer: „Polen und Litauen haben ja eine lange gemeinsame Geschichte, bis heute sind fünf Prozent der Litauer Angehörige der polnischen Minderheit. Und ja, da kam dieser Papst aus dem Nachbarland, der „Hero“, der den Kommunismus in die Knie zwang oder – das ist die allgemeine Lesart – dazu beitrug. Das war eine wirkliche Umbruchzeit, gerade auch für die Kirche und den Glauben, der sich allerdings im Untergrund in Litauen gut konserviert hat. Umbruchzeit ist jetzt, beim zweiten Papstbesuch für Litauen, eher keine, aber einen Bedarf nach Orientierung kann man schon erkennen.“
(Pope - gs)
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