Wim Wenders legt filmische „Biografie der Ideen“ von Franziskus vor
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Der Regisseur hat vor wenigen Wochen seinen Dokumentarfilm „Papst Franziskus - ein Mann seines Wortes“ fertig gestellt, der in Deutschland am 14. Juni in die Kinos kommt. Der Streifen sei „keine Biografie von Herrn Bergoglio“, sondern eine „Biografie der Ideen“ des Papstes. Vier lange Interviews, verteilt über zwei Jahre, hat Wenders mit Franziskus geführt und zusätzlich das gesamte Material des Pontifikates im vatikanischen Filmarchiv gesichtet.
Pope: Päpste sind medial unverwechselbare Gestalten. Immer in weißer Soutane, immer in derselben Rolle, egal welcher Papst darin steckt. Ein Papst ist ein Papst, und auf ihn sind enorm viele Blicke gerichtet. Was interessiert Sie als erfahrener Filmemacher an Franziskus?
Wim Wenders: „An Papst Franziskus hat mich gleich in der ersten Sekunde, als er vorgestellt wurde, sein Name interessiert. Dass er diesen Namen des Heiligen Franz von Assisi ausgewählt hat, war ein großes Zeichen. Damit hatte kaum jemand gerechnet. Aber dieser Name war auch ein Versprechen. Deshalb habe ich mich von Anfang an enorm dafür interessiert, was er alles getan, gesagt und geschrieben hat. Ich war begeistert von seiner Ansprache, seiner unprätentiösen, einfachen und doch völlig neuen Ansprache.“
Pope: Was davon haben Sie in Franziskus, dem Menschen, wiedergefunden?
Wim Wenders: „Ich habe in jedem unserer vier langen Gespräche wiedergefunden, dass er an allen Menschen interessiert ist und er der Meinung ist, dass Gott alle Menschen gleich liebt, egal welcher Konfession oder sogar welcher Religion. Und diese Haltung, dass Gott alle liebt, ist doch recht neu, finde ich, und hat mich ziemlich bewegt, weil man, je mehr man ihn kennengelernt hat, gemerkt hat: er meint das. Er meint alles, was er sagt, und er lebt auch, was er sagt. Das ist in unserer heutigen Welt etwas Ungewöhnliches. Eigentlich erwartet man das nicht mehr, dass Leute wirklich hinter dem stehen, was sie sagen.“
Pope: Bei Papst Franziskus sprechen da oft auch die Zeichen …
Wim Wenders: „Dass er dann wirklich immer seine alten Schuhe anhat und in kleinen Autos fährt, sind kleine Zeichen, aber sie belegen, dass er das alles wirklich meint und lebt, was er predigt. Deshalb haben wir nach einer Zeit im Schneideraum, ungefähr einem Jahr, den Titel gefunden: Ein Mann seines Wortes. Weil das schien mir so herausragend in seinem Amt, dass er so voll hinter allem steht, was er sagt und tut.“
Pope: Dennoch mag der Filmtitel überraschen: „Ein Mann seines Wortes“. Für viele ist Franziskus eher ein Mann der Geste, der Berührung, ein haptischer Typ. Wie geht das für Sie mit dem „Mann seines Wortes” zusammen?
Wim Wenders: „Ich habe ungefähr alles gesehen, was er gesagt hat. Wir hatten ja das ganze Archiv des Vatikans zur Verfügung. Dort sind alle seine Reisen, alle seine Reden festgehalten, ob das nun im Flüchtlingslager war oder in Gefängnissen oder vor der UNO oder vor dem amerikanischen Senat. Ich habe alles gelesen und gesehen. Deswegen ist das Wort in dem, was wir hier in unseren eigenen Interviews gemacht haben, schon zentral in dem Film. Ich wollte, dass der Film keine Biografie über Herrn Bergoglio ist, sondern eine Biografie dessen, wofür Papst Franziskus steht. Und das ist sein Wort.
Pope: Wie haben Sie beim Dreh den Papst als Kommunikator erlebt?
Wim Wenders: „In dem Film sieht man natürlich auch, wie er das Wort kommuniziert und wie direkt er ist, wie er den Leuten in die Augen schaut und wie aufmerksam er jedem gegenüber steht, den er trifft. Und das haben wir auch im Drehen im Filmteam gesehen. Wenn da zehn oder zwölf Leute waren, und da waren ein paar Assistenten, Elektriker, Bühnenarbeiter – er hat überhaupt keinen Unterschied gemacht zwischen dem Produzenten oder dem Regisseur oder wer auch immer am Set war. Er hat alle gleich freundlich und herzlich begrüßt, allen die Hand geschüttelt. Das habe ich auch in einigen Dokumenten gesehen, dass er manchmal tatsächlich stundenlang durch die Menge geht und jeden begrüßt, weil er klarmachen will, für ihn sind alle gleich. Das ist eine außergewöhnliche Art der Kommunikation, das spürt jeder, der da ist, dass das keine Floskel für ihn ist, sondern dass für ihn wirklich alle Menschen gleich sind.“
Pope: So einen Film, wie Sie ihn mit Franziskus realisiert haben, gab es im Vatikan noch nie. Päpste waren da bisher auf merkwürdige Art scheue Wesen, vielleicht war auch eher die Entourage scheu. Haben Sie einen Reflex von dieser vatikanischen Scheu bei den Dreharbeiten bemerkt?
Wim Wenders: „Eigentlich nicht. Vor allem nicht im Umgang mit Papst Franziskus selbst. Und Dario Vigano (der Präfekt des vatikanischen Sekretariats für Kommunikation, Anm.), der das Ganze ja initiiert hat, war ausgesprochen offen und hat mir von Anfang an gesagt, wir reden dir da nicht rein, du machst den Film, den du für richtig hältst. Insofern war die Kommunikation ausgesprochen unbürokratisch. Wir sind natürlich ein bisschen unter dem Radar gefahren. Ich glaube nicht, dass viele Leute davon gewusst haben. Vielleicht war das eine Art Schutz für Papst Franziskus, dass wir unseren Dreh erstmal komplett über die zwei Jahre gemacht haben, bevor wir das Ganze dann angekündigt haben. Ansonsten war das eine Transparenz und Offenheit, wie man sich das nur träumen kann.“
Pope: Sie haben in Ihren Filmdokumentationen immer wieder Akteure begleitet, die keine Schauspieler sind, den Fotografen Sebastiao Salgado, die kubanischen Sänger vom Buena Vista Social Club, andere mehr. Wie war es, mit dem Papst zu drehen, als Darsteller seiner selbst?
Wim Wenders: „Das war eine Sache, die ich meinem Team von Anfang an klar gemacht habe, wir werden Papst Franziskus niemals bitten, irgendeine Frage ein zweites Mal zu machen. Und wenn wir etwas nicht kriegen, dann ist es unsere Schuld, dann haben wir es nicht. Wir werden ihn nie fragen, eine bestimmte Geste zu machen oder in die Kamera zu schauen – es war alles komplett natürlich, was er gemacht hat, er war tatsächlich nie sein Schauspieler, er war immer nur er selbst.“
Pope: Gibt es etwas, das Sie mit oder bei Franziskus gelernt haben?
Wim Wenders: „Das, was mir am meisten geblieben ist, ist sein Mut, seine komplette Furchtlosigkeit. Er ist wirklich einer der mutigsten Menschen, denen ich je gegenübergestanden bin. Das hat mich jedes Mal aufs Neue wirklich beeindruckt, wie wenig Scheu er hat, wie offen er ist, wie ungeschützt er den Menschen gegenübertritt. Dazu braucht man vor allem Mut.“
Pope: Sie wollten in Ihrer Kindheit unter anderem einmal katholischer Priester werden. Sind Sie nach dem Dreh mit Franziskus eher wehmütig oder eher erleichtert, dass daraus nichts geworden ist?
Wim Wenders: „Ich habe nie irgendetwas bedauert, ich bin da nicht nostalgisch. Ich weiß, warum ich damals nicht diese Laufbahn eingeschlagen habe. Das habe ich auch bei meinem Vater gesehen, der hatte auch lange überlegt, ob er Theologie studieren soll, hat dann Medizin gemacht und es auch keine Sekunde bedauert. Ich glaube, ich habe schon das Richtige gemacht, was mir am meisten gelegen ist. Es ist schön, auf diese Art mit diesem Film mit Papst Franziskus auch etwas zu machen, was letztlich auch meinen Glauben betrifft, und auf direktere Art meinen Glauben betrifft als viele andere Filme, obwohl ich es AUCH bisher nicht verhehlt habe und es in meinen Filmen ja präsent gewesen ist. Ich war im Gegenteil wirklich froh, dass wir den Film fertig hatten, ist ja erst ein paar Wochen her, weil es ist schon eine ziemliche Verantwortung, wenn man so etwas angeht, und wenn man letztlich ganz auf sich allein gestellt ist, was für eine Art Film das wird, und wie man den Papst darstellt, weil mir ja niemand hineingeredet hat, das ist zwar schön, auf der anderen Seite muss man auch für alles selber geradestehen. Letzten Endes war mir dann doch manchmal die Verantwortung eine ganz schöne Last.“
Pope: Die katholische Kirche gilt insgesamt als sehr telegen, ja als theatralisch. Ist das heute eine Stärke oder eine Schwäche?
Wim Wenders: „Es kann beides sein. Das Theatralische kann ja auch eine Darstellung von Reichtum sein oder unter Umständen von Macht. Die Bescheidenheit von Papst Franziskus und auch sein Wunsch einer armen Kirche für die Armen ist von der Theatralik manchmal ein wenig überdeckt.“
Anmerkung zur Audio-Fassung: Der letzte Take des Interviews ist in Telefonqualität wiedergegeben, weil das Aufnahmegerät aussetzte.
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.