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Franziskus am Mittwoch in Santiago Franziskus am Mittwoch in Santiago 

Korrespondenten-Bericht: Der Papst hat ein Projekt für Südamerika

Stefan von Kempis ist für uns während der Papstreise in Santiago de Chile. Er beobachtet, dass sich die Stimmung in dem immer stärker säkularisierten Land gegenüber Franziskus gedreht hat. Aus verhaltenem Desinteresse, ja Ablehnung vor Beginn der Reise ist am ersten vollen Besuchstag des Papstes, dem Dienstag, in Teilen der Gesellschaft Respekt geworden.

Von Stefan von Kempis - Santiago de Chile - und Pope - Rom

„Dass der Papst gleich in seiner ersten Ansprache Missbrauchs-Opfer um Vergebung gebeten hat, war ein Befreiungsschlag – das merkt man sofort, wenn man in die Zeitungen schaut. „Franziskus spricht die offenen Wunden an“, titelt der seriöse „Mercurio“. Der Koordinator der Reise von staatlicher Seite aus, Benito Baranda, erzählt der Zeitung, er habe gleich im Internet nachgesehen, ob schon einmal ein Papst bei einer so offiziellen Gelegenheit „so deutlich“ um Vergebung gebeten habe; und er habe nichts Vergleichbares finden können.

Natürlich haben die Worte des Papstes und sein Treffen mit einigen Missbrauchs-Opfern nicht alle zufriedengestellt; Innenminister Fidel Espinoza von der Sozialistischen Partei fordert im „Mercurio“, die Kirche „müsse jetzt vom Reden zur Tat übergehen und den Bischof von Osorno absetzen“, dem Komplizenschaft mit einem Missbrauchs-Priester vorgeworfen wird, sonst seien das „alles nur Worte“. Aber für Gutwillige waren diese Worte wichtige Signale. Der Papst vermittelt ihnen: Ich habe verstanden.“

Frage: An diesem Mittwoch war Franziskus ja im Land der Mapuche, der Ureinwohner Chiles – der einzigen in ganz Lateinamerika übrigens, die sich im 16. Jahrhundert erfolgreich gegen die Kolonisierung durch die Spanier gewehrt haben. Was waren Ihre Eindrücke von der Papstmesse in Temuco?

„Ich war nicht mit in Temuco, sondern habe alles von Santiago aus verfolgt. Und hier im Großraum der Hauptstadt lebt ja fast die Hälfte der chilenischen Bevölkerung. Mir ist aufgefallen, dass es viele Chilenen in Santiago offenbar überrascht, die Mapuche einmal nicht als filzige Straßenhändler (oder auch als potentielle Bombenleger) zu erleben, sondern als friedlich feiernde Gemeinde. Vielen hier in Santiago war wohl gar nicht bewusst, dass es überhaupt katholische Mapuche gibt und dass sie nicht alle der traditionellen Religion angehören. Das ist also eine gewisse Wiederentdeckung der Mapuche; der Papstbesuch extra bei ihnen gibt ihnen etwas von ihrer Würde zurück.

Allerdings ist es schwer zu sagen, ob der Einsatz des Papstes für die Mapuche (oder auch sein Besuch bei den Armen in Nordchile, in Iquique, am Donnerstag) jetzt in konkrete Verbesserungen für sie münden wird. Da habe ich, offen gesagt, meine Zweifel. Denn in Chile tritt jetzt bald eine bereits gewählte, rechte Regierung an, und die scheint sich für soziale Themen weniger zu erwärmen als die abgewählte sozialistische Regierung von Präsidentin Michelle Bachelet. Und auch Bachelet hat in ihrer zweiten, jetzt ablaufenden Amtszeit den Mapuche-Knoten ja nicht zerschlagen.

Außerdem – soviel Respekt Franziskus den Mapuche jetzt auch verschafft haben mag, das alles wird wieder zunichte gemacht, wenn die Brandanschläge auf Kirchen und auf Regierungsgebäude weitergehen. So traurig das ist, aber ein paar Wirrköpfe mit Feuerzeugen können alles zunichte machen, was der Papst hier mühsam aufbaut.“

Frage: Für eine Bilanz der Reise ist es natürlich noch zu früh. Aber welche Schlüsse haben Sie bis jetzt gezogen?

„Bevor ich nach Santiago flog, dachte ich: Das ist wieder mal eine Nicht-Reise des Papstes nach Argentinien. Als ob er wirklich um sein eigenes Land einen Bogen schlagen wollte. Um nicht instrumentalisiert zu werden, oder aus welchen Gründen auch immer. Hier ist mir dann allmählich aufgegangen, dass Franziskus den mühsameren Weg gewählt hat: Er will anscheinend nicht speziell sein Land, er will ganz Südamerika zurückholen auf die kirchliche Landkarte. Darum diese Kärrnerarbeit – sechs anstrengende Reisen in alle Ecken des Kontinents, viel ausführlicher und viel mühsamer als zum Beispiel seine Blitzvisiten in europäischen Ländern. Albanien hat der Papst zum Beispiel an einem einzigen Tag besucht, dabei hat er sich aus der Hauptstadt Tirana nicht wegbewegt.

Machen wir doch mal die Gegenprobe: Franziskus hätte doch ohne weiteres nach Argentinien reisen können, entweder noch unter der Linksregierung Kirchner oder jetzt unter der Rechtsregierung Macri – ganz nach Belieben. Dann hätten wir Schlagzeilen gehabt wie zu den Zeiten, in denen Johannes Paul II. durch seine Heimat Polen tourte: „Begeisterter Empfang für den Landsmann Francisco“, „Eine Fiesta für Argentiniens größten Sohn“ und so weiter. Genau das will der Papst offenbar nicht. Sondern das Schwierigere: Die Aufmerksamkeit lenken auf ganz Südamerika, den Kontinent, wo trotz aller Probleme und Umbrüche „immer noch spanisch gesprochen und zu Jesus Christus gebetet wird“, um es mit dem chilenischen Dichter Rubén Darío zu sagen.“

Frage: Heißt das, Lateinamerika ist der Gewinner dieses Pontifikats? Und Afrika und Europa vielleicht die Verlierer?

„Nein, so einfach ist das nicht. Denn Franziskus‘ Projekt für seinen Heimatkontinent stößt auf hohe, kaum zu beseitigende Hürden. Zum einen die Ortskirche in den meisten, wenn nicht allen Ländern Lateinamerikas: Sie ist stark klerikal ausgerichtet, soziales Engagement wird da meist als marginal betrachtet. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum der Papst am Dienstagabend in der Kathedrale von Santiago die Priester und Ordensleute dermaßen ins Gebet genommen hat. Seine Ansprache – die längste bisher auf dieser Reise, eine Art Pastoralplan für die nächsten Jahrzehnte – hatte einen kaum zu überhörenden, beschwörenden Unterton. Es ist ein hartes Urteil, vielleicht auch ein zu stark generalisierendes; aber die Kirche in Südamerika scheint derzeit nicht bereit für den Kurs „ihres“ Papstes.

Und dann ist da noch eine Hürde, keine unerhebliche: die Politik. Südamerika erlebt einen Schwenk von links zurück nach rechts, auch in Chile hat sich das vor kurzem bei den Präsidentenwahlen bestätigt, und bei weiteren Wahlen in diesem Jahr geht der Trend wahrscheinlich weiter. Nun weist zwar Franziskus immer wieder empört die Unterstellung, Kommunist zu sein, zurück. Doch sein Denken und Reden scheint größere Schnittmengen mit der Linken als mit der Rechten zu haben. Mit der Sozialistin Bachelet hat er in Santiago – so formuliert eine chilenische Zeitung – geradezu „geturtelt“, während sein Hand-shake mit dem gewählten Präsidenten Sebastián Piñera ziemlich kühl ausfiel. Also, auch in der Politik Südamerikas gibt es, grosso modo, keinen Rückenwind für Franziskus‘ Kurs.

Übrigens beschäftigt sich die chilenische Presse derzeit genauso hingebungsvoll mit Piñeras Regierungsbildung wie mit dem Papst.“

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18. Januar 2018, 00:34