Emmaus, oder: „Gott spricht durch die Umstände" (Teil 3)
Gudrun Sailer – St. Pölten
Mit Obdachlosen, Asylwerbern, ehemaligen Strafgefangenen und Suchtkranken wohnen, mit ihnen arbeiten, essen, leben, ein Stück Weg teilen, das Brot teilen, rund um einen Tisch, miteinander quasi eine Familie auf Zeit sein: Das ist eine Lebensentscheidung für wenige. In Karl Rottenschlager reifte diese Lebensentscheidung über eine längere Zeit des Suchens heran. Er war im Seminar, wo ihm seine Berufung als Laie klar wurde. Er schloss das Theologiestudium ab, wurde Sozialarbeiter, heuerte in Österreichs zweitgrößtem Gefängnis an.
Die Haftanstalt Stein ist in Österreich eine Marke. 900 Häftlinge, alles Männer. Und zwar solche, die Haftstrafen von mindestens eineinhalb Jahren abzusitzen haben. Nach weltlichen Termini: Schwerverbrecher, Räuber, Mörder. Wirklich die „schweren Jungs“. Sie wollten da hin?
„Das ist mein Afrika. Gott will, dass ich dorthin gehe und bleibe. Und ich habe sieben oder acht Jahre gedacht, das ist für den Rest des Lebens so wie Damian de Veuster auf der Insel der Verbannten, das ist mein Platz. Ja, das sind die Aussätzigen unserer Tage. Und ich habe gespürt: Mein Platz ist in den Kellern der Menschheit.“
Neun Jahre bleibt Rottenschlager in Stein. In dieser Zeit schält sich seine eigentliche Berufung immer klarer heraus. In dieser Phase der Unterscheidung in der Haftanstalt gelingt es ihm sogar, eine gezielte Gehässigkeit so herumzudrehen, dass für ihn daraus eine Anfrage Jesu wird.
„Manche Justizwachebeamte haben mich auf die Schaufel genommen oder provoziert. Einer hat einmal gesagt: ,Wenn die wirklich alle so einen guten Kern haben, dann nehmen Sie sie halt mit nach Hause!´ Und ich habe dann nachgedacht und gemerkt: Er hat recht. Da war schon versteckt die Botschaft oder die Anfrage Jesu: Bist du bereit, das Leben dieser Ausgegrenzten oder Ungeliebten der Gesellschaft zu teilen?“
In Taizé legte Karl Rottenschlager ein Privatgelübde der Ehelosigkeit ab. Denn seine Familie, das sollen die Ausgestoßenen sein. Rottenschlager war 29 Jahre alt. Mehrmals versuchte er, etwas zu schaffen, das im Grunde schon Emmaus war. Und mehrmals scheiterte er.
„Da war eine solide geistliche Begleitung wichtig, auch eine Gebetsgruppe. Wir waren zu fünft, zu sechst. Zunächst war die Gruppe größer, Studienkollegen. Die haben mich ermutigt, weil ich gesagt habe: Möglicherweise ist es nicht der Wille Gottes. Ich hab mich vielleicht verrannt. Und sie sagten: Langsam, langsam, auch wenn die Bevölkerung das ablehnt, wenn es der Wille Gottes ist, wird er uns das zeigen. Wenn es im Plan Gottes ist – Gott spricht durch die Umstände –, werden sich die Dinge fügen.
Nicht weniger als fünf Mal scheiterte Emmaus am Widerstand der jeweiligen Bevölkerung. „Alle haben gesagt: Super, aber bitte nicht bei uns. Frauen und Kinder sind gefährdet“, erinnert sich Rottenschlager. Der sechste Anlauf gelang. Und die St. Pöltner Caritas, bei der Rottenschlager damals arbeitete, stellte ihn für sein Projekt frei.
„Durch einen Tipp von einem Pfarrer haben wir dann das Haus in der Herzogenburgstraße bekommen und noch bevor der erste eingezogen ist, die Gebetsgruppe war dafür, der Caritas Direktor hat sich gefreut, der Bischof hat mir seinen Segen gegeben, habe ich plötzlich unglaubliche Angst gehabt. Ich habe also kurz noch einmal gesehen, was ich in neun Jahren Stein erlebt habe: die scheinbare Übermacht des Bösen. Die Angst war so groß. Aber letztlich vertraue ich, dass Gott mich bis dahin geführt hat. Ich knie mich nieder, weiß heute noch genau die Stelle, wo das war in dem Haus, und sage Jesus hilf, sonst gebe ich wirklich auf. Und die Antwort im Gebet war ganz klar: Habe keine Angst. Wo zwei oder drei in meinem Namen mit mir, dem Auferstandenen in der Mitte unterwegs sind, werdet ihr stärker sein als das Böse. Und das wirkt. Das hält bis heute.“
Gudrun Sailer im Gespräch mit Karl Rottenschlager über die Emmausgemeinschaft in St. Pölten - Teil 3.
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Buchtipp: Karl Rottenschlager. Der Traum von Emmaus: Ein Leben für haftentlassene und benachteiligte Menschen. Biographie über den Gründer der Emmausgemeinschaft St. Pölten. Karl Vogd, Tyrolia 2024.
(vatican news – gs)
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