Bischof Overbeck: „Politik nicht zum Deal machen“
Christine Seuss - Vatikanstadt
„Die beiden großen Themen, die Deutschland und Europa bewegen, hängen mit der Migration vieler Menschen und mit der Wirtschaft zusammen. Alles andere ist dem untergeordnet“, so Bischof Overbeck im Gespräch mit Radio Vatikan. Der Essener ist auch deutscher Militärbischof und war für die Heilig-Jahr-Feiern der Streitkräfte dieses Wochenende nach Rom gereist. Das für die Deutschen relevante „dritte Element“ sei sicherlich auch „der Krieg in der Ukraine mit seinen Folgen“, schließlich zeitige dieser nicht nur schwerwiegende wirtschaftliche Folgen, sondern setze auch eine massive Fluchtbewegung vor allem von Frauen mit ihren Kindern in Gang, während die Männer im Krieg in der Ukraine dienen müssten.
Mehr Verantwortung für andere übernehmen
Das alles „hat auch damit zu tun, zu sehen, dass wir in einer neuen geschichtlichen und damit auch historischen Phase unseres bundesrepublikanischen Staatswesens angekommen sind, das mehr Verantwortung für andere zu übernehmen hat, als bisher gewohnt und sich von daher auch wirtschaftlich anders aufstellen muss“, bewertet der Ruhrbischof, der gerade in seinem Zuständigkeitsgebiet viele „große wirtschaftliche Umwälzungsprozesse“ wichtiger Firmen beobachtet, die „unmittelbare Folgen für den Lebensalltag vieler Menschen“ hätten:
„Und unter diesem Gesichtspunkt halte ich das schon für eine bedeutsame Wahl in einem historischen Moment, der sich so deutlich vor einiger Zeit noch nicht abgezeichnet hat.“
In diesem Zusammenhang werde er auch an die Jahre der Wiedervereinigung erinnert: „Und so etwas scheint mir jetzt auch wieder zu leisten zu sein, nämlich eine Neujustierung des Staatswesens im Blick auf die Selbstverständlichkeit von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Parlamentarismus“, so die Einschätzung des Bischofs, der von 2018 bis 2023 Vizepräsident in der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union (COMECE) war und bis heute Delegierter der deutschen Bischofskonferenz für das Gremium ist.
Er selbst habe in den vergangenen Wochen viel mit Leuten gesprochen, „die sehr darauf setzen, dass wir als demokratisches Staatswesen Bestand haben und uns nicht von Autoritarismus verführen lassen“, so Overbeck weiter: „Das gibt mir nicht nur Trost, sondern auch Energie, dafür einzustehen. Es gibt nicht wenige, für die es schon sehr lange und auch jetzt - angesichts der Schwierigkeiten, die das gesamte Staatswesen in Deutschland mit der Integration so vieler Migranten hat - selbstverständlich ist, um der Menschenwürde und der Menschenrechte willens solchen Menschen zu helfen, und denen es zuwider ist, wenn dies zum Spielball von Politik gemacht wird.“
In diesem Zusammenhang sehe er auch die Kirchen. Diese veränderten sich im Verhältnis zum Staat sichtlich, hätten zunehmend neue Themen zu behandeln und müssten sich im gleichen Zug darum bemühen, eine solch „qualitätsvolle Stimme abzugeben“, dass diese auch wirklich gehört werde.
„Und manchmal denke ich auch, mancher Protest ist ein guter Hinweis darauf, dass wir Richtiges gesagt haben, weil es eine Resonanz erzeugt, die andere zum Nachdenken bringt“, meint Overbeck. In den letzten Wochen hatte die deutliche Kritik kirchlicher Kreise an den Vorstößen von Kanzlerkandidat Merz zu einer Verschärfung des Asylrechts für Unstimmigkeiten auch in den Kirchen selbst gesorgt. Auch die klare Verurteilung einer AfD-Mitgliedschaft, die unvereinbar sei mit christlichen Positionen, wird in den Kirchen diskutiert. Ein Blick nach Übersee zeige jedoch die Auswirkungen einer Politik, die sich auf das Wohlergehen des eigenen Landes beschränke und internationale Verpflichtungen rein auf der Ebene eines Deals sehe, gibt Overbeck zu verstehen.
USA: Sorge über neue Entwicklungen
„In vielfacher Weise, auch bei meinen bisherigen Besuchen in den Vereinigten Staaten von Amerika, habe ich es immer mit einem Land zu tun gehabt, welches ich sehr schätzen konnte wegen einer klugen Mischung zwischen Freiheit auf der einen Seite, aber auch einer klaren demokratischen Grundstruktur und Rechtsstaatlichkeit, an die sich alle halten mussten und auch konnten.“ Doch die Ausstrahlung und internationale Autorität, die mit dieser Haltung stets untrennbar verbunden war, werde seiner Wahrnehmung zufolge „zumindest durch das, was jetzt in den Medien kolportiert und sich durch manche der in Ämter gebrachten Personen gezeigt“ habe, nicht intensiviert, sondern schwächer, so Overbeck: „Und das besorgt mich.“
Er hoffe jedenfalls, dass die USA sich wieder auf die ihnen eigene Kraft besinnen könnten, „die größer ist als solche Bewegungen“, so dass sie sich weiter in der „großen Rolle“ sehen könnten, die sie „mit und nach dem Zweiten Weltkrieg“ eingenommen hätten. So müsse man sich gerade als Deutscher auch ehrlich eingestehen, dass vieles von dem, was nach dem Krieg möglich wurde – einschließlich der Wiedervereinigung – neben der Unterstützung anderer europäischer Länder auch zu großen Teilen den Vereinigten Staaten zu verdanken sei.
Alte Sicherheiten brechen weg
„Das wird noch einmal deutlicher, wenn man sieht, dass die Blockbildung ja jahrzehntelang für eine zwar schwierige, aber doch verlässliche Stabilität zwischen den einzelnen Blöcken in Ost und West gesorgt hat, die jetzt nicht mehr gilt. Und so können wir sehen, dass auch hier ganz neue Koalitionen und Allianzen geschmiedet werden, die auch, so ist meine Wahrnehmung, dieses kluge Gefüge doch sehr durcheinander bringen können.“
Nicht zuletzt aus politiktheoretischen Gründen halte er „viel davon“, wenn die Politik sich auf das politische Parkett beschränke, nicht zu einem „Deal“ gemacht und auch den Akteuren überlassen werde, die sich in der Politik tatsächlich auskennen, so Overbeck in deutlicher Anspielung auf die neuen Gremien, die derzeit in den USA das politische Geschäft auf den Kopf stellen, unter ihnen das von Multimilliardär Elon Musk geleitete neue Effizienz-Büro DOGE: „Und Dealmaker gehören dann woanders hin“, so die Meinung des deutschen COMECE-Bischofs.
(vatican news)
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