ÃÛÌÒ½»ÓÑ

Sarah Pohl berät Menschen bei Weltanschauungsfragen Sarah Pohl berät Menschen bei Weltanschauungsfragen 

D: Von Sekten, Gurus und Lebenscoaching

„Wir leben in einer Ära der Konfusion.“ Dies sagte kürzlich der Münchner Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld. Und damit sprach er etwas aus, was viele Menschen spüren: Viele Fragen, viele Antworten und nur wenige sichere Wahrheiten.

Von Moritz Dapper, Vatikanstadt

Wenn Sarah Pohl ans Telefon geht, dann wird es meist schwierig. Die promovierte Erziehungswissenschaftlerin leitet die Zentrale Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen, kurz Zebra, in Freiburg. Die Anrufer brauchen Hilfe zu den Themen Sekten, Esoterik und Verschwörungsmythen: „Da erleben wir ein großes Leid zum Teil. Dass Menschen, die auch ihr Hab und Gut verkauft haben, nach Paraguay ausgewandert sind und jetzt vor großen Fragezeichen stehen. Was wir auch erleben, ist eine psychische Belastungssituation, die seit der Pandemie deutlich zugenommen hat.“

Markt immer unübersichtlicher

Und deswegen steht das Telefon in Freiburg selten still. Die Ratsuchenden kommen mit ganz unterschiedlichen Anliegen zu der weltanschaulich neutralen Beratungsstelle, die vom Land Baden-Württemberg getragen wird. Den Überblick zu behalten, beispielsweise über den sich schnell verändernden Esoterikmarkt, ist nicht einfach, sagt Sarah Pohl: „Wir haben es fast täglich mit Anbietern zu tun, die ganz frisch entstanden sind und die sich auch vermischen mit der Coaching-Szene, Formen von spiritualisiertem Coaching anbieten. Wir haben es weniger mit den alten großen Playern zu tun, also mit festen Strukturen, sondern erleben immer wieder auch Menschen, die eine Art Religionshopping betreiben, die sich aus den verschiedenen Angeboten hier mal was auswählen und dort mal was auswählen.“

Hier können Sie den Beitrag nachhören.

Gerade der Esoterikmarkt boome, berichtet Sarah Pohl, die mit einem interdisziplinären Team aus Psychologen, Sozialwissenschaftlern und Ärzten die Hilfesuchenden berät: „Und da sehe ich, dass gerade dieser Esoterikmarkt mit seinen Angeboten Menschen abgreift, wo nach wie vor eine große Skepsis da ist, sich an das etablierte Hilfesystem zu wenden und Menschen stattdessen im alternativmedizinischen Markt oder eben auch bei Heilern, auf dem Esoterikmarkt Anbieter finden und suchen und da auch sehr viel Kommerzialisierung stattfindet, also mit der Not der Menschen durchaus ein Geschäft gemacht wird.“

Motto der Beratungsarbeit: Nicht alles ist schwarz-weiß

Das Motto von Zebra ist „Nicht alles ist schwarz-weiß“. Den Beratern ist es wichtig, dass die Menschen selbst Kompetenzen erwerben, um hinter die Kulissen der Anbieter schauen zu können: „Das was früher der Guru war, ist heute ein Lebenshilfecoach, der sich entsprechend inszeniert und sich mit ähnlichen Manipulationstechniken wie früher Menschen einfängt. Und daher ist es allgemein gut, über Manipulationstechniken und über Gruppenpsychologie Bescheid zu wissen. Denn eben diese Punkte greifen heute auch bei diesen fluiden Kleinstanbietern immer wieder.“

Wer denkt, dass es in der Beratungsarbeit vor allem um junge Menschen geht, irrt sich. In den 80er Jahren waren es vor allem Eltern, die sich wegen ihrer Kinder Sorgen machten. Jetzt ist es umgekehrt: „Und mittlerweile erleben wir fast nur noch junge Menschen, die sich an uns wenden wegen ihren Eltern, die sich radikalisiert haben, die in Filterblasen abgetaucht sind, im Familienchat angefangen haben, eigenartige Nachrichten und Fake News zu teilen. Und da haben viele familiäre Kontaktabbrüche stattgefunden.“

„Jede Gruppierung kann potenziell kritische Phasen durchlaufen“

Sarah Pohl hat immer wieder auch mit Anfragen aus der evangelikalen Szene zu tun. Sie unterscheidet dabei nicht zwischen guten oder schlechten Religionen: „Jede Gruppierung kann potenziell kritische Phasen durchlaufen. Da ist keine Gruppierung davor gefeit. Und das kann auch die großen Kirchen betreffen, dass sich an den Rändern - wo Menschen sind, menschelt es eben - kritische Strukturen entwickeln können, dass sich Abhängigkeitsbeziehungen entwickeln können, mit negativen Gottesbildern gearbeitet wird.“

Trotz der besorgniserregenden Erfahrungen mit denen Sarah Pohl in ihrer Arbeit konfrontiert wird, ist sie durchaus hoffnungsvoll. Immer wieder erlebt sie, wie kritisch sich die junge Generation mit dem Markt der Weltanschauungen auseinandersetzt.

(rv - md/mch)

Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.

21. Juli 2023, 12:54