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Erweckung des Lazarus, Ikone 12. Jahrhundert, Siena Erweckung des Lazarus, Ikone 12. Jahrhundert, Siena 

Unser Sonntag: Geheimnis von Leid und Askese

Jesus verspätet sich bewusst, damit Gott durch den Tod des Lazarus verherrlicht wird, so Pfarrer Hildebrandt. Er führt die Menschen vom Unverständnis Gott gegenüber zum grenzenlosen Glauben an ihn. Und wenn wir uns ein wenig in die Zucht nehmen, werden wir erneut Gott begegnen.

Pfarrer Dr. Volker Hildebrandt

5. Fastensonntag 

Joh 11, 1–45

Liebe Schwestern und Brüder.
Es sieht so aus, als sei das die Fastenzeit der langen Evangelien. Aber sie sind faszinierend, weil sie in einer konkreten Begebenheit, in der ganzen Vielfältigkeit uns ganz Entscheidendes und ganz Wichtiges offenbaren. Wir haben eben im Evangelium gehört, dass Lazarus krank war, ein guter Freund von Jesus Christus.

Hier zum Nachhören

Auch seine beiden Schwestern waren dem Herrn sehr gut bekannt. Deshalb rufen die Schwestern nach Jesus: Dein Freund ist krank. Mit der impliziten Bitte: komm, dass er uns nicht stirbt! Und Jesus sagt dann ausdrücklich, diese Krankheit wird nicht zum Tode führen, obwohl er doch weiß, wie später deutlich wird, dass Lazarus sterben wird. Diese Krankheit, sagt er, wird nicht zum Tode führen, sondern dient der Verherrlichung Gottes. Durch sie, diese Krankheit ( den realen Tod des Lazarus) soll der Sohn Gottes verherrlicht werden.
Und ganz besorgt widersprechen die Jünger dem, was Jesus sagt. Lasst uns wieder nach Judäa gehen. Sie sind besorgt, denn dort wollten ihn die Juden doch steinigen. Und du gehst wieder dorthin? – Dann sagt Jesus: Lazarus schläft nur. Ich gehe hin, um ihn aufzuwecken.
Herr, wenn er schläft, dann wird er wieder gesund werden, so die Jünger.

Die Betrachtung zum Sonntagsevangelium im Video

Im Evangelium verdichtet sich etwas

Und dann spricht Jesus unverhüllt: Lazarus ist gestorben. Und noch einmal wiederholt er das alles, damit ihr glaubt, damit ihr wirklich zum Glauben kommt und zu dem, was Gott euch wirklich überreich schenken möchte. Und dann die überraschende Reaktion des Apostels Thomas. Dann lasst uns mit ihm gehen, um mit ihm zu sterben. Was ist das? Könnte man fragen. Eine frohe Botschaft. Lasst uns mit ihm gehen, um mit ihm zu sterben. Wir spüren hier verdichtet sich etwas.
Dann als Jesus ankommt: Er riecht schon. Vier Tage liegt er bereits im Grab. Und auf die Bitte des Herrn, den Grabstein weg zu rollen: Er riecht schon. Und Jesus weint. Es ist wirklich sein Freund und er lässt ihn sterben. Damit Gott erkannt wird, Gott verherrlicht wird. Was ist das für ein Gott? Was ist das für eine Botschaft, die uns hier vermittelt wird? Ja, wir haben eben gehört, wie da Martha mit ihm spricht.
Sie glaubt, dass der Sohn Gottes kommen wird, dass wir auferstehen werden. Maria sagt das Gleiche.

Gott verschmäht das Irdische nicht 

Jesus weinte: ‚seht wie lieb er ihn hatte‘. Jesus, der Herr, Gott, der Allmächtige, verschmäht das Irdische nicht. Im Gegenteil. Er sah, dass alles gut war, so heißt es im Schöpfungsbericht. Es sind wir Menschen, die wir nicht in der Lage sind, mit all dem Guten richtig und gut umzugehen. Deshalb müssen wir sterben. Und deshalb gibt es Krankheit. Und deshalb lässt Gott Dinge zu, die uns herausholen aus unseren Verirrungen. Nur ich und das meinige. Und der Genuss und die Freude. Rein irdisch. Gott holt uns heraus.
Er möchte, dass wir uns freuen, auch an Irdischem. Aber dass wir durch all das Irdische an dem, durch das Schöne zum endgültig Schönen, zum wirklich Bleibenden, Ewigen finden. Letzten Sonntag, vielleicht erinnern wir uns noch, ging es um die Heilung eines Blindgeborenen. Und auf die Frage, ob er selbst oder seine Eltern gesündigt haben, so dass er blind geboren wurde, antwortet Jesus: Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern das Wirken Gottes soll an ihm offenbar werden. 

Die Auferweckung dient der Verherrlichung

Krankheit und Tod hat doch was mit der Sünde zu tun? Selbstverständlich. Von nun müsst ihr sterben.
Aber in einer doch vielleicht anderen Weise, als wir es so unmittelbar erst einmal wahrnehmen. Das Wirken Gottes soll an ihm offenbar werden. Was fragen wir uns, ist denn hier in der Tiefe mit gemeint? An diesem Sonntag geht es um die Auferweckung des verstorbenen Lazarus. Als Jesus von so einer schweren Krankheit hörte, sagte er: Diese Krankheit wird nicht zum Tod führen, sondern dient der Verherrlichung Gottes. Da fragt man sich, wie das Wirken Gottes durch eine schwere Behinderung und warum Gottes Herrlichkeit durch eine todbringende Krankheit deutlich werden soll. Es scheint doch eher das Gegenteil der Fall zu sein.

„Vom Unverständnis Gott gegenüber hin zum grenzenlosen Glauben an ihn“

Warum lässt Gott das zu, dass Menschen teils so leiden, dass sie sterben? An diesem Sonntag wie am Sonntag davor zieht sich eine interessante Perspektive durch das ganze Evangelium hindurch. Vom Unverständnis Gott gegenüber hin zum grenzenlosen Glauben an ihn. Als die Jünger noch hofften, dass Lazarus nur krank sei und schon wieder gesund werde und Jesus deshalb bitte nicht wieder zurückkehren solle ins zu gefährlich gewordene Judäa, sagt ihnen Jesus unverhüllt: Lazarus ist gestorben, und ich freue mich für euch. Er weint doch später. Wir sind in zwei unterschiedlichen Ebenen. Hier spielt Jesus in einer ganz anderen Liga. 'Ich freue mich für euch, dass ich nicht dort war, denn ich will, dass ihr glaubt.' Also erneut die Frage: Musste Lazarus sterben, damit die Jünger zum Glauben finden? Müssen Menschen leiden, damit wir zum Glauben finden. Muss ich oder meine Mutter oder mein Vater oder mein Bruder. Muss er leiden, dass ich zum Glauben finde?

Dann lasst uns mit ihm gehen, um mit ihm zu sterben...

Sind Krankheit und Tod nicht eher ein Übel die an Gott verzweifeln lassen und von ihm entfernen? Interessant ist die Reaktion des heiligen Thomas. Trotz der berechtigten Furcht vor der Rückkehr in die Nähe von Jerusalem sagt er auf die Anweisung Jesu: Dann lasst uns mit ihm gehen, um mit ihm zu sterben. Hier leuchtet etwas Geheimnisvolles auf. Statt Distanzierung von Jesus, dann geh du, wir gehen nicht. Löst dieser Tod beim Apostel Thomas jedenfalls - und ich sage bei allen, die zu glauben beginnen - eine große Nähe zum Herrn aus. Als Martha hört, dass Jesus auf dem Weg sei, geht sie ihm entgegen, empfängt ihn mit den Worten: Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. Da ist ein Vorwurf enthalten aber auch etwas anderes. Aber auch jetzt weiß ich alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben.

Marthas Vorwurf

In ihren Worten klingt zwischen den Zeilen ein deutlicher Vorwurf an, der aber überstrahlt wird von grenzenlosem Vertrauen. Ist das im Grunde nicht immer wieder so, dass wir Menschen erst durch göttliche Provokation, wenn ich das so nennen darf, die an die Substanz geht, dass es eben nicht so läuft, wie ich dachte, dass ich nicht den Zuschlag bekomme in meinem Job wie erhofft, muss denn erst wieder durch göttliche Provokation, die an die Substanz geht, weil Gott Krankheit und Tod nicht einfach nur zulässt, sondern - Buch Genesis 3, 16-24 - sogar schickt. Ist das notwendig? Ich sage ja, um wirklich zum Glauben zu kommen.
Offenbar beschreiten wir nur dann den Weg von einem Glauben, den wir rational durchdenken können, der vernünftig ist, der ja noch erklärbar ist, hin zu einer viel wichtigeren Grundlage, wenn Gott uns herausfordert zur Grundlage des Glaubens.

„Du hast Worte des ewigen Lebens. Wohin soll ich denn gehen?“

Du hast Worte des ewigen Lebens. Wohin soll ich denn gehen? Gott muss uns immer wieder neu aus alltäglicher Machbarkeit und selbstverwirklichen Gestaltungsfähigkeit zurück zu den Wurzeln unseres Daseins führen. Zur tiefsten Erkenntnis nämlich, dass wir unser Leben nicht uns selber und unsere so geniale Kreativität. nicht selber verdanken, sondern allein der bedingungslosen Liebe, sogar der Vorliebe, die Gott für uns hat. Deshalb hat er uns diese und jene und jene andere Fähigkeit und vielleicht geniale Begabung gegeben. Der unausgesprochene Vorwurf von Martha geht über in das geheimnisvolle, mysterienhafte Vertrauen einem Gott gegenüber, der uns Geheimnis und Mysterium bleibt. Gott ist unser Ursprung, den wir nie ganz begreifen können, weil Gott vor uns ist. Und Gott geht uns immer voraus. Aber ist zugleich unser Ziel und unsere ganze Erfüllung. Ohne ihn wären wir nicht. Gäbe es uns nicht. Und ohne ihn gingen wir leer aus. Alles macht irgendwo im Leben einen Sinn. Aber wenn das alles mit dem Tod ein Ende hätte. Was ist dann wirklich Sinn? Es muss doch etwas danach geben, sonst wäre doch all der Sinn, den wir erfahren höhnische Täuschung, zynische Täuschung.

Sich ganz auf Gott einlassen

Das begreift der Mensch offenbar nur, und nur dann ist er bereit, sich ganz auf Gott einzulassen, wenn Gott provoziert und ihn liebevoll an die Grenze von Krankheit und Tod führt. Gott hat keine Freude daran, dass er den Menschen auf diese Weise erziehen und ihm das auch antun muss. Als Jesus sah, wie alle um Lazarus weinten, da weinte auch er. 'Seht, wie lieb er ihn hat' - aber er lässt ihn sterben. Er lässt auch uns sterben.
Und als einen weiteren Gedanken hierzu: Es gilt eben tatsächlich diese christliche Haltung des Verzichts.

Die Burg des Gebetes

Nicht weil das vernünftiger wäre. Das ist es oft auch. Wenn man in rechter Weise verzichtet, kann man das irdische Leben viel besser genießen. Es geht um mehr. Der christliche Verzicht ist die Zugbrücke, über die wir in die Burg des Gebetes, der Gemeinschaft mit Gott gelangen. Denn nur die Selbstverleugnung lässt die Liebe erstarken. Die Selbstliebe tötet die Liebe, die Selbstverleugnung - christlich verstanden - lässt sie leben. Einmal wird der Herr gefragt: Warum fasten deine Jünger denn nicht, die vom Johannes und die der Pharisäer, die fasten. Die Antwort Jesu. Wie können meine Jünger fasten, solange ich bei ihnen bin? Aber es wird der Augenblick kommen, wo ich nicht bei ihnen bin. Da werden sie fasten.

„Wenn wir uns da in Zucht nehmen und zurücknehmen, werden wir erneut Gott begegnen“

Und müssen wir nicht bekennen, dass der Augenblick oft kommt, wo wir Gott vergessen? Er nicht mehr bei uns ist, weil wir ihn vergessen haben? Der rechte Verzicht sich eben nicht wieder ablenken und verlieren an diesem und jenem. Und diese Neuigkeit, wenn wir uns da in Zucht nehmen und zurücknehmen, werden wir erneut Gott begegnen. Ich habe einen Gedanken, der wirklich in die Tiefe geht. Von dem heiligen Johannes vom Kreuz. Er schreibt in seinem Buch „Aufstieg zum Berge Karmel“: Die Seele, welche auf diesen Berg hinaufsteigen will, muss vor dem Ersteigen dieses Berges drei Bedingungen voll und ganz erfüllen.

Die drei Bedingungen

Erstens muss die Seele alle fremden Götter entfernt haben, worunter alle liebende Zuneigung zu anderen Geschöpfen gemeint ist. Es geht an die Substanz. Es ist schön, wenn wir das Geschöpfliche lieben, weil es gut ist. Und doch muss man sich in rechter Weise eine Distanz wahren.
Wer sich hineinziehen lässt in das Schöne der Welt, versinkt in dieser Welt. Fremde Götter entfernen. Das Wahre, Schöne ist Gott allein.
Zweitens muss die Seele sich reinigen von dem Eindruck, den die genannten Freuden in der Seele hinterlassen haben. Und das ist der christliche Verzicht, das Fasten - ganz bewusst einmal hier und dort verzichten. Das macht frei für das Wesentliche, das Eigentliche. Also diesen Eindruck, zurück lassen, in dem die Seele durch eine dunkle Nacht, die dunkle Nacht der Sinne geht und sich all der irdischen Freuden sogar völlig entäußert und dafür entsprechende Sühne leistet.

„Es ist die geheimnisvolle Verwandlung, die ein Christ erfährt, der christlich lebt in der rechten Askese“

Drittens muss sie, um auf diesen hohen Berg zu gelangen, die Kleider wechseln. Dies wird Gott selbst besorgen, indem er die alten Kleider in neue umwandelt. Sobald die beiden ersten Voraussetzungen gegeben sind. Und deshalb da, wo die wo die Menschen Jesus kritisieren: Warum fasten denn deine Apostel, deine Jünger nicht? Der Herr ist bei ihnen. Wenn er nicht da ist, werden sie schon fasten. Dann sagt er auch: neuen Wein in neuen Schläuchen, neue Kleidung, ein neues Gewand. Also nicht Flickarbeit. Wenn wir diesen neuen Wein, das neue Tuch, also das neue Versuchen, Abstandnehmen vom Alten, das uns doch wieder in Griff genommen hat, dann werden wir überrascht. Dann wird auch die Grundlage ganz neu. Neue Schläuche, neues Gewand. Es ist die geheimnisvolle Verwandlung, die ein Christ erfährt, der christlich lebt in der rechten Askese, in der rechten Zurückhaltung. Er genießt im Sinne Gottes, weiß aber auch, dass es irdisch ist und weiß darauf auch in rechter Weise zu verzichten. Es ist nicht nur ein menschlicher Rat, diese Life Balance. Es ist mehr. Denn dann wird Gott die Grundlage, das Innere des Menschen neu machen. Neuer Wein in neuen Schläuchen und neue Tücher auf ein neues Gewand.


In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine gesegnete, gnadenreiche Fastenzeit.

(radio vatikan - redaktion claudia kaminski)

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25. März 2023, 11:00