Radio Vatikan Buchtipp: Von Fall zu Fall. Ein Stundenheft
Stefanie Stahlhofen - Vatikanstadt
Radio Vatikan: Der Titel Ihres Buchs lautet: „Von Fall zu Fall". Wie kam es zu diesem Titel?
Elvira Steppacher, Autorin: Im Wesentlichen waren es drei Assoziationen, die mir dabei durch den Kopf gingen. Die erste ist tatsächlich der Krankheitsfall, also der Kasus der Protagonistin. Die hat ja ein Glioblastom (bösartiger Hirntumor, Anm.d.Red) und wird sterben. Das weiß sie, aber sie verweigert offensichtlich jede Therapie. Das kann man aus ein zwei Einträgen ahnen. Der zweite Fall ist das, was in der Natur mit den Blättern geschieht, Blätterfall und dergleichen. Und der dritte Fall ist tatsächlich eine Figur, die mit eingewoben ist in diese Fiktion, die aber selber historisch ist. Da ist ein historisches Grab. Dort beerdigt liegt eine Figur namens August Gemming. Der ist eigentlich vollkommen unbekannt. Aber was an ihm interessant ist, ist, dass er eben selber auch gedichtet hat. Er hat auch gemalt, ein bisschen komponiert. Und er war sehr, sehr lange Jahre Soldat in der bayerischen Armee. Und diese beiden Figuren, Stränge, die werden nach Art eines chi, also eines griechischen Kreuzes, wenn man so will, miteinander verschränkt.
Das heißt, die Protagonistin, die Linie der Protagonistin, steigt immer weiter ab und die des Oberst Gemmingen steigt immer weiter auf. Er wird ihr Ansprechpartner, ihr Gesprächspartner, auch ihr widerständiger Gesprächspartner. An dem arbeitet sie sich durchaus auch ab. Und was man daran eben merkt, an diesen verschiedenen Fällen, ist, dass das alles zusammenhängt. Ich habe es auch so komponiert, dass es zusammenhängt. Es ist sehr schwer, aus den einzelnen Kapiteln etwas herauszulösen, was nicht auch mit dem anderen zu tun hätte. Und diese Verschränkung hat auch mit dem zu tun, wie ich heute meine Welt erlebe: Wir können nicht mehr so tun, als säßen wir auf einer kleinen, intimen Insel, auf der bevorzugten Seite des Paradieses gewissermaßen, sondern alles hängt mit allem zusammen.
Radio Vatikan: Und wie kam es dazu, das Thema Tod zu behandeln?
Elvira Steppacher: Das Thema Tod und Sterben beschäftigt mich schon sehr lange. Nicht nur, weil mein eigener Vater so früh gestorben ist, sondern ganz generell, weil ich auch natürlich selbst in einem Alter bin, wo um mich herum auch die Menschen sterben und ich mich selbst natürlich auch mit meinem eigenen Tod konfrontieren muss. Gleichzeitig ist es aber auch so, dass jeder, der sich in der Natur bewegt, ganz unwillkürlich mit dem Thema Werden und Vergehen zu tun hat. Das waren eigentlich so die Hauptmotive.
Radio Vatikan: Es geht um das Thema Tod und Sterben. Die Protagonistin sagt: „Ich werde verschwinden, so viel ist sicher." Soll das Buch auch Menschen helfen, mit dem Thema Tod, mit der Vergänglichkeit umzugehen?
Elvira Steppacher: Ich glaube, dass es helfen kann. Ich persönlich habe es aus dem Motiv heraus geschrieben, dass der Tod für jeden von uns ja letzten Endes eine Abwesenheits-Erfahrung ist. Wir alle müssen sterben. Aber was der Tod dann wirklich ist und was danach kommt, kann niemand von uns sagen. Dieses Thema der Abwesenheits-Erfahrung hat die Philosophen zu allen Zeiten fasziniert und gefordert. Später kommt dann das Christentum dazu - nimmt einiges davon auf - aber in einer radikal anderen Weise, indem es eben dieses persönliche Heilsversprechen macht, und dann nicht zuletzt auch die Auferstehungshoffnung in Leib und Seele. Das ist natürlich eine radikal neue Vorstellung, die unfassbar faszinierend gewirkt haben muss.
Ausblicke auch in andere Religionen
Mich persönlich interessiert aber vor allen Dingen beim Tod das Thema Sterben und das, was danach kommt, was niemand wissen kann. Mir war wichtig, dass man dort nicht übergriffige Erzählungen schafft, also ist es mir sehr wichtig gewesen, dass wir hier in diesem Buch, in diesem Stundenheft, immer auch Ausblicke finden in die anderen Religionen und in die anderen Völker, die sich alle, das ist ein Spezifikum, wahrscheinlich der erste Kulturakt, dass sich alle Völker zu allen Zeiten, sogar in der Steinzeit, um ihre Toten gesorgt haben.
Radio Vatikan: Welche Rolle hat Ihr persönlicher Glaube dabei gespielt?
Elvira Steppacher: Also das Buch ist in erster Linie kein Buch über mich, sondern über eine fiktionale Person, die kurz davor steht zu sterben und die sich mit ihrem Sterben auseinandersetzen muss.
Meine eigene religiöse Sozialisierung hat darin sicherlich ihren Platz. Nicht zuletzt, weil ich viele Phasen der Entwicklung durch die verschiedenen Kirchen und Kirchenorte hatte, die ich als Kind, als Jugendliche, als Erwachsene erlebt habe. Das spielt schon eine Rolle.
Auszug aus dem Eintrag zu Allerheiligen
Radio Vatikan: Das Buch ist immer auch nach Datum aufgebaut. Könnten wir da mal eine passende Stelle kurz hören?
Elvira Steppacher: „1. November Allerheiligen, 5 Grad. Trüb, regnerisch, elf bis halb zwölf. Lenggries, Rothenberg, Nürnberg, Bamberg, Neu-Ulm. Die Reiseliste wächst, aber meine Kraft wächst nicht mit. Schaffe es gerade zum Friedhof und zurück. Mittlerweile sehe ich in jedem Rücklicht eine Grableuchte. Von meinem Verschwinden dürfte zuerst das Kreisverwaltungsreferat Notiz nehmen. Weil das Geld für die Parklizenz überwiesen und nicht eingezogen wird. Was wollte ich nicht alles ordnen! Alles aufzugeben, befreit. Eben noch halb voll, warnt das Display plötzlich: Akku leer. Will mir nicht bange machen lassen davon. Kann ja bald ausruhen. Schnell an anderes denken.
In der siechen DDR malten sich die Führungseliten allerhand Anschläge durch den Staatsfeind aus. Um im Falle eines Angriffs direkt zum Regierungssitz zu gelangen, beschlossen die Genossen, mitten durch den jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee eine Trasse zu schlagen. Weg mit den Hinterlassenschaften, Weg mit Platanen, Gräbern, Denkmalschutz. Ihr eigenes Sterbeglöckchen haben sie dabei überhört. 1986 klingelte es zum ersten Mal. Unerschrocken kämpften Frauen gegen die Störung der Totenruhe an. Frauen für den Frieden nannten sie sich. Erhoben Beschwerde, gewannen Fürsprecher, protestierten, hatten Erfolg. Lärmen hilft eben doch. Der jüdische Friedhof steht noch immer. Von wegen Geschichte wiederholt sich nicht.
Die Schwarznuss hier draußen so gut wie entlaubt. Trotzdem hängen letzte Kugeln im Geäst, ausdauernd, wenn du mich fragst. So schnell fallen die nicht. Es war eine Feste im Frankenland, schreibst du in einem Gedicht, als wolltest du den Ort deiner Geburt mythisch überhöhen oder seine Bedeutung bewahren. Denn die von Oben nehmen sich des Bollwerks an, anonyme Mächte der Staatsräson, Ungeister der Zweckdienlichkeit. Für sie ist der Klotz unwichtig geworden, ein bloßer Punkt auf der Landkarte, militärstrategisch ohne Bedeutung. Schlachten gewinnt man jetzt anders.
So hat man geschleift sie. Ich war just zwei Jahr -/ Darum - wird mich Jemand befragen:/ „Wo sind Sie geboren?"/Da muß ich ganz wahr: „Ich hab keine Heimath" ihm sagen.
Ach, Heimat, deine Steine. Es ist eben nicht egal, wo etwas beginnt, wo ein Leben entstanden ist. Nicht egal, wo es endet, wo ein toter Körper bleibt. Liege damit quer zum Trend. 2013 stimmten 59 Prozent der Aussage zu: „Ich brauche keinen Ort zum Trauern." 2017 sind es schon 72 Prozent.
4 Kränze
1 geschmücktes Kreuz
2 Krähen"
Zum Buch
Elvira Steppacher: „Von Fall zu Fall. Ein Stundenheft." 224 Seiten. , 24 Euro. ISBN-13: 978-3-99200-319-8.
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(vatican news/pm - sst)
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