Katholikentag in Deutschland: Glaubensfest, Debatten, Ortsbestimmung
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Katholikentage gibt es in Deutschland seit bald 175 Jahren. Wie würden Sie einer katholischen Person aus einem anderen Kulturkreis erklären, was das eigentlich ist, der Katholikentag?
Marc Frings: Katholikentage sind in der Tat einmalig. Unsere Tradition reicht ja zurück in das deutsche Revolutionsjahr 1848. Und schon damals hat im Grunde genommen die erste Generation katholischer Laien ähnliche Forderungen gestellt wie heute. Es ging um politische Freiheitsrechte, es ging um eine Reform der Kirche, es ging um eine kritische Beobachtung der Bischöfe und des Papstes. Und auch heute, ganz klar, wollen Katholikentage eine Zeitansage sein. Wir wollen ein Motor für Veränderung sein. Wir wollen die Gegenwart bestimmen, aber eben auch als Seismograf nach vorne schauen.
Was heißt das ganz konkret?
Marc Frings: Das heißt ganz konkret, dass ein Katholikentag alle zwei Jahre Zehntausende Menschen zusammenführen möchte, fünf Tage lang in einer deutschen Großstadt, um aktuelle Entwicklungen zu diskutieren, nicht nur mit Kirchenbezug, sondern auch politisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich. Aber beim Katholikentag wird auch der Glauben gefeiert, und es wird der Zustand der Kirche bemessen. Und all das findet bei einem großen Fest statt, nämlich dem Fest, wieder zusammen sein zu können.
Das Fest des Glaubens feiern: Welchen Stellenwert hat der Katholikentag heute im Glaubensleben der Deutschen?
Marc Frings: Ich denke, dass er weiterhin eine feste Größe ist für den organisierten Katholizismus in Deutschland. Er ist wichtig für öffentliche Debatten, denn Kirchen und Katholikentage, wie es sie bei uns gibt, sind konkurrenzlos, was Größe und Vielseitigkeit des Programms angeht. Es geht aber auch darum, wieder öffentlich Diskurse mitzubestimmen, zu beeinflussen. Und ja, Glaubensfragen spielen eine ganz wichtige Rolle.
Wie steht es mit dem ökumenischen Aspekt beim Katholikentag?
Marc Frings: Deutschland und das christliche Leben in Deutschland beschäftigen sich heute viel mehr mit ökumenischen Themen, nicht nur auf der kirchenpolitischen Ebene, wo theologische Fragestellungen diskutiert werden, sondern eben auch ganz konkret bei jedem daheim. Denn die meisten Paare, die heute noch kirchlich heiraten, das muss man ja so deutlich sagen, tun dies konfessionensverbindend. Das heißt also, Ökumene ist ein Thema, das nicht mehr nur in Akademikerinnen-Kreisen geführt und behandelt wird, sondern eben auch den Alltag von Christinnen und Christen bestimmt. Und deswegen ist es wichtig, auch hier eine Standortbestimmung vorzunehmen: Wo bewegt sich hier die Kirche, wo bewegen sich die Kirchen? Und gleichzeitig geht es natürlich - auch das gehört für mich zum Glaubensleben dazu - um eine nähere Betrachtung der Institution katholische Kirche. Auch hier braucht es einen genauen Blick auf die institutionellen Reformen, die wir möglicherweise für relevant erachten.
Da schließt sich die Frage an: Welche Impulse erhoffen Sie sich vom Katholikentag für den Synodalen Weg und auch für die Weltsynode?
Marc Frings: Zunächst einmal gehen wir in Deutschland den Synodalen Weg mit einer ganz klaren Begründung. Wir haben ihn Ende 2019 begonnen, im Angesicht der sogenannten MHG-Studie, also der Studie, die systematisch aufbereitet hat, wie es zu dem Missbrauch und zur Vertuschung des Missbrauchs in der katholischen Kirche kam. Der Synodale Weg wird jetzt noch ein Jahr laufen. Insofern ist der Katholikentag in Stuttgart eine ganz wichtige Wegmarke, um zu schauen, welche Impulse noch einmal aus der Breite der Gesellschaft kommen. Denn auf dem Synodalen Weg sind ja nur 230 Vertreterinnen und Vertreter der Bischofskonferenz und Personen, die vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken dorthin entsandt worden sind. Es ist aber auch wichtig, in Interaktion zu sein, und diese Interaktion konnte in den letzten zwei Jahren nur sehr eingeschränkt stattfinden aufgrund der Pandemie. Umso wichtiger ist deswegen jetzt der Katholikentag.
Auf welche Weise will der Katholikentag sozusagen den Puls der Laien messen, die ihre Kirche gerne synodal gestalten möchten?
Marc Frings: , aber sind auch auf der Kirchenmeile mit einem Stand vertreten, sodass es viel Interaktion geben wird. Und ich verspreche mir sehr viele Impulse, die wir dann auch wieder in die verschiedenen Maschinenräume auch einspeisen können. Der Synodale Weg besteht nicht nur aus dem großen Plenum, das zweimal jährlich in Frankfurt tagt, sondern auch aus vier Foren, wo die konkreten Themen Sexualmoral, Rolle der Frau, Priester, Macht und Gewaltenteilung diskutiert und beraten werden.
Zwischendurch in der Vorbereitung war nicht sicher, ob der Katholikentag wegen Corona überhaupt stattfinden kann. Aber er kann jetzt unter normalen Bedingungen in Stuttgart stattfinden. Wie viele Gäste und welche Stimmung erwarten Sie?
Marc Frings: Wir freuen uns sehr, dass wir wieder eine analoge Großveranstaltung organisieren können. Der dritte Ökumenische Kirchentag letztes Jahr konnte leider nur digital und dezentral stattfinden. Der Katholikentag jetzt wird analog durchgeführt. Aber wir haben natürlich aus den letzten Jahren gelernt. Wir bieten auch ein Digital-Angebot an, einige Bühnen werden rund um die Uhr gestreamt, sodass man sich auch im Internet informieren kann, auch über die App, die wir benutzen, Fragen und Kommentare einspeisen können. Das heißt, wenn man es nicht nach Stuttgart schafft, kann man trotzdem ein Katholikentags-Erlebnis haben.
Und wie viele Gäste erwarten Sie in Präsenz?
Marc Frings: Wir gehen davon aus, dass es sich jetzt um eine der ersten Veranstaltungen nach den größeren Kommunalwahlen handelt, dass wir 20.000 oder mehr Menschen nach Stuttgart locken können mit unserem Angebot. Und Sie fragen nach der Stimmung, ich glaube, dass wir durchaus mit Ambivalenz jetzt auch nach Stuttgart gehen werden: Auf der einen Seite haben es die Menschen verdient, durchzuatmen und sich wieder über das Zusammenkommen zu freuen und eine gewisse Spur der Gelassenheit auch dabei zu entfalten. Aber wir tun dies natürlich alles mit der gebotenen Ernsthaftigkeit angesichts der Themen, insbesondere angesichts der Kriegssituation in der Ukraine. Wir werden eine ganze Reihe von Veranstaltungen dazu anbieten, inklusive einer Friedenskundgebung. Wir haben in den letzten Wochen das Programm entsprechend nachgeschärft, um deutlich zu machen: Wir sind aktuell unterwegs, und wir schauen natürlich als Christen besorgt auf die Lage im Osten unseres Kontinents.
(vatican news)
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