Neue Caritas-Präsidentin: Not lindern und Not verhindern
Stefanie Stahlhofen - Vatikanstadt
Radio Vatikan: Welche Bedeutung hat es, dass jetzt mit Ihnen erstmals eine Frau Präsidentin des Deutschen Caritasverbands ist?
Eva Maria Welskop-Deffaa, designierte Präsidentin des Deutschen Caritasverbands:
Für mich selbst habe ich gedacht, was mich auszeichnet, ist nicht in erster Linie mein Frausein. Ich habe mich beworben, weil ich glaube, dass ich für die Kombination von Erfahrung und Aufbruch stehe, für Tradition und Wandel. Und die Tatsache, dass ich schon vier Jahre hier im Vorstand gearbeitet habe, macht es mir leicht - in einer Zeit in der es um uns herum brodelt und wir sofort handlungsfähig sein müssen - unmittelbar anzuknüpfen an die Aufgaben des bisherigen Caritas-Präsidenten Peter Neher.
Aber ich habe dann doch gespürt im Verfahren, dass die Tatsache, dass ich eine Frau bin, für viele andere Frauen eine hohe Signalwirkung hat und dass wir in der Kirche miteinander dringend nach Orten und Gelegenheiten suchen müssen, bei denen wir nicht nur darüber reden, dass Frauen mehr Führungsverantwortung bekommen sollen, sondern dass wir das dann auch machen. Da war diese Caritas-Präsidentenwahl eine Chance, die weit über den Caritasverband hinaus gesehen wurde. Und ich bekomme jetzt von überall her Glückwünsche, gerade von den katholischen Frauenverbänden, die sagen: „Jetzt haben wir an einer ganz wichtigen Stelle gezeigt: Wir haben Frauen, die diese Aufgaben in der Kirche wahrnehmen können und wollen.“
Das ist ein Ausdruck von Zukunftsmut in einer Zeit, in der wir in der katholischen Kirche dann doch auch manchmal etwas bedrückt sind, ob der vielen, vielen Probleme und Schwierigkeiten denen wir uns gegenüber sehen.
Erwartungen an die neue Regierung
Radio Vatikan: Gemeinsam mit Peter Neher, dem bisherigen Präsidenten des Deutschen Caritasverbandes, haben Sie jetzt auch gerade erst ganz frisch am Donnerstag einen veröffentlicht. Was wünschen Sie sich denn von der neuen Regierung?
Eva Maria Welskop-Deffaa: Wir wünschen uns sehr von der neuen Regierung, dass sie die Armen nicht vergisst, dass sie die Ausgegrenzten in den Blick nimmt und dass sie die Menschen, für die das Tempo der Veränderungen zu hoch ist, durch geeignete Strukturen der Unterstützung auffängt. Das ist ja eines der Phänomene dieser Zeit, dass es überall so dramatisch schnell geht: Wir haben bei der Digitalisierung gespürt, wie schnell plötzlich alles nach anderen Spielregeln funktioniert; die Pandemie hat uns vor Augen geführt, dass so ein Virus innerhalb von wenigen Wochen die ganze Welt umrundet und alles auf den Kopf stellt, was uns bisher als selbstverständlich erschien - auch der Klimawandel vollzieht sich zum Teil in atemberaubender Geschwindigkeit.
In einer solchen Zeit dramatischer Beschleunigung droht es immer mehr Menschen zu geben, denen dieses Tempo einfach zu schnell ist, die den Anschluss verlieren. Wenn die Politik nicht aktiv auf diese Menschen achtet, dann werden wir gesellschaftliche Spaltungen erleben, neue Formen von Armut und Ungleichheit. Da muss man präventiv darauf achten und nicht nachsorgen. Unser Anspruch ist: Not lindern und Not verhindern. Dafür braucht es in einem Koalitionsvertrag klare Verabredungen, damit man nicht plötzlich nach ein, zwei Jahren merkt, das Geld wird knapp und dann spart man an den sogenannten freiwilligen Leistungen.
Radio Vatikan: Wo möchten Sie sich jetzt noch selbst einbringen, wo sagen Sie, das ist ein neues Thema, das Ihnen noch besonders wichtig ist?
Klimapolitik muss auch sozial gerecht sein
Eva Maria Welskop-Deffaa: Ich möchte gern zunächst noch einmal etwas zum Thema Klimaschutz sagen. Der Aspekt, der mir besonders wichtig bei dem Thema ist, ist, dass wir als Caritas wirklich diese Verknüpfung von Sozialpolitik und Klimaschutz betonen und nicht nur die allgemeinen Klima-Themen unterstützen. Sondern immer auch wieder fragen: Wo sind die Zusammenhänge zwischen einer Klimapolitik und einer überzeugenden Sozialpolitik? Mir ist das deswegen so wichtig, das noch mal zu sagen, weil ich davon überzeugt bin, dass wir nachhaltig gesellschaftlich nur Erfolge erzielen werden in der Klimapolitik, wenn sie auch als sozial gerecht empfunden wird. Da hat mich erst kürzlich eine Umfrage irritiert und unruhig gemacht, laut der mehr als 50 Prozent der Menschen die jetzige Politik der Energiewende als ungerecht empfinden. Sie sei chaotisch, sagen mehr als 60 Prozent und mehr als 70 Prozent sagen, sie ist zu teuer. Da merkt man, dass man durch die Art und Weise, wie etwa durch die Subventionierung von Elektroautos, nur eine Mittelschicht hat profitieren lassen.
Den Maßnahmen ist nicht gelungen, die Klimapolitik als eine Politik erscheinen zu lassen, die auch den Menschen am unteren Rand der Einkommensskala nutzt. Das wäre aber dringend notwendig, dass man Klimapolitik genau so ausgestaltet. Dieser spezifische Aspekt der Klimapolitik ist mir wichtig. Außerdem auch der Zusammenhang von nationaler und internationaler Politik im Bereich der Klimapolitik ist mir auch persönlich ein großes Anliegen.
Wir alle wissen, die Fluchtbewegungen, die jetzt schon eines der großen globalen Krisen-Phänomene sind, werden noch erheblich beschleunigt werden – etwa wenn in Bangladesch der Meeresspiegel weiter ansteigt und wenn Regionen Afrikas zur Wüste werden. Wenn die Lebensgrundlagen der Menschen dort vernichtet sind, dann werden sich Menschen auf den Weg machen gen Norden und wir werden alle miteinander die Klimafolgen vor der eigenen Haustüre sehen.
Wie ich Präsidentin des Caritasverbandes sein möchte
Damit sind wir schon bei einem der beiden Punkte, die zu kennen nicht falsch ist, wenn man wissen will, wie ich Präsidentin des Caritasverbandes sein möchte. Erstens: Nationale und internationale Caritas-Arbeit in ganz engem Zusammenhang sehen, das sind nicht zwei getrennte Welten. Wenn wir in Deutschland überzeugende Sozialpolitik machen wollen, dann sollten wir in einem Atemzug immer auch deutlich machen, dass unsere Solidaritätserwartung über den eigenen Tellerrand hinaus reicht. Das ist mir in der Pandemie noch mal so deutlich geworden: Wie viele Menschen - auch in unseren Einrichtungen - waren in dieser Notlage versucht, die Diskussion um die eigene Impfquote isoliert in den Vordergrund zu stellen.
Es bedarf aber einer internationalen Impfsolidarität, wenn wir die Pandemie überwinden wollen, und wenn wir unserem Verständnis von Nächstenliebe und Verantwortung gerecht werden wollen. Das Klima-Thema - ich habe es gerade schon gesagt - ist ein zweites Thema, bei dem man deutlich merkt, dass eine glaubwürdige Solidarität nur national und international gemeinsam gelebt werden kann.
Glaubwürdige Solidarität muss national und international gelebt werden
Das ist übrigens auch eine große Herausforderung für den Verband in unserer Kommunikation. Den Menschen ist es oft viel leichter, die Probleme in der eigenen Nachbarschaft wahrzunehmen und dort dann auch zu helfen. Im internationalen Zusammenhang fühlt man sich oft zu ohnmächtig und denkt: „Da kann ich ja doch nichts bewirken.“ Da Mut zu machen und Geschichten zu erzählen, wie das Netz der verbandlichen Caritas international dann doch segensreich wirkt, das wird mir ein wichtiges Thema sein.
Innovation und katholischer Wohlfahrtsverband sind kein Gegensatz
Das zweite Thema, das mich umtreibt, ist das Thema Innovationen. Das ist ein bisschen abstrakt für den katholischen Wohlfahrtsverband. Ich finde es aber so unglaublich faszinierend, wenn ich durch den Verband reise, zu sehen dass vor Ort unsere Einrichtungen und Dienste so dramatisch innovativ sind, wenn es darum geht, konkrete Probleme von Menschen in Not zu lösen.
Da findet man immer wieder ein passgenaues Angebot, was auf eine neue Problemlage reagiert. Beispielsweise in der Pandemie, wo Hygiene-Regeln die reguläre Arbeitsform nicht zuließen. Da waren sofort Kollegen und Kolleginnen in der Lage, auf digitale Formate umzuswitchen oder zu sagen: Wir machen jetzt Beratung nicht in geschlossenen Räumen, sondern wir machen „walk and talk", wir machen Ge(h)spräche, also im Spazieren gehen. Wir machen unsere Essensausgabe über einen Foodtruck, der dann auf Marktplätzen steht. Überall gab es Öffnung in den öffentlichen Raum.
Das sind jetzt nur einige Beispiele von dem, was ich wirklich überall im Verband wahrnehme: eine hohe Innovationsbereitschaft, eine hohe Innovationsfähigkeit. Öffentlich klingt Wohlfahrtsverband aber häufig nach verstaubter Institution des 19. Jahrhunderts. Dieses Image zu ändern, deutlich zu machen, in den Wohlfahrtsverbänden haben wir die wirklichen Innovationstreiber und wir können die guten Ideen mit unserem institutionellen Netz schnell skalieren, damit das, was in Hamburg erprobt wird und was in Passau aber auch passen würde, dort unverzüglich auch angewandt werden kann. Das ist so etwas, das mich umtreibt und worauf ich ganz viel Lust habe im neuen Amt.
(vatican news)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.