Kardinal Kasper über Küng: „Er wollte die Kirche nie verlassen“
, der am Dienstag 93-jährig verstarb. Darin berichtet er über seine persönlichen Erfahrungen mit dem wichtigen Theologen, dessen Assistent er von 1961 bis 1964 an der Universität Tübingen war. Mit Küng habe ihn ein Verhältnis der Wertschätzung und des Respekts verbunden, so Kasper, wenn er auch über die theologischen Inhalte seines Denkens nicht einer Meinung war.
Das Interview des Journalisten Nicola Gori mit Kardinal Kasper wurde im Original auf Italienisch geführt. Anbei eine deutsche Arbeitsübersetzung von Pope.
L’Osservatore Romano: Wie haben Sie den Schweizer Theologen kennengelernt?
Kardinal Kasper: Ich habe ihn zum ersten Mal getroffen, als ich an der Universität Tübingen promoviert habe. Das war gegen Ende der fünfziger Jahre. 1961 wurde ich zum Doktor der Theologie promoviert und war unmittelbar danach bis 1964 Assistent bei den Professoren Leo Scheffczyk und Hans Küng. Ich habe von beiden gelernt. Als ich dann 1964 promoviert wurde, wechselte ich an die Theologische Fakultät in Münster, um dort Dogmatische Theologie zu lehren.
L’Osservatore Romano: Wie war Ihr Verhältnis zu Küng?
Kardinal Kasper: Meine Beziehung zu ihm war gut. Damals haben wir gut zusammengearbeitet. Wir distanzierten uns später in der Frage des Dogmas der päpstlichen Unfehlbarkeit und in anderen christologischen und theologischen Fragen. Ich erinnere mich, dass ich mich von ihm distanzierte, als die Glaubenskongregation ihm 1979 die missio canonica, also die Lizenz zum Theologielehren, entzog. Das löste eine echte Krise in der Fakultät aus, die sich spaltete. In den letzten Jahrzehnten war unser Verhältnis immer von gegenseitigem Respekt geprägt. Wir haben regelmäßig Grüße und gute Wünsche zu festlichen Anlässen ausgetauscht. Natürlich gab es weiterhin theologische Differenzen, aber auf der menschlichen Ebene war die Beziehung unkompliziert und friedlich. Besonders anlässlich seines achtzigsten Geburtstages hatten wir einen sehr schönen Briefwechsel.
L’Osservatore Romano: In welchen Punkten waren Sie insbesonders mit Küng nicht einverstanden?
Kardinal Kasper: Küng war nicht nur eine kirchenkritische Stimme oder ein Rebell. Er war ein Mensch, der eine Erneuerung in der Kirche herbeiführen und ihre Reform durchführen wollte. Es gab eine gemeinsame Basis, wie die neoscholastische Theologie, die auf der Bibel und der historischen Forschung basierte. Er ging jedoch meines Erachtens darüber hinaus - über die katholische Orthodoxie hinaus - und blieb deshalb nicht an eine auf der Lehre der Kirche basierende Theologie gebunden, sondern „erfand“ seine eigene Theologie. Wie Yves Congar einmal sagte, war Küng katholisch, aber auf seine eigene Art. Er fühlte sich als Theologe berufen, Dinge in der Kirche zu verändern, und es gelang ihm tatsächlich, das Evangelium auch glaubensfernen Menschen zu erklären. Darin ist er gut, aber seine Ekklesiologie ist zu „liberal“. Er entfernte sich auch von der Position des Schweizer Theologen Karl Barth, seines großen Meisters.
In einem Punkt waren wir uns jedoch einig: über die Notwendigkeit des ökumenischen Dialogs. Er hat den ersten Schritt in diese Sphäre getan. Aber wir waren weit voneinander entfernt und es gab Differenzen über die Rechtfertigungslehre und über die Ämter in der Kirche. Auf jeden Fall konnte man mit ihm reden. Er war ein kämpferischer Mann: man kann sagen, er liebte den Dialog mit Herzblut. Es blieben Differenzen zwischen uns, aber eine Feindschaft ist nicht entstanden.
L’Osservatore Romano: Ging es eher um Sachfragen oder die Methode?
Kardinal Kasper: Es ging nicht nur um die Methode, sondern um deutliche inhaltliche Differenzen, vor allem, wie gesagt, über die Unfehlbarkeit des Papstes und über Jesus als Sohn Gottes. Ich bestreite nicht, dass man Kritik üben kann, aber es kommt darauf an, wie man die Dinge sagt. Und er kritisierte auf seine Weise, harsch, manchmal ungerecht. Andererseits hatte er eine für alle verständliche Sprache, wenn er denen die Religion erklärte, die dem Glauben und der Kirche fernstanden oder die sich von ihm entfernt hatten.
L’Osservatore Romano: Was ist das Vermächtnis, das er der Kirche hinterlassen hat?
Kardinal Kasper: Ich glaube, er hat der theologischen Fakultät in Tübingen ein wichtiges Vermächtnis hinterlassen, vor allem in der Frage des interreligiösen Dialogs. Dafür erntete er auch außerhalb der Kirche Respekt. 1993 gründete er die Stiftung Weltethos, um die Zusammenarbeit der Religionen durch die Anerkennung gemeinsamer Werte zu fördern. Und nicht nur das: Er hat der Kirche auch andere Reformideen hinterlassen, die in Deutschland aktuell geworden sind. Allerdings habe ich persönlich Zweifel an diesen Reformen. Ich bin auf einer anderen Position, denn er wollte die Ordination von Frauen und die Abschaffung des Zölibats.
L’Osservatore Romano: Er hat seine Kämpfe mit Offenheit geführt, und hat die Kirche nie verlassen wollen?
Kardinal Kasper: Er hat die Kirche nie verlassen und wollte auch nie aus ihr austreten. Viele Theologen verließen die Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Er nicht. In der Tiefe seines Herzens war er katholisch. Natürlich war sein Verhalten nicht immer so. Aber das ist eine andere Sache: Er hat nie daran gedacht, die Kirche zu verlassen. Und das ist sehr wichtig. Auch gab es am Ende seines Lebens eine Annäherung an Papst Franziskus. Letzten Sommer habe ich den Papst angerufen und ihm gesagt, dass Küng dem Tod nahe sei und in Frieden mit der Kirche sterben wolle. Papst Franziskus bat mich, ihm „in der christlichen Gemeinschaft“ seine Grüße und Segenswünsche zu übermitteln. Sicherlich waren theologische Differenzen geblieben und wurden nicht ausgeräumt. Inzwischen konnte nicht mehr über sie diskutiert werden. Auf der seelsorgerischen und menschlichen Ebene kam es jedoch zu einer Befriedung. Er selbst sprach nach seinem 90. Geburtstag vor drei Jahren von einer faktischen Rehabilitierung, nicht von einer juristischen. Mit der Wahl von Papst Franziskus gab es zwar einen gewissen Konsens zum päpstlichen Lehramt, aber er hat es zu sehr mit den Vorstellungen seiner Zeit interpretiert. Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass er sehr an einer Versöhnung interessiert war. Er wollte trotz aller Differenzen in Frieden mit der Kirche sterben.
L’Osservatore Romano: Wie war das Verhältnis zwischen den beiden Professoren und Theologen Joseph Ratzinger und Hans Küng?
Kardinal Kasper: Ratzinger war zweieinhalb Jahre lang Professor in Tübingen, in der gleichen Fakultät wie Küng. Sie trafen sich 1957 und arbeiteten als theologische Experten bei der letzten Sitzung des Zweiten Vatikanischen Konzils mit. Sie waren auf unterschiedlichen theologischen Positionen. Sie schätzten und respektierten sich gegenseitig, waren sich aber nicht einig. Als Ratzinger Papst Benedikt XVI. wurde, lud er den Theologen nach Castel Gandolfo zu einem Treffen und einem ausführlichen Gespräch ein, nicht über Differenzen, sondern über allgemeine Fragen der Theologie. Die gegenseitige Wertschätzung und der Respekt hielten dennoch an. Ich muss sagen, dass Küng in der Vergangenheit schlecht über Ratzinger gesprochen hatte. Und das war für mich inakzeptabel. Ich glaube aber, dass das Ansehen Ratzingers in den letzten Monaten gleichgeblieben ist. Ich weiß, dass Benedikt XVI. für ihn gebetet hat, die persönliche Beziehung zwischen den beiden war nicht gestört.
(vatican news – pr)
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