Covid-19-Impfung: „Berufsgruppen in besonderer Verantwortung“
Mit Blick auf Söders Vorstoß meint der Ethik-Experte: „Der Ausgangspunkt für diese Initiative ist völlig klar, wir leben in einer Corona-Pandemie, die nicht nur einzelne Länder oder Volkswirtschaften, sondern ganze Kontinente in Schieflage bringt. Deshalb müssen die Politik, die Gesundheitsvorsorge und auch eine Gesellschaft sich darum kümmern, wie eine Lösung für dieses Problem aussehen könnte“, erläutert der Weihbischof. Nach langen Jahren als Vertreter im nationalen Ethikrat sitzt er nun im neu gegründeten Bayerischen Ethikrat und ist Bischofsvikar für Bioethik und Sozialpolitik im Bistum Augsburg. Die derzeitigen Vorsichtsmaßnahmen wie Abstand, Hygiene und Maskenpflicht hätten eigentlich nur eine „aufschiebende Wirkung“, gibt Losinger zu bedenken. „Die eigentliche Lösung erwartet man sich von einer Impfung. Hier stehen inzwischen eine Reihe von wohl erprobten Präparaten zur Verfügung, die eine Immunisierung der Bevölkerungsgruppen erreichen und damit eine Lösung in Aussicht stellen.“
Allgemeine Impfpflicht nein - besondere Verantwortung Einzelner ja
Genau hier, so der Augsburger Weihbischof, sehe er den Punkt, wo die politische Initiative zu begründen sei. Jedoch müsste sehr differenziert der Rahmen der Möglichkeiten ausgelotet werden: „Im Blick auf den Deutschen Ethikrat, also auf die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates, sehe ich hier eine sehr deutliche Unterscheidung - einerseits eine allgemeine Impfpflicht für alle Menschen, das gibt das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland auch vor dem Freiheitsbegriff, den es repräsentiert, nicht her. Allerdings könnte man bestimmte Berufsgruppen in einer besonderen moralischen Verpflichtung sehen gegenüber denjenigen Menschen, für die sie Verantwortung tragen.“
Insbesondere denke er dabei nicht nur an die von Söder angesprochenen Pfleger, sondern auch an Lehrer und Kindergartenbetreuer, Ärzte und andere Berufsgruppen, die in Kontakt mit besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen stünden, so Losinger. Doch das Problem sei vor allem die Impfskepsis, die dem Vorstoß Söders zugrunde liege, gibt der Ethikfachmann zu bedenken.
WHO: Impfskepsis eine der zehn größten Bedrohungen für Gesundheit
„Tatsächlich hatte die Weltgesundheitsorganisation Ende des vergangenen Jahres ausdrücklich gesagt, dass Impfskepsis zu einer der zehn größten weltweiten Bedrohungen für die Gesundheit der Menschheit gehört, weil Immunisierung gegen bedrohliche Krankheiten dann aussteht und weil damit Gesundheit und Leben von Menschen gefährdet ist. Zur Frage der Impfskepsis muss man sehr nüchtern sagen, es gibt eine klare Logik und Vernunft, sich gegenüber gefährlichen pandemischen Erkrankungen impfen zu lassen.“
Doch schon allein das Thema Masern, zu dem der Ethikrat im Herbst 2019 eine sehr ausführliche Stellungnahme abgegeben hatte, zeige deutlich, dass viele Menschen einer Impfung skeptisch gegenüberstünden: „Das hat damit zu tun, dass Menschen auch in unterschiedlichen Phasen unterschiedlich denken. Die große Herausforderung an Gesellschaft, Staat und Politik besteht nun darin, auch verstärkt durch klare medizinische Argumente den Vorteil einer solchen Impfung zum Wohl der Menschen zu begründen,“ meint Losinger.
Der Deutsche Ethikrat habe sich im Juni 2019 bereits sehr grundsätzlich im Blick auf eine ausgesprochen, so Losinger, der seit 2005 bis 2016 in dem nationalen Gremium (das zwischendurch seine Benennung änderte) vertreten war. Im November 2020 wiederum habe der Ethikrat mit der Ständigen Impfkommission und der Nationalakademie Leopoldina eine gemeinsame Empfehlung für einen geregelten Zugang zu Covid-19 Impfstoffen abgegeben, „ein gutes interdisziplinäres Gespräch“, betont der Kirchenmann.
Stellungnahmen zu ethisch relevanten Fragen
„Und darüber hinaus ist im Ethikrat neben den klassischen umfangreichen Stellungnahmen auch das Instrument von ad-hoc Stellungnahmen möglich, wo in Kürze ein Impuls nach außen gegeben wird - und darüber hinaus gibt es natürlich auch die Möglichkeit, dass einzelne Mitglieder oder auch Leiter von Arbeitsgruppen oder auch die Vorsitzenden sich zu spezifischen drängenden gesellschaftspolitischen und medizinischen Problemen äußern“, erläutert er die verschiedenen Möglichkeiten von Stellungnahmen zu ethisch relevanten Fragen.
Aufklären, Erinnern, Beruhigen
Wichtig sei es nun, die Gesellschaft dafür zu sensibilisieren, dass es auch in Ermangelung einer allgemeinen, überprüfbaren und zu sanktionierenden Impfpflicht gewissermaßen eine „berufsspezifische gesteigerte Verantwortung für andere Menschen“ bestehe. Er sehe in diesem Zusammenhang verschiedene Maßnahmen, die für eine breitere Akzeptanz der Impfung unter der Bevölkerung sorgen könnten:
„Erstens eine ganz klare Aufklärung zu den Vorteilen und zu den Vorgängen einer Impfung. Zweitens auch ein Erinnerungssystem in den Arztpraxen, wo immer wieder darauf hingewiesen wird, auch Impfungen zu machen und zu erneuern. Drittens eine Aufklärung der Bevölkerung über die großen Chancen, die mit einer Impfung zu tun haben, gegenüber den bedrohlichen Nachteilen etwa bei Masern-Impfpflicht, und schließlich immer wieder aufzuklären über die minimalen Risiken bei einem erprobten Impfstoff, so wie das jetzt etwa auch bei den bewährten Impfstoffen gegen Corona der Fall ist.“
(vatican news - cs)
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