Wahlen in Ostdeutschland: Hoffnung auf Stärkung der Mitte
Pope: Herr Arnold, Missmut oder Erleichterung, welche Gefühle haben Sie heute nach dem Wahlsonntag?
Arnold: Hoffnung! Hoffnung, dass jetzt eine Regierung möglich wird, die in der Mitte der Gesellschaft eine Mehrheit bilden kann. Der Grund dafür ist, dass eine offensichtlich rechtspopulistische Partei jetzt fünf Jahr lang nur in der Opposition arbeiten kann. Weiter hoffe ich, dass die Gespräche in der Gesellschaft jetzt wieder mehr angekurbelt und Positionen überdacht werden. Ich würde mir wünschen, dass wir dadurch eine stärkere Positionierung in der Mitte wiederfinden. Ich glaube, dass die Thematiken des demographischen Wandels und die Erfahrungen nach der Friedlichen Revolution dabei wichtige Punkte sind, die uns vom Rest der Republik unterscheiden. In der Wahlanalyse müssen wir sehr genau hinschauen, wie die Gesellschaft, die Parteien, aber auch die Kirche damit umgehen.
Pope: Die AfD ist dennoch zweitstärkste Kraft in Sachsen. Was braucht Sachsen, was braucht Ostdeutschland jetzt?
Arnold: Sachsen braucht den Mut, nicht immer nur über eine rechtspopulistische Partei zu sprechen. Wir müssen stattdessen weiter das Gespräch darüber suchen, was dieses Land bewegt. In den vergangenen Wochen ist es zum ersten Mal gelungen, dass wir wieder wirklich eine politische Debatte hatten. Man hat sich über verschiedene Positionen ausgetauscht, die in den Wahlkampf eingebracht worden. Jetzt beginnt aber auch ein Ringen um die Macht nach der Wahl. Es geht darum, welche Positionen in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt werden können. Ich hoffe, dass die Leitmotive dabei Frieden, Bewahrung der Schöpfung und Gerechtigkeit sein werden. Diese Motive haben das Land schon vor 1989 geprägt. Es tut aber auch gut, wenn ein neuer Koalitionspartner mit ins Spiel kommt. Dadurch kann eine Veränderungsdynamik angestoßen werden. Dennoch ist es wichtig, dass die bewährten Kräfte mit ihren Erfahrungen in den politischen Prozessen weiter agieren können. Mir ist eines ganz besonders wichtig: Sachsen hört auch nach dem 2. September nicht auf, politisch zu sein – das sage ich in Hinblick auf alle gesellschaftlichen und politischen Kräfte, aber auch auf die Kirchen. Wir als Land müssen lernen, dass wir auch zwischen Wahlen und Wahlkämpfen Verantwortung tragen. Wir tragen Verantwortung für das Gemeinwohl und für die Gesellschaft. Dort gilt es, sich einzubringen. Dazu gehört es, sich auch öffentlich zu äußern. Debatten dürfen nicht nur am Stammtisch geführt werden. Sie müssen mit Argumenten der Vernunft angereichert und mutig in der Öffentlichkeit geführt werden. Dazu gehört es auch, eine Sprache zu pflegen, die die Würde des Anderen als Prämisse hat. Außerdem darf die Suche nach einem Konsens nie enden. Dennoch: Streit gehört zur Demokratie. Wir haben jedoch gestern gesehen, dass Demokratie funktioniert. Jetzt geht es darum, wie wir diese Demokratie gestalten.
Pope: Ändert der Ausgang der Wahl etwas am Umgang mit der AfD?
Arnold: Wir müssen lernen, mit den Menschen, die diese Positionen vertreten, die diese Partei gewählt haben oder Mitglied der Partei sind, ordentlich umzugehen. Wir dürfen diese Menschen nicht als Person diffamieren. Wir müssen allerdings diese Positionen sehr klar anschauen und mit unserem christlichen Wertefundament prüfen. Im Ernstfall müssen wir auch an einigen Stellen unsere Stimme erheben. Weiter müssen wir deutlich benennen, wo es radikalisierende Tendenzen gibt.
Pope: Sie sprechen von christlichen Werten. Was kann Kirche in Ostdeutschland überhaupt leisten?
Arnold: Der Einfluss der Kirche in Ostdeutschland ist höher als wir einschätzen. Natürlichen bilden Katholiken bei uns eine Minderheit von drei bis vier Prozent. Christen allgemein sind bei uns mit 20 bis 25 Prozent in der Minderheit. Wie selten zuvor habe ich jedoch in den letzten Monaten und Jahren erlebt, dass die Menschen Orte der Kirche aufsuchen. Das passiert nicht unbedingt aus liturgischen Gründen, sondern weil sie dort Formen finden, wo sie als Menschen akzeptiert werden. Wo sie mit ihrer Meinung akzeptiert werden und wo sie eine Institution vorfinden, die nicht politisch vorgeprägt ist. Sie finden dort auch ein Wertekorsett oder besser gesagt ein Wertefundament, das ihnen helfen kann. Als Kirchen sind wir an vielen Orten vertreten, wo wir auch Einblick in Konflikte haben. Dieses Potenzial müssen wir nutzen. Wir können das friedliche Miteinander in der Gesellschaft befördern, indem wir die Foren dafür zur Verfügung stellen und diesen Diskurs anbieten.
Pope: Gerade in Ostdeutschland taucht an dieser Stelle jedoch ein Begriff immer wieder auf: die Vereinnahmung. Vereinnahmung durch politische Positionen – geschichtlich bedingt. Was ist nötig, damit bei den Menschen in Ostdeutschland kein neues Gefühl der Vereinnahmung hervorgerufen wird?
Arnold: Der große Wert der Kirchen – das haben wir 1989 gezeigt – ist, dass wir auch andere Positionen aushalten. Wir haben ein Menschenbild, das uns jeden Menschen akzeptieren lässt. Wir können Gesprächsforen bieten, dürfen dort aber unsere Positionen im Dialog miteinbringen. Dialog heißt immer, gegenseitig aufeinander zu hören und Argumente auszutauschen. Wenn ich mich mit anderen – auch mit AfD-Vertreten – austausche, fordert es von mir, meine eigenen Positionen zu hinterfragen und wenn nötig, auch zu revidieren. Es gehört dazu, die Freude und die Trauer der anderen zuerst anzunehmen, aber dann auch meine eigene christliche Position anzubieten. Wir als Christen können unserer gesamten Gesellschaft viele aus dem Glauben gespeiste sozial-ethische Positionen anbieten. Wir können eine Hoffnungsperspektive aus dem Glauben anbieten. Das ist kein billiger Optimismus. Diesen Wert können und müssen wir in die Debatte einbringen.
Pope: Sie selbst haben versucht im Projekt „SachsenSofa“ mit Menschen in strukturschwachen Regionen in Sachsen – potenziellen AfD-Wählern – ins Gespräch zu kommen. Braucht es in Zukunft noch mehr solcher Initiativen in Ostdeutschland?
Arnold: Für unser eigenes Projekt würde ich mir wünschen, dass sich das SachsenSofa „go west“ auf den Weg macht, das heißt, dass wir es schaffen, dass die Debatten, die wir hier haben, auch in den alten Bundesländern geführt werden. Damit meine ich insbesondere die Debatten zwischen Jung und Alt und zwischen Stadt und Land. Mit unserem Projekt haben wir viel im Hintergrund gereicht. Wir haben einen Teil dazu beigetragen, Vorurteile abzubauen und neue Anstöße zu geben. Unser Projekt lebt auch nach der Wahl weiter, denn wir müssen im Gespräch bleiben.
Das Gespräch führte Julia Rosner.
(vatican news)
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