Kaputte Regierung in Wien: „Ein österreichisches Watergate“, sagt Bischof Zsifkovics
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Für ihn seien die Vorgänge „ein österreichisches Watergate“, sagte der Eisenstädter Diözesanbischof im Gespräch mit uns. Er vertraue aber darauf, „dass in Österreich die Demokratie und die Institutionen so stark sind und auch funktionieren, dass wieder Licht in diese moralische Sonnenfinsternis kommt“. Im September finden vorgezogene Neuwahlen statt.
Pope: Österreichs Regierung ist soeben an der „Causa Strache“ zerbrochen, der Vizekanzler der FPÖ musste zurücktreten, mit ihm dann alle Minister der Partei. Ein vor zwei Jahren auf Ibiza verdeckt aufgenommenes und nun veröffentlichtes Video zeigt Straches Bereitschaft zu Korruption in großem Maßstab und seinen Plan massiver politischer Einflussnahme auf Österreichs Medien. Wie deuten Sie diesen Vorgang?
Zsifkovics: „Ich muss als Bischof klar sagen: Was hier passiert ist, ist sicher nicht förderlich für Europa. Gerade in einer Zeit, wo die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung und vor allem bei den jungen Menschen auch vorhanden ist, so etwas zu erleben, das ist der fast normale Wahnsinn. Das tut uns allen sehr weh und stimmt mich sehr traurig. Und das lehne ich voll und ganz ab.
Aber das Zweite ist, wir müssen genau hinschauen. Was da passiert ist, ist sehr komplex. Zum einen ist es das Verhalten eines Spitzenpolitikers, das völlig inakzeptabel und voll abzulehnen ist. Das andere sind die Umstände, wie hier jemand (hinein)gelegt wurde, und ich würde auch sagen, welche Kräfte hier im Hintergrund am Werk sind. Diese Kräfte, das ist etwas Grausames. Das ist auch abzulehnen. Ich möchte es nicht übertreiben, aber diese Affäre ist für mich ein österreichisches Watergate. Mit dem Unterschied, dass es noch immer eine unsichtbare Kraft gibt im Hintergrund, die voll aufgeklärt werden muss. Diese volle Aufklärung ist im Interesse der ganzen Bevölkerung, und da müssen alle Kräfte im Staat zusammenwirken.“
Pope: Das heißt, Sie sehen klares Fehlverhalten auf beiden Seiten?
Zsifkovics: „Moralisch einwandfrei, würde ich sagen, sind beide Seiten nicht. Weder die vor der Kamera, noch die hinter der Kamera. Aber ich muss auch ehrlich sagen, ich vertraue darauf, dass in Österreich die Demokratie und die Institutionen so stark sind und auch funktionieren, dass wieder Licht in diese moralische Sonnenfinsternis kommt. Papst Paul VI. hat von Österreich einmal als von der Insel der Seligen gesprochen. Ich weiß, er hat es positiv gemeint, aber auch diese Insel kennt ihre Sümpfe und hat auch wieder Arbeit, diese Sümpfe auszutrocknen und aufzuarbeiten, um wieder ins positive Licht in Europa und in der Welt gerückt zu werden.“
Pope: Bei der EU-Wahl werden rechtspopulistische Parteien, den Prognosen zufolge, in vielen Ländern gut abschneiden. Wird es Ihrer Einschätzung nach das Wahlergebnis beeinflussen können, wenn ein rechtspopulistischer Vertreter eines kleinen EU-Landes wie Österreich sich auf diese Weise disqualifiziert? Ist moralisches Wohlverhalten eines Politikers für viele überhaupt noch ein Wahlkriterium?
Zsifkovics: „Ich denke, es sind vor allem zwei Dinge hier möglich. Das eine ist eine enttäuschte Abwendung - dass Leute sagen, was da passiert, da kann man ohnehin nichts machen, da wende ich mich ab, damit möchte ich nichts zu tun haben, oder es wird allgemein verurteilt, so sind sie, die Politiker. Das ist die eine Möglichkeit, die enttäuschte Abwendung.
Aber es gibt auch die andere Seite: dass viele jetzt sagen, jetzt erst recht! Auch diese Haltung ist möglich. Und ich hoffe, dass viele wirklich ganz bewusst auch zu den Wahlen gehen und politisch mitgestalten, nicht nur aus der ersten Reihe fußfrei sich zurücklehnen und nur kritisieren und nur zusehen, wie etwas gemacht wird, sondern dass wir auch lebendiger Teil dieses Staatswesens werden, und dass sie ihren Beitrag leisten in Kirche und in Gesellschaft.
Was die Moral anlangt: Ich denke, die Moral ist ein wesentliches Kriterium beim Wähler. Der Wähler ist, das ist meine persönliche Meinung, viel konservativer, als wir annehmen. Vor allem, wenn es um Geld, um Lüge und um Sex geht. Da fordern die Menschen auch immer diese alten zehn Gebote, den Dekalog ein. Und die strafen dann auch die Politiker und die Politik ab, wenn man sich nicht an diese Dinge hält.“
Das Europa der drei Hügel
Wenn wir davon ausgehen, dass Europa bis heute von seinen auch christlichen Wurzeln lebt: Worum geht es bei dieser Europawahl?
Zsifkovics: „Bei dieser Europawahl geht es vor allem um eine Entscheidung, und zwar um das Wesentliche: ob der gemeinsame Weg in Europa fortgesetzt wird oder nicht. Das heißt, ob das Friedensprojekt, das Sicherheitsprojekt, aber auch das Rechtsprojekt weitergeht. Dazu braucht es diese Wurzeln Europas. Ich habe es in einem Osterhirtenbrief meinen Gläubigen so nahegebracht, dass wir Europa auf drei Hügeln bauen, der eine ist Golgota, die Auferstehung Christi, der andere Hügel ist die Akropolis, wo vor allem auch das Individuum und die Demokratie im Mittelpunt stehen, und der dritte Hügel ist das Kapitol in Rom, das Rechtssystem, auf dem Europa gebaut ist. Wenn wir das Ganze mit drei Schlagworten benennen wollen, sind die Wurzeln Europas letztlich Spiritualität, Solidarität und Barmherzigkeit. Darum geht es gerade auch bei dieser Wahl.“
Pope: Sie sind auch Österreichs „Flüchtlingsbischof“, wie würden Sie heute in Europa den Begriff Solidarität ausbuchstabieren?
Zsifkovics: „Wir haben in den letzten Monaten und Jahren gesehen und leidvoll erleben müssen, wie diese Solidarität teilweise nicht gegeben ist und wie man immer versucht, auf Kosten der Anderen zu leben. Und das geht in einem gemeinsamen Europa nicht. Da muss jeder seinen Beitrag leisten. Ich habe es mit dem Wort umschrieben, Europa braucht jetzt vieles, aber es braucht vor allem dich – also jeden einzelnen und jede einzelne.“
Pope: Sie selbst gehören der kroatischen Minderheit in Österreich an. Was bedeutet Europa für Sie persönlich?
Und immer, wenn ich jetzt über die Grenze fahre, sage ich einfach: Danke Europa
Zsifkovics: „Ich habe da ein schönes Erlebnis - und zwar fahre ich in der Woche mehrmals über die ehemalige Grenze des Eisernen Vorhangs, weil meine Diözese geografisch so gelegen ist, dass ich rasch in der Slowakei und in Ungarn, in Slowenien bin, und da fahre ich tageweise immer wieder über diese Grenze. Europa ist für mich einfach das, dass wir aus dieser Grenzsituation, aus einem Randgebiet, ich würde sagen aus einer Pampa, in die Mitte gerückt sind. Ich habe als junger Mensch die Grenze des Eisernen Vorhangs miterlebt, wo vieles getrennt war. Und immer, wenn ich jetzt über die Grenze fahre, sage ich einfach: Danke Europa.
Das ist für mich wirklich eine Kostbarkeit, die ich nicht eintauschen möchte, um nichts in der Welt. Ich sehe hier, wie alte Kulturräume wieder zusammenwachsen, die über Jahrhunderte zusammengehört haben. Und ich sehe auch, weil ich aus einer Minderheit stamme, aus der kroatischen Minderheit, dass die Minderheit in Europa geschützt werden muss und auch geschützt wurde. Ich denke, die EU und Europa wird so gut sein, wie sie ihre Minderheiten schützt und wie sie auch mit ihren Minderheiten in jeder Hinsicht, mit den religiösen Minderheiten, den sprachlichen und anderen Minderheiten, umgeht.“
(vatican news)
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