Erzbischof Heiner Koch: „Die Familie ist ein Ort der Freude“
Pope: Herr Erzbischof Koch, der Papst hat den Wunsch, mit dem Weltfamilientreffen in Dublin auch sein Schreiben "Amoris laetitia - Über die Liebe in der Familie“ zu vertiefen. Welche Bedeutung hat die Familie für die Kirche?
„Die Familie ist die grundlegende Einheit für die Kirche. In ihr wird das Leben den Menschen geschenkt, Leben herangeführt, gebildet. Das betrifft das Gute im Leben unter den natürlichen Bedingungen. Wir wissen, dass es nicht selbstverständlich ist, dass Kinder nicht in Armut groß werden müssen und dass sie gut betreut und versorgt sind. Das betrifft aber vor allem die geistige Entwicklung, die seelische, psychische und vor allem religiöse Entwicklung. Was Eltern ihren Kindern an Glauben schenken oder verweigern, wirkt sich auf das gesamte Leben aus – im positiven wie im negativen Sinn. Ich weiß genau, wie schwierig es manche Familien haben und wie viele ihren Auftrag nicht erfüllen können. Aber die Familie ist und bleibt von grundlegender Bedeutung. Sie ist für uns ein Teil dessen, was wir im Ehesakrament feiern.
In der Zeit heute, wo Bindung, Verantwortung, Weitergabe von Leben… bei weitem nicht mehr gesellschaftlich selbstverständlich sind, ist es Aufgabe der Kirche, diesen Wert der Familie nach außen zu vertreten. Ich möchte noch einen Satz hinzufügen. Das Thema des Weltfamilientreffens heißt „Das Evangelium der Familie. Freude für die Welt“. Freude für die Welt – wir reden nicht von den moralischen Notwendigkeiten und den kategorischen. Die Familie ist eine Freude, ein Ort der Lebensfreude, der Lebenserfüllung, und das gilt für Katholiken, Christen und für die ganze Welt. Das ist keine Romantik, sondern eine tiefe Freude, aus der wir leben können und die wir in der Familie entdecken können."
Pope: Bei dem Treffen sollen Familien der ganzen Welt in Kontakt miteinander kommen. Welche Chance birgt dieses Treffen damit?
„Familien kommen zusammen, stärken sich und suchen miteinander nach Wegen, wie sie Ehe und Familie heute aus dem Geist Jesu Christi leben. Viele sind immer wieder erstaunt, wie überzeugt katholische Familien nach neuen Wegen suchen, um diesen Auftrag zu erfüllen und diesen Weg zu gehen. Viele Antworten, die Familien in früheren Jahrzehnten getragen haben, können heute so nicht mehr gelebt werden oder müssen unter anderen Bedingungen gelebt werden. Mir ist wichtig, dass wir bei dem Weltfamilientreffen auskunfts- und sprachfähig werden gegenüber der Gesellschaft. Das wird gerade in Irland eine große Herausforderung sein. Diese Familien, die ihren Weg gehen wollen, folgen keiner Sonderideologie, keinem Sonderweg, der nur für ein paar Gläubige gilt. Es ist ein Weg, der für alle Menschen ein Weg zur Erfüllung ist. Hoffentlich werden wir diese Bestärkung in Dublin erleben."
Pope: Nun wird das Familientreffen überschattet vom Missbrauchsbericht aus dem US-Bundesstaat Pensylvania. Papst Franziskus hat sich gestern in einem vierseitigen Brief an die Gläubigen gewandt und warnt darin vor „Klerikalismus und einer „Kultur des Verschweigens“. Wie werden diese Dinge das Weltfamilientreffen in Dublin beeinflussen?
„Die aktuelle Diskussion, die nun schon mehrere Jahre währt und jetzt ihren aktuellen Höhepunkt erreicht, wird zweifelsohne das Treffen belasten. Wir müssen uns die Frage stellen: Warum konnte es dazu kommen? Da brauchen wir nicht in die USA zu zeigen, da können wir auch auf unsere eigene Situation schauen. Wir müssen uns fragen, was wir ändern können, dass diese Verbrechen an den Menschen sich nicht wiederholen. Wir müssen fragen, was wir tun können, damit das Bewusstsein vom Wert des Menschen, gerade vom Wert des Kindes, so hoch und lebendig in unsere Herzen eingepflanzt ist, so hoch gehalten ist, dass so etwas undenkbar wird. Es ist eine Frage, wie wir ehrlich, aufrichtig und schuldbewusst mit diesen Dingen umgehen. Die Welt schaut auf uns, da wir in besonderer Weise die Unantastbarkeit der Würde des Menschen, die Wertschätzung des Kindes in der Familie hochhalten. Und dann passieren solche Dinge. Das wird uns natürlich in besonderer Weise vorgeworfen. Wir müssen ganz ehrlich sein."
Pope: Es wird also keine leichte Reise für Papst Franziskus – auch weil in Irland Kirche und Regierung momentan auf Konfrontationskurs stehen: zum Beispiel deswegen, weil katholische Eheberatungsstellen nun auch Homosexuellen helfen sollen. Inwiefern fällt der Blick in Dublin auch auf unterschiedliche Formen der Familie?
„Wir fördern Menschen, wir fördern Leben, wir fördern Kinder und alte Menschen, wir sind da, wo Menschen in Not sind. Egal wie sie geprägt sind, stehen wir den Menschen bei. Wir führen aber auch eine klare Diskussion, warum wir zum Beispiel nicht für die „Ehe für alle“ sind, was für uns das Besondere der Ehe ist, und warum diese für uns und nach meiner Überzeugung nicht nur für die, die gläubig sind, sondern für die ganze Gesellschaft, einen eigenen Wert hat, den andere Beziehungen nicht haben. Aus dieser Wertschätzung der Ehe würde ich aber niemals eine Diskriminierung anderer Menschen ableiten können.
„Homosexuelle fühlen sich doppelt heimatlos"
Wir werden das offene Gespräch suchen, darauf kommt es an. Ich erlebe das vor allem in Berlin, wie dort der Austausch mit homosexuellen Menschen ist. Gerade diejenigen, die zur Kirche stehen, fühlen sich doppelt heimatlos, wie sie mir immer sagen: In der Kirche wird ihnen der Segen verweigert, und in der Gesellschaft, unter den Gleichgesinnten, wird ihnen vorgeworfen, dass sie sich noch zu der Kirche bekennen, die so mit ihnen umgeht. Die Sorge dieser Menschen ist uns ganz, ganz wichtig. Wir werden sie auch in ihrer Not nicht alleine lassen. Aber wir werden auch dazu stehen, warum wir auch Unterschiede hochhalten und dass es keine Willkür ist, kein autoritäres System, sondern eine innerliche Überzeugung."
Pope: Es soll bei dem Treffen thematisch um praktische und pastorale Ansätze gehen. Was sind für Sie (neben den Punkten, die wir bereits angesprochen haben) die wichtigsten Punkte, die auf der Agenda des Weltfamilientreffens stehen?
„Es gibt eine ganze Reihe von Foren und Diskussionsrunden: Was bleibt da als Impuls? Was wird von dort umgesetzt auf der ganzen Welt? Da ist sicherlich die Aufarbeitung, die Weiterarbeitung der Impulse des Weltfamilientreffens noch deutlich zu verbessern. Viele Gedanken, die dort bereits früher geäußert wurden, sind weltweit nach meinen Erfahrungen und im Gespräch mit anderen Bischöfen kaum aufgegriffen worden und relevant geworden. Wir werden uns für zukünftige Weltfamilientreffen überlegen müssen, wie sie in den Alltag und den weiterführenden Diskussionen eingebaut werden können.
Ehe ist nicht mehr selbstverständlich
Ich kann jetzt nur unsere Themen hochhalten, die für uns ganz wichtig sind. Für uns ist es in Deutschland nicht mehr selbstverständlich zu heiraten. In Berlin sind beispielsweise über 50 Prozent der Paare, die jetzt zusammenbleiben wollen und Kindern das Leben schenken wollen, nicht bereit, standesamtlich zu heiraten. Die Ehe ist an sich fragwürdig geworden. Für viele ist Familie, die Weitergabe des Lebens an Kinder, nicht mehr selbstverständlich. Beide Größen sind grundlegend wichtig. Wir müssen der Gesellschaft klar und deutlich machen – nicht mit der Sprache, die uns passt, sondern mit der Sprache, die die Menschen verstehen – was wir damit meinen, wenn wir sagen, die Ehe ist Sakrament. Wie entschlüsseln wir, dass die Ehe nicht nur eine moralische Instanz ist, sondern ein Stück gelebtes Evangelium? Wie vermitteln wir das? Bei uns in Berlin ist ein Großteil der Ehen, die geschlossen werden, eine Ehe zwischen einem engagierten Getauften, der gegen alle Strömungen bereit und willig ist, eine kirchliche Ehe zu schließen und im Geiste Christi diese Ehe zu führen und einem Partner, der entschieden atheistisch ist, der nicht glaubt. Wie wird da Ehe und Familie gelebt? Was passiert mit der Weitergabe des Glaubens oder des Nicht-Glaubens?
Kinderreiche Familien und alte Menschen stärken und stützen
Wir werden auch das Thema der kinderreichen Familien aufgreifen müssen. Bei uns ist es mittlerweile sehr schwer geworden und manchmal sogar gesellschaftlich verpönt, eine kinderreiche Familie zu sein. Ich halte diese Familien für einen großen Segen, diese Gruppe müssen wir aber stärken und stützen. Es soll auch um die Familien gehen, die zerbrochen sind, auch die Alleinerziehenden. Beim Weltfamilientreffen ist es wichtig, über die alten und sterbenden Menschen in der Familie nachzudenken. Heute sterben die Menschen manchmal familienlos. Dann geht es um Themen wie Sterbehilfe und Vereinsamung. Auch die alten und kranken und behinderten Menschen sind Familienmenschen. Ich halte es für ganz wichtig, diese Gruppe nicht aus dem Blick zu verlieren. In letzter Zeit besonders aktuell ist die Frage nach Flüchtlingsfamilien und Migrantenfamilien. Das ist eine ganz eigene Problematik. Ich erwarte nicht, dass sie alle angesprochen und behandelt werden, aber es wird Impulse geben und wir müssen uns in Deutschland überlegen, wie wir diese Themen weiterbehandeln."
Pope: Welchen Impuls kann das Treffen für Deutschland geben?
„Ich hoffe, dass es innerkirchlich einen Impuls gibt, das Thema Ehe und Familie – ich möchte diese beiden Themen nicht trennen – hoch auf die Agenda zu setzen, vor allem in der Seelsorge und dem konkreten Leben in der Gemeinde und unseren Einrichtungen. Wir haben viele Familieneinrichtungen, zum Beispiel Kindertagesstätten. Wir wollen Menschen dazu ermutigen, dass unsere Position eine Position für alle Menschen ist, keine Sektenüberzeugung. Mit dieser Überzeugung müssen wir uns in die Gesellschaft einbringen, wo Ehe und die Familie politisch und inhaltlich manchmal an den Rand gedrängt werden."
(vatican news)
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