Missbrauchsopfer: Kirche ist auf gutem Weg
Pope: Warum ist Ihnen das Thema Missbrauch so wichtig?
Wolfgang Treitler: Das Thema Missbrauch ist mir wichtig geworden, da ich selbst unmittelbar als Kind im Internat damit zu tun hatte. Ich musste dort einen Hilfserzieher aushalten – über zweieinhalb Jahre hinweg. Das ist eine Geschichte, die wird man sein Leben lang nicht mehr los.
Pope: Sie sind damals auf ein katholisches Internat gegangen. Katholische Einrichtungen haben einen gewissen moralischen Anspruch. Haben Sie sich keine Hilfe holen können?
Treitler: Damals, als mir diese Dinge widerfahren sind, fühlte ich mich alleingelassen, weil das ja alles von einer Kircheninstitution getragen war. Wir haben das zwar ein oder zwei Mal mit den Erziehern besprochen, aber man hat uns nicht geglaubt. Das war damals so üblich.
Pope: Nun ist das schon ein paar Jahrzehnte her. Was hat sich seitdem in der Kirche verändert?
Es geht nicht um Bagatellen
Treitler: Das ist heute anders, und das verdanke ich Papst Franziskus, der diese Frage offensiv angeht. Denn es geht nicht um Bagatellen, es geht auch nicht um Erziehungsformen, die früher so waren und heute anders gestaltet sind. Es geht um nichts anderes als um Verbrechen, die bis heute an den Betroffenen lebenslang wirken.
Pope: Welche Rolle spielt denn der Papst für Sie in diesem Thema?
Treitler: Er ist eine Hilfe, und das sind auch die Institutionen, die er mittlerweile geschaffen hat. Ich denke da etwa an Pater Hans Zollner von der Gregoriana in Rom, der das Kinderschutzzentrum dort wirklich mit einer unheimlichen Kraft betreibt. Ich bewundere an ihm, dass er daran nicht verzweifelt ist, denn es ist wirklich schwer genug, nicht in diese Abgründe hinabzusteigen.
Das zeigt mir, dass die Kirche heute einen anderen Weg geht. Man geht offen mit dem Thema um und versucht wirklich, auf die zu hören, die von den Dingen betroffen sind. Man versucht nicht, eine Mauer aufzubauen, hinter der dann gleichsam eine societas perfecta unbeirrt weiterleben kann.
Pope: Die Kirchen haben Missbrauchskommissionen eingerichtet. Hilft das den Betroffenen?
Die eigene Geschichte klären, zumindest sondieren
Treitler: Ich finde das grundsätzlich gut, weil es damit eine Anlaufstelle gibt für die, die dort die Dinge anzeigen wollen. Ich finde es auch gut, dass man es grundsätzlich akzeptiert und glaubt und die Menschen einlädt, darüber zu sprechen. Das ist wichtig, denn auch wenn es juristisch verjährt ist, ist das Thema biographisch noch präsent.
Da hat man nun Möglichkeiten, sich zu äußern und auch aufgrund der Vorgänge, die längst schon vorbei sind, kann man sich so noch wieder in ein Verhältnis bringen mit der Institution der Kirche und zum Teil auch, wenn es sie noch gibt, mit den entsprechenden Personen. So kann man die eigene Geschichte auch noch ein bisschen klären oder zumindest sondieren.
Die Fragen stellte Marion Sendker.
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