Der Buchdruck, Gutenberg und die Bildungsrevolution seiner Zeit
Gudrun Sailer – Vatikanstadt
Seine Erfindung: revolutionär. Seine heute bekannte Biografie: mit beträchtlichen Lücken. Wir wissen weder genau, wann Johannes Gutenberg geboren wurde, um 1400, noch den genauen Todestag zu Beginn des Jahres 1468. Wir wissen nicht einmal präzise, in welchem Jahr Gutenberg sein erstes Buch druckte: um 1450.
Gudrun Sailer sprach mit dem an der Gutenberg-Universität Mainz lehrenden Historiker Michael Matheus, der daselbst soeben einen Kongress über „Gutenberg - Historische Kontexte und Rezeptionen“ organisiert hat. Er wirbt dafür, den Buchdruck nicht am Anfang, sondern inmitten einer Zeit des Bildungsaufbruchs zu sehen.
Michael Matheus: „Wir haben in unseren Köpfen festgeschrieben die große Meistererzählung, dass es eigentlich erst im 16. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Reformation zum großen Bildungsaufbruch gekommen ist. Es hat damals natürlich wichtige Impulse gegeben. Was leider immer wieder übersehen wird, ist dass das gesamte 15. Jahrhundert und damit auch die Zeit Gutenbergs eine Zeit ist, in der enorm in Bildung investiert wird. Die Schuldichte, die es zu Lebzeiten Gutenbergs gab, ist enorm hoch, es gibt keine Stadt ohne Schule, sogar ohne Schulen; unsere Untersuchungen hier am Mittelrhein haben ergeben, dass selbst in den dörflichen Siedlungen in großer Zahl bereits Schulen existierten. Der zweite Faktor ist die Gründung von Universitäten. Hier gibt es seit der Mitte des 15. Jahrhunderts einen regelrechten Schub an Neugründungen: Basel, Freiburg, Tübingen, Mainz und Trier, und wenn man das alles zusammennimmt unter der Frage, wie sieht das auch mit dem Reformwillen in Kirche und Welt aus, dann findet man hochinteressante Persönlichkeiten, die nach ihren damaligen Möglichkeiten versucht haben, via Bildung Reformen durchzusetzen.“
Pope: Der Buchdruck verschaffte breiteren Bevölkerungsschichten bessere Bildungschancen. Bis dahin ging die Wissensvermittlung und der Wissenstransfer in erster Linie von den Klöstern aus, vor allem den Männerklöstern: dort wurden Bücher abgeschrieben, ein zeitraubendes Geschäft. Was genau geschah in den Jahren und Jahrzehnten nach Gutenbergs Erfindung, wie schnell entwickelte sich der Buchdruck?
Michael Matheus: „Die Verbreitung des Buchdrucks von Mainz ausgehend ist geradezu atemberaubend. Innerhalb von wenigen Jahrzehnten bis etwa 1500 entstehen hunderte von Buchdruckereien, von Offizinen, in ganz Europa, übrigens auch in Italien, der erste Buchdruck in Subiaco, dann seit 1467 auch in Rom. Insgesamt – auch im Vergleich mit anderen Erfindungen im Mittelalter - hat diese Erfindung sich mit ungeheurer Geschwindigkeit durchgesetzt.“
Pope: Wieviel von dieser Produktion war religiös?
Michael Matheus: „Der erste Druck ist bekanntlich die berühmte Bibel, aber man darf nicht übersehen, dass zu den ersten Drucken darüber hinaus auch solche Schriften zählten, wie das Katholikon und andere Wörterbücher, die ganz gezielt auch auf die Verwendung in Schulen und Universitäten zielen; dazu gehört etwa auch die antike Grammatik des Donat. Wir wissen, dass aus den Offizinen des Gutenberg mindestens 28 verschiedene Auflagen bereits existiert haben müssen. All das deutet darauf hin, dass die Druckwerke auch ganz gezielt Schulen und Universitäten erreichen sollten.“
Pope: Wie lässt sich zusammenfassen, wie sich die Kirche, wie sich auch Rom zur Erfindung des Buchdrucks stellte?
Michael Matheus: „Meine These ist, dass die führenden Persönlichkeiten in der römischen Kirche früher noch als weltliche Herren die Chancen des Buchdrucks erkannt haben. So gibt es gute Indizien dafür, dass der berühmte Kardinal Nikolaus von Kues möglicherweise mit dem Buchdruck schon während seiner Legationsreise 1451/52 konfrontiert war. Einer meiner Schüler hat die These entwickelt, dass er damals bereits einen großen Auftrag an gedruckten Ablassbriefen nach Mainz vergeben hat, und da kommt nur die Offizin von Johannes Gutenberg in Frage. Kues scheint mir eine Schlüsselfigur zu sein im Bekanntwerdungsprozess des Buchdrucks in Italien.“
Pope: Sind auch kirchliche Stellungnahmen bekannt, die den Buchdruck kritisch sahen?
Michael Matheus: „Wie bei allen Erfindungen: es gibt Bedenkenträger, und es gibt Leute, die das Positive sehen. Schon in den 80er Jahren des 15. Jahrhunderts hat man seitens kirchlicher Stellen gesehen, dass mit dem Buchdruck Texte verbreitet wurden, deren Inhalt nicht im Sinn der amtskirchlichen Träger waren, insofern gibt es erste Formen von Zensur. Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass insgesamt die Rezeptionsbereitschaft - übrigens auch bei einem Papst wie Pius II., der nachweislich selbst schon mit dem Buchdruck 1454 auf der Frankfurter Buchmesse konfrontiert wurde - für diese neue Erfindung auf höchste Begeisterung gestoßen ist.“
Pope: Welche Rolle spielten zu Gutenbergs Zeiten die Päpste bei der Errichtung von Universitäten im deutschen Reich?
Michael Matheus: „Ich habe selbst vor einigen Jahren nachweisen können, dass nicht, wie man lange vermutet hatte, Universitätsgründungen im 15. Jahrhundert mit Rom nichts mehr zu tun hatten. Es gibt bis 1500 so gut wie keine Universität, die ohne päpstliche Privilegien auskam. Das hängt nördlich der Alpen entscheidend damit zusammen, dass diese Universitäten aus kirchlichen Pfründen finanziert wurden, und um diese Pfründe zur Finanzierung der Professuren zu erhalten, brauchte man die Zustimmung Roms. Ansonsten wissen wir aber von einer Reihe von Päpsten, Pius II. sei nochmals stellvertretend genannt, dass sie eben an den Gründungen von Universitäten hochinteressiert waren. Das zeigt sich übrigens gerade am Mainzer Beispiel.
Pope: Inwiefern?
Michael Matheus: „Bisher ging man davon aus, dass ein Gründungsversuchder Universität Mainz aus dem Jahr 1467, also zehn Jahre vor der Eröffnung dieser hohen Schule 1477, eher von handstreichartigen Charakter gewesen sei. Ein Neufund im vatikanischen Geheimarchiv zeigt nun, dass über Jahre hinweg diese Gründung sozusagen zwischen Rom und Mainz intensiv betrieben worden ist. Das wirft nun auch ein neues Licht auf die Person des Johannes Gutenberg: Er wird 1465 zum erzbischöflichen Hofmann und Diener ernannt, und wir wissen, dass er bis zu seinem Tod Anfang 1468 als Drucker gearbeitet hat. Wenn man dies nun im Kontext der damals intensiv betriebenen Universitätsgründung sieht, dann deutet das darauf hin, dass er selbst wohl vorgesehen war, als Universitätsdrucker zu wirken.“
Im Rahmen der Mainzer Gutenberg- Tagung spielten einige historische Datenbanken eine Rolle, besonders aber das Repertorium Germanicum (RG) Online auf der elektronischen Plattform Romana Repertoria/Roman Repertories des Deutschen Historischen Instituts in Rom. Das RG Online erschließt seit 2012 für die europäische Geschichte insgesamt wichtige kuriale Quellen in den vatikanischen Archiven. Solche Vorhaben historischer Grundlagenforschung, sagte Matheus, sind auch für die Erforschung der Gutenbergzeit zu wichtigen Instrumenten geworden. So würden Mittel der Recherche, die der aktuellen Medienrevolution zu verdanken sind, verknüpft mit Forschungen zu jener Medienrevolution, die in der Mitte des 15. Jahrhunderts nach ersten Schritten in Straßburg von Mainz aus ihren Anfang nahm.
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