Bericht zur Religionsfreiheit: Weltweit ein rares Gut
Anne Preckel - Vatikanstadt
Doch auch in einigen Ländern Afrikas und Europas wird den Kirchen zufolge die Religionsfreiheit eingeschränkt. In Europa nennt der die Gesetze gegen das Tragen religiöser Symbole in Frankreich, Belgien, den Niederlanden und der Schweiz sowie Einschränkungen gegen Minderheitenreligionen in Russland.
Erzbischof Ludwig Schick, Zuständiger der Deutschen Bischofskonferenz für den Bereich Weltkirche, stellte das Dokument an diesem Freitagmittag zusammen mit seiner Kollegin auf evangelischer Seite, der Auslands-Bischöfin Petra Bosse-Huber, vor. Anne Preckel hat mit Schick über die Ergebnisse gesprochen und wollte von dem Erzbischof zunächst wissen, was den deutschen Ökumenischen Bericht zur Religionsfreiheit besonders macht.
Erzbischof Schick: Wir kümmern uns nicht so sehr um Zahlen und Statistiken, sondern wir versuchen, die Ursachen von Bedrängnis und Verfolgung von Christen in den verschiedensten Staaten und Religionen aller Kontinente zu erforschen. Das Ziel unseres ökumenischen Berichtes ist es, im Hinblick auf die Wurzeln der Verfolgung und Bedrängnisse Hilfen zu finden, um diese zu überwinden.
Preckel: Werden wir konkret: Nordkorea steht heute international wieder einmal aufgrund seiner nuklearen Drohgebärden im Fokus. Es ist aber auch eines der Länder mit autoritärer Regierung, wo die Religionsfreiheit massiv eingeschränkt wird. Was lässt sich zur aktuellen Lage der Gläubigen vor Ort festhalten?
Erzbischof Schick: Nordkorea ist schwierig, weil die Kontakte nach Nordkorea hinein wie auch die Kontakte von Nordkorea nach außen von der Regierung unterbunden werden. Wir wissen, dass dort Christen leben. Die staatlichen Angaben sprechen von 4000, aber wir wissen, dass es viel mehr sind. Wir nehmen an, dass sogar in Nordkorea bis zu 400000 Christen leben. Die können sich nach außen hin überhaupt nicht äußern und müssen im Untergrund leben, weil sie verfolgt werden. Der Grund der Verfolgung in Nordkorea ist, dass das Regime eine Ideologie hat, die auch die Religion vorschreiben will. Das ist eine synkretistische Ideologie aus Neokonfuzianismus, nationalistischen Maoismus und Stalinismus. Das Regime hat die Tendenz, ja den festen Willen, nichts zuzulassen, was dieser religiösen Vorgabe widerspricht, um die Menschen ganz unter ihrer Ideologie einzuschließen und keine fremden Einflüsse aufkommen zu lassen.
Preckel: Diese Ideologie ist totalitär und greift auf Methoden der Gehirnwäsche zurück. Gibt es Formen des Widerstandes in Nordkorea, in spiritueller Hinsicht? Wissen Sie von Christen vor Ort, die einen Raum finden, ihren Glauben zu leben?
Erzbischof Schick: Wir wissen, dass es um die 400 kleinere Hauskirchen gibt. Dort stärken sich die Christen gegenseitig, um ihren Glauben zu bewahren. Ein offener Widerstand ist nicht möglich, weil dann die Menschen sofort verhaftet werden und in diese Zentren für Gehirnwäsche gebracht werden, wo sie auf die Staatsräson festgelegt werden sollen.
Preckel: Schreckgespenst der Religionsfreiheit schlechthin scheint derzeit vor allem der sog. Islamische Staat zu sein. Wie verheerend, wie zerstörerisch - auch hinsichtlich des Religionsdialoges weltweit - ist dieser islamistische Terror aktuell – er wurde im Irak etwa ja teils zurückgedrängt…
Erzbischof Schick: Der islamistische Terror hat etliche Konsequenzen gehabt; die nachhaltigste ist die, dass die Christen ins Ausland geflohen sind, nach Australien, nach Europa, nach den USA. Selbst der chaldäische katholische Bischof ist jetzt in Australien. Es werden weniger Christen zurückkehren nach Mossul und die Ninive-Ebene als es dort vor dem islamistischen Terror gegeben hat. Eine andere Konsequenz ist, dass Kirchen zerstört sind, dass die ganze Infrastruktur bewusst von Terrorgruppen zerstört worden ist. Gott sei Dank ist in der Ninive-Ebene eine Kirche neu eingeweiht worden. Das sind Hoffnungszeichen. Die Konsequenzen sind, dass Christen misstrauischer geworden sind gegenüber den einmal friedlichen Nachbarn, die sie zumindest im Stich gelassen haben, als der islamistische Terror kam. Das Ganze wird eine lange Zeit der Versöhnung, des Friedens, des Wiederaufbaus erfordern, damit die Christen dort wieder leben können. Aber wir möchten, dass Christen in diesem urchristlichen Gebiet auch weiterhin existieren. Die Christen – das ist unser Wunsch – sollen wieder in Frieden mit den Muslimen zusammen leben. Aber das wird Zeit, Kosten und auch viel Geduld erfordern.
Preckel: Der Papst war vor wenigen Tagen in Myanmar unterwegs, wo radikale Buddhisten und Nationalisten für die Vertreibung der Rohingya wesentlich verantwortlich waren. Wie stark wird die Religionsfreiheit heute durch extremen Nationalismus eingeschränkt? Und in welchen Regionen der Erde lässt sich das beobachten?
Erzbischof Schick: Das lässt sich natürlich in erster Linie in Asien beobachten, also in Ländern wie Myanmar aber auch in Indonesien, Pakistan und Indien. Einige von diesen Staaten betrachten die Religion - also den Buddhismus, den Hinduismus bzw. den Islam - als die Religion, die mit dem Staat verbunden ist. Andere Religionen haben da keine Berechtigung. Die Angehörigen dieser Religionen, was oft die Christen sind, werden vertrieben, ausgesondert oder an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Das sind richtiggehende Christenverfolgungen, die wir wahrnehmen und gegen die wir etwas tun müssen.
Preckel: Der ökumenische Bericht zur Religionsfreiheit beleuchtet als Schwerpunktthema den Glaubenswechsel (griechisch: Apostasie) – die „Nagelprobe der Religionsfreiheit“, wie der Menschenrechtsexperte Heiner Bielefeldt das nennt. In welchen Ländern ist das besonders ein Problem?
Erzbischof Schick: Das ist ein großes Problem, weil in vielen Ländern – auch in den Golf-Staaten zum Beispiel - die Religionsfreiheit zwar in den Verfassungen garantiert ist, diese aber nicht zulassen, dass ein Religionswechsel stattfindet, was dann mit der Anerkennung der Scharia zu tun hat. Die Scharia lässt keinen Glaubenswechsel oder Glaubensabfall vom Islam zu und bestraft ihn sogar. Aber für uns gehört in der Definition von Religionsfreiheit der Religionswechsel oder auch das Ablehnen des Glaubens – die sogenannte Apostasie – zur Religionsfreiheit dazu. Das wird in etlichen Ländern nicht geduldet. Damit wird das, was in den Verfassungen steht – nämlich Religionsfreiheit wird garantiert - bei einem Glaubenswechsel oder bei einer Abwendung vom Glauben ad absurdum geführt, weil das nicht sein darf und bestraft wird.
Preckel: Welche Bedrängungs- und Verfolgungssituationen werden in dem Bericht genannt, die aktuell weniger öffentlich wahrgenommen werden?
Erzbischof Schick: Wir sind bei diesem Bericht auf die Christen konzentriert. Es ist ein Bericht, den wir als unsere Aufgabe verstehen, nämlich den bedrängten und verfolgten Christen zu helfen. Natürlich ist die Religionsfreiheit der Christen immer verbunden mit der Religionsfreiheit aller anderen Religion. Wir setzen uns exemplarisch für die Christen ein, aber nicht exklusiv. Es ist eine Erfahrung und eine Tatsache, dass dort, wo Christen verfolgt werden, meistens auch andere Religionen verfolgt werden. Wenn wir uns für die Religionsfreiheit der Christen einsetzen, setzen wir uns inklusiv für Religionsfreiheit aller anderen ein. Christen werden heute besonders verfolgt und unterdrückt in Korea und China. Es gibt extremistische Islamgruppen, z. B. Boko Haram in Nigeria oder Al-Shabaab im Jemen; dort haben es die Christen ganz besonders schwer. Das hängt mit den politischen Systemen zusammen. Deshalb haben wir auch immer Gespräche mit Politikern und ermahnen sie, dass sie bei allen Außenbeziehungen nicht nur die Handelsbeziehungen im Blick haben, sondern auch die Menschenrechte. Wir als Christen sind in besonderer Weise verpflichtet, unseren Glaubensgeschwistern beizustehen, ihre Freiheit zu fördern und dafür zu sorgen, dass sie ihren Glauben frei und ungehindert leben können.
Preckel: Religionsfreiheit umfasst auch das Recht auf agnostische und atheistische Überzeugungen und Praktiken, hält der Bericht fest. Warum ist das heute wichtig zu erwähnen?
Erzbischof Schick: Der Menschenrechtskatalog von 1946 und alle folgenden Gesetze und Übereinkünfte sagen: Zur Religionsfreiheit gehört auch, dass man keine Religion hat und Religion ablehnt. Es ist logisch, dass ich, wenn ich die Freiheit der Religion fordere, auch zulassen muss, dass jemand keine Religion hat. Wir als Christen bedauern natürlich, wenn jemand keine Religion hat und wir sind ja auch immer missionarisch tätig und wünschen, dass die Menschen die christliche Religion annehmen, sie leben und bezeugen, weil das für den Einzelnen das beste ist, für sein Leben, aber auch für die Gemeinschaft. Aber wir müssen um der Freiheit der Religion willen auch denen die Freiheit lassen, die keine Religion zu wählen.
Preckel: Vielen Dank für dieses Gespräch.
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