Vor 20 Jahren: Mord an Schwester Dorothy in Brasilien
Károly Koller – Brasilien
Die aus den USA stammende Ordensfrau setzte sich über Jahrzehnte im Amazonas-Gebiet gegen Abholzung und für die Rechte von Kleinbauern und Arbeitern ein. Dabei geriet sie ins Spannungsfeld der Interessen und wurde immer wieder bedroht. Als sie am 12 Februar 2005 den Schüssen eines Auftragsmörders erlag, war Dorothy Stang 73 Jahre alt. Sie starb mit der Bibel in der Hand.
?Dorothys Taschen waren immer voll mit Samen. Überall, wohin ich heute hin komme, höre ich: ?Diese Kakaopflanze habe ich von Dorothy‘, ?diese Palme ist von Dorothy‘. Die Armen haben sie in ihr Herz geschlossen.“ Das erzählt Jane Dwyer. Sie hat lange im Amazonasgebiet an Dorothy Stangs Seite gewirkt und führt heute mit 84 Jahren deren Lebenswerk weiter.
Die Taschen voller Samen
Ebenso die Mitschwester der beiden, Kátia Webster. Neben der Liebe zu den Menschen sieht sie die Liebe zur Natur als roten Faden in Dorothy Stangs Leben. ?Die Natur beschützen, sich mit allen Kreaturen verbinden: Das war der Kern ihrer Spiritualität. Wenn wir den Boden bestellen, soll er nach der Ernte reicher sein als vorher. Wir sind nicht die Herren des Lebens.“
Um sich für Mensch und Natur einzusetzen, kam Dorothy Stang 1966 mit 35 Jahren nach Brasilien. Zunächst wirkte die US-amerikanische Ordensfrau von den ?Schwestern Unserer Lieben Frau von Namur“ in einer Kleinstadt am nördlichen Rand des Amazonasbeckens.
Zehn Jahre des Wanderns
Ihre Mitschwester Kátia Webster erinnert sich: ?Sie setzte sich dort für die landlosen Bauern ein. Als die Militärdiktatur mit Versprechen von Land Hunderttausende in die noch unberührten Teile des Regenwaldes lockte, folgte Schwester Dorothy den Wanderarbeitern.“
Zehn Jahre dauerte diese Wanderung – und endete 1982 in Anapú, einer ärmlichen Siedlung unweit des Rio Xingú. Hier lebten ehemalige Arbeiter, die nach Beendigung der Großprojekte von der Regierung sich selbst überlassen wurden. Webster: ?Sie wohnte anfangs bei einer sehr armen Familie.“ Und Dwyer setzt hinzu: ?Das ist die Berufung unserer Kongregation: Mit den Ärmsten der Armen leben.“
Gemeinsam mit ihren Mitschwestern baute Dorothy Stang in Anapú eine kleine Missionsstation auf. Und sie unterstützte die Bevölkerung dabei, all das von der Regierung einzufordern, was sie den Menschen versprochen hatte: Schulen, Gesundheitsversorgung und Land zum Bewirtschaften.
Vor allem die Forderung nach Land stieß auf taube Ohren, denn die Regierung bevorzugte Großgrundbesitzer. In der Not legten die Kleinbauern auf brachliegendem Land Felder an und bauten sich Hütten. Doch Großgrundbesitzer und Holzfäller beanspruchten das Land für sich. Dwyer: ?Sie wurden beschossen, ihre Häuser zerstört. Auch zu uns kam dauernd die Polizei. Auch die war gegen uns. Aber die Leute hielten durch, und mit Dorothys Hilfe nötigten sie die Behörden, ihren Besitz anzuerkennen.“
?Großgrundbesitzer können nicht verlieren“
Angeregt von Schwester Dorothy betrieben die Familien ökologische Landwirtschaft und lebten in Einklang mit der Natur. Das gesamte Areal sollte zum Naturschutzgebiet erklärt werden, um illegale Abholzung zu verhindern. Der Jubel war groß, als 2004 die staatliche Anerkennung bestätigt wurde. Doch damit spitzte sich die Lage weiter zu. ?Großgrundbesitzer können nicht verlieren. Sie können keine Niederlage hinnehmen. Sie dachten, wenn sie Dorothy töten, fliehen die Leute.“
Am 12. Februar 2005 wurde Dorothy Stang auf dem Weg in die neue Siedlung von pistoleiros aufgehalten und erschossen. Ein Zeuge berichtet, sie habe vorher ihren Mördern noch aus der Bergpredigt vorgelesen: ?Selig, die verfolgt werden um der Gerechtigkeit willen, denn ihnen gehört das Himmelreich.“
Tod im Morgengrauen
Dwyer: ?Dorothy starb am Morgen. Die Polizei kam erst am Abend, um ihren Leichnam zu bergen. Die ganze Zeit über wichen die Menschen nicht von ihrer Seite: In Büschen versteckt, vom tropischen Regen durchnässt hielten sie Totenwache. Niemand floh!“
Während der Beisetzung sagten die Menschen: ?Wir beerdigen Dorothy nicht. Wir pflanzen sie ein.“ Zwanzig Jahre später ist die Saat aufgegangen. Viele weitere Siedlungen sind entstanden, in denen Familien im Einklang mit der Natur leben. Aber der Kampf geht weiter.
?Die letzte Landbesetzung war hart: Häuser wurden angezündet, die Schule wurde zerstört. Nachts gab es Schießereien. Als das überstanden war, wählten die Bewohner als Namen für die neue Siedlung ?Dorothy Stang‘. Sie sagen: ?Dorothy gibt uns Hoffnung‘. Die Menschen hier werden sie nie vergessen. Denn sie gab für sie ihr Leben.“
Dorothy Stangs Mörder und deren Auftraggeber wurden verurteilt, aber nach kurzer Zeit wieder aus der Haft entlassen. Seit Dorothy Stang gewaltsamen Tod sind allein in Anapú 19 weitere Menschen wegen Land ermordet worden. Ihr Fall wurde niemals strafrechtlich verfolgt.
(vatican news)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, k?nnen Sie hier unseren Newsletter bestellen.