Klimaforscher Edenhofer: ?Wir müssen uns jetzt im Sturm bew?hren“
Maximilian Seidel - Vatikanstadt
Waldbrände in Kalifornien, Jahrhundert-Überschwemmungen in ganz Europa und eine rekordverdächtige Hurrikan-Saison: 2024 war ein Jahr der Extreme. Gebrochen wurden Rekorde, die nicht gebrochen werden sollten. Ausgelöst und verstärkt wurden diese Katastrophen vom Klimawandel: 1,6 Grad war die Erde in diesem Jahr durchschnittlich wärmer als vor der industriellen Revolution. 41 Gigatonnen CO2 wurden in die Atmosphäre entlassen.
Damit war 2024 auch das Jahr, in dem zum ersten Mal deutlich das 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens überschritten wurde. Der deutsche Klimaforscher Ottmar Edenhofer sagt dazu im Interview mit Radio Vatikan: ?Wir werden uns damit abfinden müssen, dass wir zumindest für eine gewisse Zeit das 1,5 Grad Ziel überschreiten werden.“ Edenhofer ist seit 2019 Leiter des renommierten Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. 2021 wurde der gläubige Christ von Papst Franziskus zum Berater in das Dikasterium für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen berufen.
Negative Emissionen
?Das beste, was wir jetzt tun können, ist dieses Überschreiten so gut wie möglich zu begrenzen. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts müssen wir dann die Temperaturkurve mit negativen Emissionen zurückbiegen, also mehr CO2 aus der Atmosphäre entziehen, als wir ausstoßen“, erläutert Edenhofer. Dies sei die einzige Möglichkeit.
Doch gäbe es Risiken bei Technologie, die CO2 aus der Atmosphäre entzieht, sagt der Klimaforscher: Die negativen Emissionen vermittelten den falschen Eindruck, man könne wieder zum Alten zurückkehren. Es brauche aber wirklich negative Emissionen, um den Klimawandel langfristig zu stoppen, erklärt Edenhofer. Außerdem brauche es eine durchgehende Finanzierung für diese neuen Technologien. ?Es gibt keinen gangbaren politischen Pfad, auf dem wir diese Klimaziele nicht überschießen. Wir haben in der letzten Dekade versäumt, eine effektive und ambitionierte Klimapolitik umzusetzen.“
Edenhofer nennt als Beispiele etwa Filteranlagen und Aufforstungsprojekte, die zu den so genannten ?negativen Emissionen“ beitragen.
Hoffnung
Klimaschutz scheint ein hoffnungsloses Thema zu sein. Der baldige amerikanische Präsident Donald Trump leugnet den Klimawandel. Er ist sogar der Meinung, es würde wieder kälter werden. Gleichzeitig baut China neue Kohlekraftwerke. Trotz allem arbeiten und kämpfen viele Menschen weiter dafür, den Klimawandel abzumildern. Ottmar Edenhofer hat ebenfalls noch Hoffnung: ?Optimistisch ist ein seltsamer Begriff angesichts der Weltlage. Aber ich bin zu mindestens voller Hoffnung. Die europäischen Errungenschaften der letzten Jahre sind wirklich gewaltig. Es ist gelungen, Wirtschaftswachstum vom Emissionswachstum zu entkoppeln.“ Dies sei zwar zu langsam, ?aber immerhin", kommentiert Edenhofer. Zudem sei der ,Green Deal' in seinen Grundstrukturen das erfolgreichste und wichtigste Klimaschutzpaket auf diesem Planeten. Die angekündigten Klimazölle beispielsweise hätten in Brasilien und der Türkei zu einer CO2 Bepreisung geführt, was Edenhofer als positiv bewertet.
?Es ist eine extrem schwierige weltpolitische Situation, aber man muss die Möglichkeiten, die es gibt, ergreifen und umsetzen. Die Möglichkeiten sind da, und wir sind nicht verloren. Wir dürfen nicht einfach die Hoffnung aufgeben. Wir müssen jetzt weiterarbeiten.“ Wenn er Menschen mit einem Satz Hoffnung machen müsste, wäre das folgender: ?Schaut euch an, was trotz allem erreicht worden ist; zu langsam, vielleicht auch zu wenig ambitioniert, aber es gibt Regionen in der Welt, die gehen in die richtige Richtung, und darauf sollten wir uns jetzt ausrichten.“
Engagement der Kirche
Mit der ein klares Signal für den Klimaschutz gesetzt. 2025 ist nicht nur das zehnte Jahr des Pariser Klimaschutzabkommens, sondern auch der zehnte Geburtstag dieser Enzyklika. Edenhofer, der auch als Konsultor des Dikasteriums für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen tätig ist, ist überzeugt davon, dass 2025 viel stärker ins Bewusstsein gerückt werden wird, ?vor allem bei der Auseinandersetzung mit Trump und anderen Rechtspopulisten.“ Die Atmosphäre sei Gemeinschaftseigentum der Menschheit und müsse gerecht und fair bewirtschaftet werden, so der Leiter des Potsdam Institutes für Klimawandelfolgen. Das würde in dem apostolischen Schreiben klar, betont Edenhofer. ?Das ist ein sehr, sehr wichtiger Grundgedanke der katholischen Soziallehre und muss verbreitet werden. Es wäre schön, wenn die Soziallehre nicht das bestbehütete Geheimnis des Vatikans bleibt.“
2025 ein entscheidendes Jahr
?Das Jahr 2025 ist ein entscheidendes Jahr“, erklärt Edenhofer. ?Wir müssen Kassensturz machen, was zehn Jahre Paris-Abkommen gebracht haben.“ Wir müssten es nüchtern betrachten, meint Edenhofer. Die Emissionen stiegen immer noch, Kohleenergie erlebe weiterhin eine Renaissance. Jetzt müsse man überlegen, was man tun könne, um die Kehrtwende einzuleiten. Besonders Zusammenhalt und Zielsetzung seien wichtig: ?Wir müssen uns im Sturm bewähren, im Gegenwind. Bei Gegenwind muss man sich darauf ausrichten, wo man hinwill. Man muss sich über die Ziele Klarheit verschaffen und sich vergewissern, dass sie richtig und sinnvoll sind.“
Ein weiteres entscheidendes Ereignis im Jahr 2025 ist auch die COP30 in Brasilien. Bei den jährlich stattfindenden Klimakonferenzen treffen sich Vertreter aller Länder der Welt und entscheiden über den Klimaschutz der Zukunft. Die Zeit bis zur COP sei entscheidend, führt Edenhofer aus: ?Bis zur COP 30 brauchen wir mehr Initiativen zu Kohle- und Gas-Bepreisung. Das scheint mir das wichtigste. Daran müssen wir arbeiten. Mit aller Kraft, die wir zur Verfügung haben.“
(vatican news - ms)
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