Jerusalem: ?Ich habe Hoffnung, dass dieser Krieg alsbald endet“
Gudrun Sailer – Vatikanstadt
Herr Bugnyar, Sie sind gerade nach einem Abstecher in die österreichische Heimat zurück nach Hause nach Jerusalem gekommen, noch rechtzeitig vor dem Militärschlag des Irans gegen Israel und der Räumung des Luftraums. Wie erleben Sie denn in Jerusalem diese Stunden und Tage?
Markus Bugnyar: Nach dem neuerlichen Angriff des Irans hat sich jetzt in Jerusalem die Situation und die Lage wiederum beruhigt, und auch eigentlich im ganzen Land. Man weiß natürlich, es wird eine Reaktion vonseiten der Israelis auf diesen iranischen Angriff geben. Man spricht darüber, dass das Ganze möglichst rasch geschehen könnte und dass man sehr gezielt wahrscheinlich militärische Anlagen im Iran oder Ölraffinerien ins Visier nimmt. Aber was die Menschen hier mehr beschäftigt, ist das Attentat in Tel Aviv und Jaffa, bei dem sechs Menschen ums Leben gekommen sind. Das bestimmt hier deutlich mehr die Gespräche der Menschen als der Angriff des Irans, den wir ja so zum zweiten Mal bereits erleben.
Sie sind seit 20 Jahren Rektor des Österreichischen Hospizes in Jerusalem und haben auch über diese Zeit gerade ein neues Buch vorgelegt: Irdisches Jerusalem – über Heiliges und Schwieriges. Sie haben in diesen 20 Jahren viele Krisen im Heiligen Land gesehen – Corona, das Erstarken des jüdischen Extremismus und jetzt seit einem Jahr den Krieg Israels gegen Hamas und Hisbollah. Ist das, was Sie seit einem Jahr im Heiligen Land, das Schwierigste für Sie bisher?
Markus Bugnyar: Es ist definitiv das Schwierigste insofern, als ich mir nicht hätte vorstellen können, dass dieser Krieg, der am 7. und 8. Oktober 2023 begonnen hat, so lange dauert. Das ist tatsächlich eine ganz neue Herausforderung, nicht nur für mich, sondern für die Menschen des Heiligen Landes. Es war undenkbar vor dem Massaker der Hamas, dass es derart viele Tote und Verletzte auf beiden Seiten geben könnte. Das ist der längste Krieg in der Geschichte des Staates Israel, und noch ist kein Ende in Sicht. Das ist qualitativ sehr anders als alles, was wir bislang im Nahostkonflikt erlebt haben, nicht nur in meinen letzten 20 Jahren.
Wie leitet man eigentlich ein Haus, in dem alle Gäste, wenn welche da sind, Frieden suchen – inmitten eines Krieges?
Markus Bugnyar: Aktuell haben wir sogar eine recht große Pilgergruppe im Haus. Es sind 34 mexikanische Pilger gestern bei uns angekommen, die seit einigen Tagen hier im Land unterwegs sind, schon in Galiläa waren und planen, weiter in den Sinai zu reisen. Das ist die absolute Ausnahme – die größte Gruppe seit Beginn des Krieges, die wir hier im Haus willkommen heißen dürfen. Diese Pilger haben den Raketenalarm mitbekommen und genauso wie wir die Raketen im Nachthimmel gesehen. Aber mit einer gewissen Ruhe und Gelassenheit konnten sie sich dennoch darauf einlassen, die heiligen Stätten in den Fokus zu stellen – den Grund, warum sie hierhergekommen sind. Sie lassen sich im Gebet und in Ruhe nicht beeindrucken von dem, was um sie herum geschieht.
Was können denn gerade die heiligen Stätten in Jerusalem lehren über die aktuelle Situation? Was sagt das, was Sie in Jerusalem haben, für den christlichen Glauben?
Markus Bugnyar: Im Österreichischen Hospiz sind wir in einer privilegierten Situation, da wir die wichtigsten heiligen Stätten aller drei monotheistischen Religionen unmittelbar vor unserer Haustür haben. Das gibt uns auch in militärischen Auseinandersetzungen einen gewissen Schutz. Denn wir gehen davon aus, dass keine extremistische Gruppe – weder die Hamas noch die Hisbollah oder der Iran – ein Interesse daran haben kann, ihre eigenen Heiligtümer zu beschädigen. Wir sind also im Windschatten dieser Moscheen auch als Christen geschützt.
Die heiligen Stätten sind für die Bevölkerung in Jerusalem von großer Bedeutung. Wie äußert sich das im Alltag, in der quasi gefühlten Bedrohungslage?
Markus Bugnyar: Hier findet man zum Gebet und zur Ruhe. Es scheint fast so, als wären sie in gewisser Weise vom Kriegsgeschehen abgeschirmt. Das gilt auch in einem übertragenen Sinne gleichsam für alle: Man sucht Zuflucht, kehrt zum Gebet ein und fühlt eine gewisse Geborgenheit, auch emotionaler Natur. Wenn man in diesen heiligen Stätten ein Gebet spricht oder die Heilige Schrift zur Hand nimmt, kommt man darauf, dass es möglich sein muss, dass Menschen – auch mit noch so unterschiedlichen Perspektiven – hier im Frieden miteinander auskommen. Das ist auch eine Aufgabe für uns als christliche Minderheit: Orte der Begegnung zwischen Juden und Muslimen anzubieten und uns möglichst aus den politischen Implikationen des Konflikts herauszuhalten. Es geht darum, über die gemeinsame Gottsuche zum Frieden zu finden.
Sie haben in diesen 20 Jahren das Österreichische Hospiz nicht nur geleitet, sondern auch erweitert. Wie stellen sich diese Bauarbeiten im Rückblick dar als etwas, das in die Zukunft weist?
Markus Bugnyar: Als wir 2019 diesen neuen Gästehaustrakt, die Casa Austria, eröffnet haben, wollten wir natürlich in die Zukunft blicken und dem Haus ein solides wirtschaftliches Fundament geben, indem wir mehr Gästezimmer anbieten können. Aber wir haben noch etwas anderes erreicht: Wir haben die christliche Präsenz, gerade in der Altstadt von Jerusalem, noch einmal gestärkt und ausgebaut, im wahrsten Sinne des Wortes. Damit können wir auch mehr Menschen Arbeit geben und ihnen eine Perspektive bieten. Natürlich, jetzt – nach Corona und während des langanhaltenden Krieges – gibt es auch finanzielle Herausforderungen. Durch den Bau des neuen Gästehaustrakts wurden zum Teil unsere Rücklagen stark angegriffen. Langsam aber sicher stellt sich die Frage, wie lange wir das Ausbleiben der Pilger und Touristen noch erleiden können.
Christen sind Menschen der Hoffnung. Welche Hoffnung möchten Sie an diesem Punkt formulieren, nicht nur für Ihr Haus, sondern für das Land, das Ihre Heimat ist?
Markus Bugnyar: Ich habe tatsächlich Hoffnung. Ich weigere mich, in den Chor der ewigen Pessimisten einzustimmen, die immer wieder von einer Eskalation zur nächsten sprechen. Das ist nicht meine Perspektive. Ich habe Hoffnung, dass dieser Krieg alsbald endet. Ich hoffe auch, dass wir, gerade weil wir hier im Heiligen Land sind und die Stimmen der Vernunft oft auch Stimmen des Glaubens sind, in absehbarer Zeit ein friedliches Miteinander erleben dürfen – und damit auch wieder Pilger und Besucherströme.
(vatican news – gs)
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