Jesuit Rothlin: ?Franziskus h?rt Asien wirklich zu“
Anne Preckel - Singapur
Der Schweizer Jesuit Stephan Rothlin lebt und arbeitet seit Jahrzehnten in Asien. Er lehrt dort Wirtschaftsethik und ist Direktor des Ricci-Instituts in Macao, das sich dem Erbe des in China hoch angesehenen Jesuiten Matteo Ricci (1552-1610) widmet. In einem Interview mit Radio Vatikan spricht Rothlin über die Bedeutung der Papstreise nach Singapur, das wie Matteo Ricci als Brücke zwischen den Kulturen und Religionen bezeichnet werden kann, beschreibt die Reaktionen auf die Asienreise des Papstes und erläutert die gemeinsamen Werte, die im Dialog zwischen dem Christentum und den Kulturen Asiens eine immer wichtigere Rolle spielen und spielen werden.
Wichtige Zukunftsregion für das Christentum
Preckel: Pater Rothlin, was hat Sie an der Papstreise nach Asien inspiriert?
P. Stephan Rothlin (Leiter des Macao Ricci Institute): Was mich besonders inspiriert hat und doch sehr berührt: dass der Papst sich so lange Zeit nimmt für diese Reise nach Asien. Dieses Bild des Papstes im Rollstuhl – da eine doch sehr beschwerliche Reise zu unternehmen, deutet doch stark darauf hin, dass ihm bewusst ist, dass Asien ein außerordentlich wichtiges, ja eine wichtige Region geworden ist und eben auch für die Kirche der Zukunft. Hier also eine der dynamischsten Regionen in der Welt, dass das eben auch für die Kirche eine ganz außerordentliche Bedeutung hat. Und das scheint mir durch seine Reise sehr eindrücklich unterstrichen.
Preckel: Sie sind Leiter des Macau Ricci Institute, das nach Matteo Ricci benannt ist, der eine Brückenfigur zwischen Ost und West war. Lässt sich Singapur eigentlich auch so beschreiben?
Rothlin: Ich denke durchaus, dass Singapur auch in dieser Tradition von Ricci steht. Man muss sich das immer wieder vor Augen halten, dass Matteo Ricci - im chinesischen Namen Lì Mǎdòu 利玛窦 - doch viel präsenter ist in Asien, besonders unter den Katholiken. Er lebte 1552 bis 1610 – diese Tradition eines Dialogs mit Asien ist sehr wach in Asien. Und sicher ist auch Singapur so ein Brennpunkt von verschiedenen asiatischen Kulturen. Man sieht das im öffentlichen Raum, wie nicht nur Englisch, sondern zum Beispiel auch auf Tamil gesprochen wird. Und in diesem Schmelztiegel von Singapur ist sicher auch dieses Symbol von Ricci, eines Dialogs mit China, sehr gut gewissermaßen Gestalt geworden.
Die Bedeutung von Bildung
Preckel: Wie ordnen Sie es ein, dass der Papst dorthin gereist ist? Was für eine Botschaft sehen Sie damit verbunden?
Rothlin: Meiner Ansicht nach ordnet sich dieser Reise ganz klar ein in sein Bemühen des Dialogs mit China. Und in der gegenwärtigen Situation ist Singapur sicher sehr gut gewählt. Doch letztlich steht im Raum eben dieses Bemühen, auch dieses Abkommen zwischen dem Vatikan und China zu erneuern und dass dieser Dialog in einem Rahmen stattfindet, der für so einen Dialog sehr zuträglich ist. Ein sehr starker Punkt für die Wahl von Singapur ist die Bedeutung der Bildung. Das ist ja besonders in China besonders geschätzt durch Ricci und durch die katholische Tradition, dass der Bildung ganz große Bedeutung beigemessen wird. Singapur steht für eine der besten Bildungsorganisationen. Ich habe selber sieben Jahre dort unterrichtet. Das waren die besten Studenten und Studentinnen, die ich je hatte, also wirklich von der ganzen Welt. Und ich denke, das ist ganz wichtig, nicht zu vergessen, wie bedeutend alle christlichen Konfessionen beigetragen haben zur Bildung, auf allen Ebenen, sei es Primarschule, Mittelschule oder Universitäten.
Preckel: Welche Reaktionen in Asien haben Sie zu dieser Reise wahrgenommen?
Rothlin: Es sind vor allem sehr positive Reaktionen, die ich gehört habe. Leute von ganz verschiedenen Kreisen waren wirklich berührt, dass der Papst sich das gewissermaßen antut. Und natürlich waren die sehr erfreut, dass er damit doch seine große Liebe zu den Völkern, verschiedenen Menschen in Asien und auch der Kirche in Asien so auf eindrückliche Weise signalisiert. Also durchwegs sehr positive Echos, die ich auf diese Papstreise mitbekommen habe. Ich bin und war auch in verschiedenen Ländern und Orten unterwegs in Asien. Verschiedene Stationen in Asien, wo auch so Brennpunkte des Glaubens sind, Macao als Tor zu China und auch in Hongkong, auch dort sehr positives Echo. Das war wirklich sehr eindrücklich und positiv. Und auch, was ich so gehört habe von Festlandchinesen, die ich getroffen habe, das war sehr positiv.
Preckel: Singapur ist wichtige Wirtschaftsmetropole in Asien und Mosaik der Kulturen und Religionen. Sie selbst lehren Wirtschaftsethik in Asien. Wie können Dialog und Begegnung die Wirtschaftswelt ethisch bereichern?
Rothlin: Ich denke, dass Wirtschaftsethik eine besondere Chance bedeutet. Dass die Werte, die eben auch durch die katholische Soziallehre auf den Punkt gebracht sind, wie Solidarität, Subsidiarität, ganz konkret umgesetzt werden. Was heißt das zum Beispiel, was Arbeitsbedingungen betrifft? Und das ist ein allgemeines Anliegen. Aber gerade eben auch durch die Diskussion mit Fallstudien sehe ich eine große Chance, auch im Dialog mit Konfuzianismus und anderen Weisheitsreligionen von Asien, dass man ,hands on‘ versucht, konkret zu schauen, wie diese Werte in einem sehr wettbewerbsorientierten und manchmal korrupten Umfeld umgesetzt werden.
Wirtschaftsethik in Asien Thema
Preckel: Sehen Sie diesbezüglich Entwicklungen in Asien, ein stärkeres Ausgehen von der Ethik?
Rothlin: Auf jeden Fall! Ich bin ja jetzt 26 Jahre in China oder eben auch in Singapur, Hongkong, wo ich vor allem an den Business Schools lehre. Und vor 20 Jahren wurden diese Anliegen doch eher zur Seite gelegt, weil so ein großer Drang nach Wirtschaftswachstum da war, wo man sagte, das ist das Wichtigste, Wirtschaftswachstum. Und dann: wenn wir das einmal erreicht haben, dann können wir auch über ethische Fragen nachdenken. Aber dann hat sich das doch auch durch die Umweltkatastrophe, die Verschmutzung von Böden, Luft, Wasser, einfach so zugespitzt, dass es doch jetzt eigentlich allen wichtigen Akteuren klar ist, wie wichtig das ist, Wirtschaftsethik ernst zu nehmen. Auch in den Business Schools ist es erstaunlich, dass dieses Fach, meiner Einschätzung nach, ernster genommen wird als in den Business Schools in Europa. Weil man eben praktisch sofort herausgefordert ist, sich mit ethischen Fragen auseinanderzusetzen, sei es, was Umweltzerstörung betrifft, sei es, was die Fragen Korruption betrifft. Ist all diese Konfuzianismus nur eine leere Ruine, so wie es Eric Zürcher (niederländischer Sinologe, 1928-2008, Anm.) sagte? Oder wie können auch diese Werte von Integrität und Wahrhaftigkeit, vom Konfuzianismus her, eben auch auf dem harten Markt umgesetzt werden?
Offene Türen, zum Beispiel Ökologie
Preckel: Sie haben die Umwelt und die Wirtschaftsethik angesprochen – stehen also in diesen Bereichen in Asien Türen für Papst Franziskus‘ Botschaft offen?
Rothlin: Auf jeden Fall und besonders auch, was Dialog betrifft. Sie wissen ja besser wie ich, wie in westlichen Medien ein sehr einseitig negatives Bild über China vorherrscht. Und gerade in der Ökologie wirklich Fortschritt zu machen, was Umweltschutz betrifft, ist tatsächlich eine Ebene, wo sich auch die verschiedenen Akteure einig sind. Da ist ein Fortschritt wirklich dringend notwendig. Und von daher, auch in meinem Umgang mit verschiedenen Gruppen, ist zum Beispiel auch die Botschaft der Enzyklika Laudato si so außerordentlich wichtig, aber eben auch im Kontext von Asien so bedeutend. Das ist ein konkreter Ansatz, wo man nicht einfach Lippenbekenntnisse macht. Sondern hier ist ein Engagement für eine Verbesserung dieser Umweltkatastrophe zu sehen, dass man sich da gemeinsam darum bemüht.
Preckel: In den asiatischen Kulturen gibt es natürlich auch Ethik: welche Anknüpfungspunkte sehen Sie hier zum Christentum, welche Brücken?
Rothlin: Das ist übrigens das genau das Kerngeschäft des Macao Ricci Instituts: Diese verschiedenen Brücken, die zwischen Konfuzianismus und dem Christentum existieren, aufzuzeigen. Beispielsweise die Achtung den Eltern gegenüber: das ist sehr stark im Konfuzianismus verankert, aber durchaus auch in einer großen Krise. Auch hier gibt es ja eine Regelung, dass man jetzt verpflichtet ist, in China jeden Monat seine Eltern zu besuchen, weil auch da die Umsetzung von den Werten des Konfuzianismus gelitten hat. Und eben vielleicht Christentum eine Chance ist, eine gegenseitige Bereicherung. So wie auch der Dialog zwischen Buddhismus und Christentum eine große Bereicherung ist. So gibt es etwa philanthropische Werke, die gerade aus dem Dialog zwischen Buddhisten und Christentum entstanden. Und es ist natürlich sehr spannend intellektuell, diese Religionen von Buddhismus, Taoismus mehr kennenzulernen und zu schauen, wie es gelingt, in einer Zeit eines großen Umbruchs diese Werte umzusetzen.
Genuine Begegnungen statt Vorurteile
Preckel: Was, würden Sie sagen, bringt der Papst wieder mit nach Europa zurück? Was hat uns diese Reise nach Asien aufgezeigt?
Rothlin: Es ist immer erstaunlich, welches ganz feine Gedächtnis Papst Franziskus hat. Besonders, was Begegnungen betrifft, und seine außerordentliche Fähigkeit, wirklich zuzuhören. Also es geht da nicht einfach um so Massenveranstaltungen, sondern das sind diese ganz genuinen Begegnungen. Das, denke ich, wird er mitnehmen: Viele Menschen eben von dieser vielleicht dynamischsten Region der Welt, die ihm die Gelegenheit geben, diese sehr komplexe Kultur besser zu verstehen und sicher auch die Leute aufzuwecken. Er hat sicher viele Leute in seinem Umkreis, die das noch nicht begriffen haben, wie wichtig Asien ist, die vielleicht immer noch in einem Eurozentrismus eingeschlafen sind. Ich glaube, das hilft ihm sicher auch, Leute ein bisschen aufzuwecken. Ganz offensichtlich ist, meiner Ansicht nach, wie diese Reise eindrücklich zeigt, wie diese Strategie des Papstes, also wirklich auf Asien zu hören und auch selber dadurch verwandelt zu werden, wie wichtig das ist. Besonders auch in Europa und den USA, wo man in vorschnelle Vorurteile oder holzschnittartig negative Bilder über Asien abgleitet. Ich denke, er nimmt sicher sehr viel Inspiration mit und eine Bestärkung seiner Strategie für Asien.
Preckel: Herzlichen Dank für dieses Gespräch.
(vatican news)
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