Ukrainischer Jesuitenpater: ?Wir verteidigen unser Existenzrecht“
Wie ist denn Ihr Blick auf den Krieg in der Ukraine und darauf, wie die Menschen damit umgehen? Sind die Gläubigen verzweifelt?
?Nein, ich würde nicht sagen, dass sie verzweifelt sind. Wir sind nicht müde; wir wissen, worum wir kämpfen. Wir verteidigen unser Existenzrecht, unsere Sprache, unsere Kultur, unseren Glauben. 1946 wurde die griechisch-katholische Kirche einfach verboten. Und heute kämpfen wir wieder um den Glauben und um unsere Sprache. 2014 hat der Krieg angefangen, und seit dieser Zeit trage ich dieses ukrainische Hemd als ein Zeichen des Widerstandes. Das ist meine geistliche Waffe. Und so denkt auch die Bevölkerung: Wir kämpfen für unsere Kinder, für die Zukunft unserer Kinder! Es gibt sehr viele Opfer; wir sprechen von 70.000 gefallenen Soldaten. Das ist der Preis, der Weg zu mehr Freiheit, zu mehr Glauben und zu mehr Liebe. Wie viele Menschen aus der Zivilbevölkerung bisher ums Leben gekommen sind, wissen wir nicht; man schätzt, dass allein in Mariupol an die 80.000 Menschen getötet worden sind. Aber uns ist bewusst: Das ist der Preis, den wir zahlen müssen.“
Was denken Sie, wenn Sie hören, dass der Papst, der unbedingt auf irgendeine Weise Friedensverhandlungen auf den Weg bringen will, in einer sehr unglücklichen Formulierung vom Hissen der weißen Fahne spricht?
?Viele sagen: Na gut, er hat das vielleicht falsch formuliert, aber für Frieden sind wir auch! Und andere sagen: Also, diese Aussagen haben jetzt nicht geholfen… Wir fühlen uns missverstanden. Wir haben den Eindruck, dass der Papst uns nicht versteht, und das bereitet uns Schmerz. Und wenn er von Versöhnung spricht – ich kann einer Witwe nicht sagen: Du sollst dich mit dem Täter versöhnen… Ich habe den Papst in einem Offenen Brief eingeladen, in die Ukraine zu kommen und zu sehen, wie die Lage ist… Also, diese Worte machen es uns schwer, denn wir lieben den Papst, wir beten für ihn, und wir bleiben treu der Einheit mit dem Papst. Aber wir wollen einfach einen Dialog mit ihm führen und ihm helfen, besser zu verstehen - im Namen des gerechten Friedens und zum Wohl der ganzen Welt.“
Wie sehen Sie denn geistlich darauf, dass ein christliches Land, nämlich Russland, ein anderes christliches Land, nämlich die Ukraine, überfallen hat?
?Wir sehen, wie eine Kirche – die russisch-orthodoxe Kirche –einfach instrumentalisiert und benutzt wird. Aus unserer Sicht ist die russisch-orthodoxe Kirche sozusagen die stärkste politische Partei in diesem Krieg: Patriarch Kyrill und die Mehrheit der orthodoxen Bischöfe haben diesen Krieg gesegnet, und der Rest hat dazu geschwiegen, auch sehr viele orthodoxe Bischöfe der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats in der Ukraine. Das ist eine Schande, und ich habe großes Mitgefühl mit einfachen orthodoxen Gläubigen, die kein kritisches Denken haben. Ich bin empört, dass die Gemeinschaft der orthodoxen Kirchen, das sind etwa 16 Kirchen, dazu einfach schweigt! … Hier ruft ein Kirchenoberhaupt einfach zum Krieg auf – das ist eine Schande, ein Gegen-Zeugnis zum Evangelium. Dazu dürfen wir nicht schweigen; das ist etwas Schreckliches.“
?Liebet eure Feinde‘, sagt Jesus; was sagen Sie?
?Ja, Feindesliebe – das ist eine sehr schwierige und sehr wichtige Frage. Wenn Jesus sagt, wir sollten unsere Feinde lieben, dann heißt das für mich: Gutes tun. Also nicht den Feind streicheln; Gutes zu tun heißt, den Feind zu stoppen, auch militärisch. Wenn der Feind angreift und Kinder und Frauen tötet, dann ist es Aufgabe des Staates und auch seine Pflicht, den Feind zu stoppen, auch militärisch. Ich sage das bewusst als Geistlicher. Feindesliebe heißt, dass wir der ganzen Welt von diesen Gräueltaten erzählen – das ist das Gute, das wir für das russische Volk, für die Zukunft von Russland tun können. Feindesliebe heißt auch, Reparationen von Russland zu verlangen; das sollen nicht Europäer machen, sondern eben Leute, die diesen Krieg ausgelöst haben. Feindesliebe bedeutet zum Beispiel, Entschädigung für Menschen zu verlangen, die ihre Väter, Frauen und Kinder im Krieg verloren haben. Feindesliebe heißt auch, nach der Bekehrung zu suchen und alles tun, damit das russische Volk diese Gräueltaten anerkennt. Das heißt Feindesliebe – und letztendlich auch ein Gericht (in Charkow vielleicht) einrichten, ein Gericht nach dem Vorbild des Nürnberger Tribunals. Auch das bedeutet Feindesliebe, zu den Russen; das ist es, was wir machen müssen. Ja, und dann werden wir bereit sein und es als Ukrainer schaffen, an die Versöhnung zu denken. Und wir werden in der Lage sein, zu verzeihen. Das glaube ich, weil ich den Geist der Ukrainer kenne: Wir schaffen das! Aber heute von Versöhnung zu sprechen, ist einfach zu früh.“
Was ist Ihr Wunschzettel an den Westen und an die Deutschen?
?Erstens keine Angst zu haben. Keine Angst vor diesem Krieg, keine Angst vor Russland und insbesondere keine Angst vor der russischen Armee. Wir sind ein kleines Volk; zu Beginn des Krieges hatten wir keine Waffen, und wir haben es geschafft und den Mut gefunden, diese Aggression zu stoppen. Mein Wunsch ist: Haben Sie keine Angst, solidarisch zu sein mit der Ukraine! Diese Solidarität stärkt Europa und vereinigt Europa mit der Ukraine. Und außerdem würde ich mir wünschen, dass die Europäer und die Deutschen für uns beten. Solches Gebet stärkt uns sehr. Und ich würde mir wünschen, dass Sie die Frage nach der Wahrheit stellen und sich nicht von der russischen Propaganda beeinflussen lassen. Zu guter Letzt würde ich mir wünschen, dass Sie einmal in die Ukraine kommen…“
(vatican news – sk)
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