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Minderj?hrige Flüchtlinge im Bundesstaat Kayah, Myanmar Minderj?hrige Flüchtlinge im Bundesstaat Kayah, Myanmar  (AFP or licensors)

Myanmar: ?Halbes Land auf der Flucht“

Regelm??ig lenkt Papst Franziskus die Aufmerksamkeit auf das Bürgerkriegsland Myanmar, das selten noch die westlichen Schlagzeilen bestimmt. Dabei ist die Lage dort, drei Jahre nach dem Milit?rputsch, angespannter denn je. Missio-Referentin Bettina Tiburzy berichtet im Interview mit Radio Vatikan aus erster Hand.

Anne Preckel - Vatikanstadt

Die missio-Redakteurin ist gerade von einer Reise durch Myanmar zurückgekehrt. Im Vergleich zu Vor-Bürgerkriegszeiten sei das Land heute kaum wiederzuerkennen, berichtet Tiburzy. Spannungen seien auch in den nicht umkämpften Gegenden deutlich spürbar, überall seien Menschen auf der Flucht und hätten Angst. Laut dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) gibt es in Myanmar derzeit rund drei Millionen Binnenflüchtlinge.

?Wir haben an allen Orten Flüchtlinge getroffen, auch Orten, wo man es nicht unbedingt vermuten würde wie Yangon. Und vor allem haben wir auch viele junge Leute getroffen, die völlig verzweifelt waren. Das hat mit dem Gesetz zur Wehrpflicht zu tun, nachdem jetzt jede Frau zwischen 18 und 27 und jeder Mann zwischen 18 und 35 jederzeit rekrutiert werden kann. Die Leute waren wirklich vollkommen verzweifelt und in Panik – wer kann, verlässt das Land.“

Wehrpflicht-Einführung löste Massenflucht aus 

?Die Leute waren wirklich vollkommen verzweifelt und in Panik – wer kann, verlässt das Land.“

Nachdem die Militärjunta im Februar die Wehrpflicht einführte, haben sich tausende junge Männer und Frauen auf die Flucht begeben oder dem Widerstand angeschlossen. Myanmars Widerstandsbewegung hatte zuletzt militärisch Erfolge erzielt und weite Landesflächen erobert. Das Militär wird inzwischen stärker zurückgedrängt. Seine Schlagkraft sei allerdings nicht zu unterschätzen, so Tiburzy. Der Beschuss ziviler Infrastruktur aus der Luft habe fatale Auswirkungen:

?Mit diesen Flugzeugen bombardieren sie Dörfer. Sie bombardieren Schulen. Sie bombardieren Krankenstationen. Sie verbreiten richtig Terror. Und das ist auch ein Grund, warum die Widerstandsarmeen oder ethnischen Armeen gezielt auch militärische Flughäfen angreifen“, so die missio-Redakteurin. Sie bauten etwa Drohnen, um Militärstellungen anzugreifen und schlügen mit vereinten Kräften zurück.

?Sie bombardieren Dörfer. Sie bombardieren Schulen. Sie bombardieren Krankenstationen. Sie verbreiten richtig Terror.“

Tiburzy ist selbst durch Gegenden im Land gereist, wo sich die Lage aktuell zuspitzt und hat Kriegshandlungen am Rande miterlebt, etwa in der Stadt Myitkyina im nördlichen Kachin-Staat: ?Dort ging zwei Tage nach unserer Ankunft eine große Offensive der Kachin-Widerstandsarmee los, nachts konnte man Bombardierungen hören und der Flughafen wurde geschlossen. (…) Das war schon eine sehr gruselige Atmosphäre“, schildert sie im Interview mit Radio Vatikan.

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Weiter, und immer weiter

?Also man hat wirklich den Eindruck, dass in Myanmar das halbe Land auf der Flucht ist.“

Auch die Bevölkerung des an Thailand angrenzende Kayah-Staates sei im Bürgerkrieg schwer getroffen, so die Referentin weiter. In der Hauptstadt des benachbarten Shan-Staates habe sie eine Ordensschwester getroffen, die mit einem ganzen Kinderheim auf der Flucht gewesen sei. Und einen örtlichen Bischof getroffen, der gemeinsam mit anderen Katholiken aus seiner Diözese fliehen musste und der trotz der widrigen Bedingungen ebenfalls unermüdlich Hilfe leiste: ?Er versucht, die Leute zu unterstützen und reist von Flüchtlingscamp zu Flüchtlingscamp, leistet Akuthilfe. Es fehlt dort an Lebensmitteln, an Wasser, an medizinischer Versorgung. Und er versucht vor allem, den Leuten Hoffnung zu geben, was gar nicht einfach ist. Die kämpfen ums tägliche Überleben, und das betrifft sehr, sehr viele Menschen."

Einige Flüchtlinge seien in der Gegend wohl auch in buddhistischen Klöstern und bei Privatpersonen untergekommen, berichtet die Referentin weiter, viele treibe die Kriegsgewalt weiter, und immer weiter: ?Wir haben Flüchtlingsfamilien getroffen, die schon mehrfach das Camp, in dem sie leben, wechseln mussten. Die wegen der Unsicherheit von einem zum nächsten Fluchtort reisen müssen. Und wir haben auch auf der thailändischen Seite der Grenze Flüchtlinge getroffen, die dort schon ein richtiges Dorf errichtet haben. - Also man hat wirklich den Eindruck, dass in Myanmar das halbe Land auf der Flucht ist."

Einige Flüchtlinge hätten ?quasi vor einer Woche die Grenze überquert“, andere lebten dort ?schon seit 15 Jahren“, so Tiburzy, die an die schon länger schwelenden Konflikte zwischen Militär und Ethnien beziehungsweise deren ethnischen Armeen erinnert. Es gebe eine ?lange Tradition des Misstrauens der Militärjunta gegenüber den ethnischen Bevölkerungen“ im Land.

Hilfsgüter einverleibt

Dieses Misstrauen zeige sich konkret in allgegenwärtigen Militärkontrollen, die ?sehr unangenehm“ werden können, wie lokale Partner missio berichten. Da würden unangenehme Fragen gestellt, Autos und Gepäck durchsucht, auch Hilfslieferungen konfisziert und vom Militär einverleibt. ?Und so muss die Kirche sich bemühen, dann auch quasi Lebensmittel heimlich zu schmuggeln, damit Menschen versorgt werden können“, schildert die Redakteurin die schwierigen Umstände der kirchlichen Hilfsarbeit. Auch Ausländer würden stark überwacht, was ihr als Reisender in Myanmar auch eine besondere Vorsicht abverlangt habe.

Tief beeindruckt zeigt sich die missio-Mitarbeiterin vom Wirken von Ordensschwestern in Mandalay im Zentrum Myanmars, die angesichts der eingeführten Wehrpflicht ihre Ausbildungsprojekte für Mädchen nicht unterbrachen, sondern prompt an die neue Notlage anpassten. In Absprache mit den Eltern habe man die jungen Frauen in ihre angestammten Gebiete zurückgeschickt, wo das Militär keinen Zugriff habe und ihre handwerkliche Ausbildung lokal weitergeführt.

Tatkräftige Ordensfrauen

Damit habe man den Mädchen gezeigt, ?dass sie nicht vergessen werden“, so Tiburzy: ?Und das finde ich sehr bemerkenswert, dass die kirchlichen Partner jetzt nicht irgendwie vor Angst und Verzweiflung erstarren, sondern versuchen, innerhalb ihrer Möglichkeiten für die Menschen etwas zu organisieren, was das Leben in Mandalay lebenswert macht.“ Ob durch Sachmittel, Bildung oder Trost – die Ortskirche leiste das, was sie könne, und missio versuche so gut es geht zu unterstützen. So habe man im vergangenen Jahr etwa die Flüchtlingshilfe, Ausbildungsarbeit und Jugendpastoral unterstützt.

Wesentlich für die Menschen und kirchlichen Partner in Myanmar sei Solidarität und das Gefühl, nicht vergessen zu werden, betont Tiburzy: ?Mir haben viele Menschen in Myanmar gesagt: ,Wir wollen, dass die Welt erfährt, was hier in Myanmar passiert, dass die Menschen hier nicht vergessen werden!‘ (…) Es geht ja nicht allein um Akuthilfe, sondern man muss den Leuten auch vermitteln, dass es eine Zukunft gibt, an die man glauben kann. (…) Das ist auf jeden Fall eine große Aufgabe für uns: Dass wir die Stimmen der Menschen in Myanmar bei uns nicht vergessen!“

(vatican news – pr)

 

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06. Juni 2024, 13:19