Niger: So blickt die Kirche auf den Putsch
Auch wenn die Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten (Ecowas) mit einem militärischen Eingreifen droht, stehen die Zeichen im Moment doch noch auf Diplomatie. Wie aber erleben Ordensleute, die in der Region wirken, die Lage? Das fragten wir den Salesianerpater Jorge Crusafulli, der seit über dreißig Jahren in Westafrika lebt und arbeitet; wir erreichten ihn telefonisch in Nigeria.
?Im Moment ist die Situation sehr heikel“, sagt er uns. ?Wir wollten eigentlich ein Salesianerhaus, eine neue Mission in Niger eröffnen, aber in der jetzigen Lage ist das natürlich unmöglich. Die Lage ist heikel, weil Nigeria offensichtlich militärisch eingreifen will; das wäre aus meiner Sicht brandgefährlich, denn es könnte einen größeren Krieg auslösen, und die Folgen für die Region, für Afrika und die Welt wären sehr weitreichend und kompliziert.“
Kleine katholische Minderheit
Die große Mehrheit der neun Millionen Einwohner von Niger sind Muslime; die Katholiken stellen gerade mal 20.000 Menschen, von denen die wenigsten aus dem Niger selbst kommen. Die meisten sind aus Nachbarländern: Benin, Burkina Faso, Togo. ?Die Lage der Minderheiten war schon vorher kompliziert und ist jetzt noch komplizierter, weil islamische Fundamentalistengruppen im Land aktiv sind“, sagt uns Pater Crusafulli.
?Das ist ein Riesenproblem. Der Bischof hat deswegen alle kirchlichen Niederlassungen in den ländlichen Gebieten geschlossen, und wegen der Präsenz der Fundamentalisten, die die Dörfer angreifen und viele Menschen töten, hat er angeordnet, dass wir Salesianer nicht auf dem Land arbeiten können. Darum wollen wir unsere Missionsstation in (der Hauptstadt) Niamey eröffnen – aber die Regierung lässt das nicht zu. Dabei können diejenigen, die nicht aus dem Niger kommen, praktisch kaum die Hauptstadt verlassen; schon vorher war die Unsicherheit zu groß, und jetzt ist das noch schwieriger geworden. Der Niger grenzt an Nigeria und ist auch ein Kreuzungspunkt der Migrationsrouten zum Mittelmeer.“
Migranten, Schmuggler, Drogen, Islamisten, Wagner-Söldner...
Migranten, Schmuggler, Drogen, Islamisten, dazu die Präsenz russischer Wagner-Söldner in einigen Ländern der Region – eine explosive Mischung. Durch den Putsch im Niger werden die Dinge sicher nicht einfacher.
?Im Moment sind alle Grenzen geschlossen. Die Lage der Menschen, die illegal einreisen wollen, ist im Moment sehr gefährlich; es ist im Augenblick nicht möglich, von Nigeria nach Niger oder von Niger nach Nigeria zu reisen. Von der Grenze kommen Berichte über Spannungen zwischen Soldaten Nigerias und Nigers, und wir sind sehr besorgt über die in Niger lebenden Nigerianer: Das sind in der Regel Arbeiter und kleine Geschäftsleute, die Waren verkaufen. Wir fürchten um ihre Sicherheit in Niger.“
Auch für Menschen aus dem Westen ist die Lage in Niger im Moment sehr gefährlich. Franzosen und US-Amerikaner haben Militärbasen im Land, viele westliche Staatsbürger wurden aus Niger ausgeflogen.
?Ich fürchte, wenn die Spannungen weiter zunehmen und ein Krieg ausbricht, dann wird es sehr, sehr schwierig für die Region, für Afrika und auch für die ganze Welt. Wir sollten wirklich versuchen, die Probleme in einem friedlichen Dialog zu lösen, denn das ist der einzig mögliche Weg. Ein Krieg könnte sich auf die gesamte Sahelzone ausweiten. Dazu kommt der Druck von außen – eine sehr komplizierte Situation, sowohl intern als auch extern.“
Druck von außen – damit meint der Salesianerpater Europa, die USA, China und Russland. Sie alle hätten unterschiedlich gelagerte wirtschaftliche und geopolitische Interessen.
Interessieren sich die Großmächte wirklich für die Menschen in Niger?
?Ich glaube nicht, dass diese Mächte wirklich an den Menschen in Niger interessiert sind – denen geht es um Bodenschätze und Uranium. Dabei bin ich davon überzeugt, dass Afrika für das respektiert werden sollte, was es ist: Länder, die unabhängig sind, mit reichen kulturellen Traditionen. Wir sollten Afrika respektieren und auch von Afrika lernen, das ist für mich eine Notwendigkeit. Wir müssen diesem Neo-Kolonialismus ein Ende machen – kulturell, wirtschaftlich und sozial.“
Nutznießer der neuen Instabilität in Niger, Mali, Burkina Faso und auch in Teilen Nigerias sind aller Voraussicht nach die dort tätigen Islamistengruppen. Ihnen kommt das politische Durcheinander zugute.
Einen Bruderkrieg vermeiden
?Ich glaube, dass Afrika überdenken muss, wie man diesem Problem am besten begegnet. Man müsste mehr in die Jugend investieren, mehr gegen die Armut, das Elend der Menschen tun.“ Mali und Burkina Faso, in denen es schon vor einiger Zeit ähnliche Staatsstreiche gegeben hat wie jetzt in Niger, haben sich angesichts der Ecowas-Drohung eines militärischen Eingreifens auf die Seite Nigers gestellt.
?Es besteht also die Gefahr eines Bruderkrieges unter Afrikanern in der Sahelzone – das wäre ein Horrorszenario für Westafrika. Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um einen Bruderkrieg zu vermeiden; wir müssen Frieden schaffen, alle zusammen, alle, die Macht in ihren Händen haben, das Militär, Politiker und religiöse Führer, ethnische Gruppen, alle.“
Bildung ist der Schlüssel
Die Verantwortlichen sollten doch bitte an das einfache Volk denken und nicht an ihre eigenen Interessen. Die Kirche, die in all diesen Ländern verwurzelt sei, könne vielleicht ?eine vermittelnde Rolle spielen“, glaubt Crusafulli. Sie genieße auch bei den Muslimen wegen ihrer Schulen und Gesundheitsstationen hohes Ansehen. Langfristig ist für den Salesianer die Bildung der Schlüssel zum Aufstieg der Länder der Sahelzone. ?Afrika braucht Bildung! Wenn die Menschen eine Ausbildung erhalten, können sie nicht so manipuliert werden, wie es im Moment der Fall ist.“
(vatican news – sk)
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