Theologe: Evangelikale machen 25 Prozent des Christentums aus
Fontana äußerte sich im Interview im Magazin der Steyler Missionare ?Leben jetzt" (Ausgabe 9/2023). Nicht nur in Lateinamerika, auch weltweit sollen bereits 25 Prozent der Christen einer evangelikalen Kirche angehören. Bis in die 1990er-Jahre waren über 90 Prozent der lateinamerikanischen Bevölkerung Katholiken, heute sollen es nur noch 60 Prozent sein.
Während die katholische Kirche unter Priestermangel und allzu hierarchischen Strukturen leide, predigten evangelikale Gemeinden eine Art ?Wohlstandsevangelium", das die Lebenssituation verbessern solle. ?Dahinter steht die Überzeugung: Je mehr man gibt, umso mehr bekommt man von Gott zurück", so der Experte für Pentekostalismus. Hinzu kommen konservative Moralvorstellungen und ein Kulturkampf gegen liberale Werte.
?Ihre Agenda ist neoliberal, teils antidemokratisch, abgekoppelt von den Menschenrechten, unter anderem mit populistischen und faschistischen Tendenzen", meinte Fontana, der am Institut für Weltkirche und Mission an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt lehrt. Dazu gehöre etwa die Ablehnung einer sogenannten Gender-Ideologie, Homosexualität und Abtreibung.
Stütze für Trump und Bolsonaro
Im Fall von Wahlen in einem Land halten sich katholische Bischöfe mit Empfehlungen für diese oder jene Kandidaten meist zurück. Nicht so die evangelikalen Kirchenführer, erklärte Fontana: Diese sprächen sich klar ?für ihren Kandidaten" aus, etwa Donald Trump in den USA oder Jair Bolsonaro in Brasilien. Beide Politiker hätten in ihrem Wahlkampf von sich als ?Auserwählte Gottes", ?Werkzeuge Gottes" oder ?Gesalbte" gesprochen. Die ?Kämpfernatur", die diese und ähnliche Kandidaten an den Tag legen, machten sie für Evangelikale - ungeachtet ihrer Moralität – besonders attraktiv, weil sie so am besten geeignet erschienen, eine christliche Politik durchzusetzen.
Außerdem gebe es eine starke Verbindung zwischen Kirchen und finanzstarke Unternehmer und Institutionen, ?deren klares Ziel die Macht ist, wirtschaftlich wie politisch". So sei etwa Bolsonaro nicht nur von den Evangelikalen unterstützt worden, sondern auch von der Waffen- und Agrarlobby, erklärte der Theologe.
Kein Geld für Alkohol, aber für Kirche
Ein anderes Bild gebe die Basis der Kirchenmitglieder, denen es einerseits um den Glauben, andererseits um die Verbesserung ihrer Lebenssituation gehe, stellte Fontana klar. Armutsbetroffene würden etwa kein Geld mehr für Alkohol ausgeben, da Alkoholkonsum in vielen evangelikalen Kirchen verboten sei, und so ihre soziale Situation verbessern können. Ein Teil des Einkommens der Gläubigen fließe an den Pastor und die Kirche. ?Einige sind dadurch unfassbar reich geworden", merkte der Theologe an.
Speziell Pfingstkirchen, deren Pastoren oft aus den Slums kommen, passen sich indigenen Gesellschaften an, wo das Körperliche, Emotionale und Magische immer noch eine große Rolle spiele. So gebe es dort während der Messen Trance, ?Zungenrede“, Heilungsriten oder Vertreibung böser Geister, berichtete Fontana.
Die katholische Kirche würde insofern auf diese Entwicklung reagieren, als dass sie sich ?mit Duldung des Vatikans den Pfingstkirchen angepasst oder charismatisiert" hätten. Der Vatikan pflege zudem einen theologischen Dialog mit den Pfingstkirchen, um zu verhindern, dass diese von mächtigen Strippenziehern politisch missbraucht werden, so der Experte für evangelikale Kirchen.
(kap – gs)
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