Sexualisierte Kriegsgewalt: Ahndung ist schwierig
Anne Preckel und Jean-Charles Putzolu – Vatikanstadt
Papst Franziskus hat dieses Jahr im Juni in einem dazu aufgerufen, sexuelle Gewalt, die als Kriegswaffe eingesetzt wird, als „schändliches Verbrechen“ anzuprangern. Solche Verbrechen seien „überall verbreitet“, sagte er zuvor bei einem ) mit Blick auf sexualisierte Kriegsgewalt und sprach dabei auch über die Ukraine.
Sexualisierte Kriegsgewalt ist überall gegenwärtig
Ob Ukraine, Südsudan, Myanmar, Ruanda oder das ehemalige Jugoslawien – sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten gegen Frauen wurde und wird immer wieder eingesetzt, oftmals systematisch und im großen Stil. Dass es im Kontext gewalttätiger Spannungen - vielleicht nicht immer so systematisch, aber regelmäßig - zu sexualisierten Übergriffen vor allem auf Minderheiten und Frauen kommt, zeigt die Jagd auf zwei Christinnen durch einen hinduistischen Männer-Mob, die sich in diesen Tagen im indischen Manipur ereignete.
Radio Vatikan hat über das Thema sexualisierte Gewalt in Konflikten mit Dorine Llanta gesprochen, die die Nichtregierungsorganisation „ am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vertritt. Radio Vatikan wollten zunächst von ihr wissen, was heute über die Verbreitung von Gewalt gegen Frauen in bewaffneten Konflikten bekannt ist.
Dorine Llanta (FIDH): Wir haben eine Vorstellung vom Ausmaß. Im Allgemeinen wissen wir, dass diese Gewalt ein großes Ausmaß hat und in allen bewaffneten Konflikten vorkommt. Sie ist überall und in den Händen aller Akteure. Sie nimmt verschiedene Formen an. Sie wird mit unterschiedlichen Strategien begangen. Aber sie ist da, gegenüber Frauen, Männern, Kindern und Personen, die der LGBTI-Gemeinschaft angehören. Andererseits ist bekannt, dass diese Gewalt manchmal nicht ausreichend dokumentiert wird. Meistens wird sie nicht angezeigt, und wenn sie angezeigt wird, wird sie nicht immer als sexuelle Gewalt anerkannt. Manchmal wird sie auch anders bezeichnet, z.B. als Folter. In manchen Gesellschaften ist das Recht so wenig angepasst, dass nur bestimmte Opfer als Opfer sexueller Gewalt angesehen werden können. Im Allgemeinen werden nur Frauen als Opfer betrachtet und daher werden alle Taten, die sich gegen Männer richten, beiseitegeschoben.
Radio Vatikan: Ist dies das Ergebnis individuellen Verhaltens in Konflikten oder ist diese Gewalt auch Teil einer Strategie?
Dorine Llanta (FIDH): Wir stellen nun fest, dass diese Gewalt tatsächlich eine militärische oder politische Strategie ist. Sie variiert je nach Art und Grund des Konflikts und je nach den beteiligten Akteuren. Sie kann aber auch mehrere Strategien folgen, wie z.B. die Zivilbevölkerung zu terrorisieren oder in die Flucht zu treiben, den Feind zu schwächen und möglicherweise Gemeinschaften zu destabilisieren oder zu zerstören oder einfach nur Macht und Kontrolle über andere zu demonstrieren.
Radio Vatikan: Was sagt das Völkerrecht zu diesem Thema?
Dorine Llanta (FIDH): Im internationalen Recht gibt es generell viele Instrumente, die sexuelle Gewalt entweder direkt oder indirekt verbieten, da man heute davon ausgeht, dass die verschiedenen Formen sexueller Gewalt eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit von Personen darstellen. Daher können alle Instrumente zum Schutz der Menschenrechte im Bereich der sexuellen Gewalt relevant sein. Andererseits gibt es jetzt ein Referenzinstrument, nämlich das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, insbesondere wenn es um Gerechtigkeit geht, da es sich um internationales Strafrecht handelt. Und dieses Instrument verbietet ausdrücklich mehrere Sexualverbrechen, wie Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Zwangsprostitution, erzwungene Schwangerschaft, Zwangssterilisation, aber auch jede andere Form von sexueller Gewalt, unmenschliche und erniedrigende Handlungen, wie zum Beispiel erzwungene Nacktheit. Und das alles stellt Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar. Aber das Instrument enthält auch andere Verbrechen, die auf der Grundlage sexueller Gewalt festgehalten werden können, wie Folter oder auch Verfolgung und Völkermord.
Radio Vatikan: Ist dieses internationale Recht handlungsfähig, um Verbrecher jagen können? Hat die Justiz Mittel zum Handeln?
Dorine Llanta (FIDH): Die internationale Justiz handelt, aber sie ist langsam und hat viele Hindernisse. Der Internationale Strafgerichtshof hat zum Beispiel keine eigene Polizei, also kann er keine Menschen festnehmen. Er ist vollständig auf die Staaten angewiesen, um Haftbefehle umzusetzen und Personen zu verhaften. Es gibt also einen etwas politischen Aspekt dabei. Man hat jedoch in den letzten Jahren gesehen, dass es auf der Ebene dieses Gerichtshofs Erfolge gegeben hat, und die nationalen Gerichte nutzen auch seine Kapazitäten und lernen von den Standards der Arbeitsweise, die auf der Ebene des internationalen Gerichtshofs anerkannt werden, um sich auf Ebene der lokalen und nationalen Gerichte zu stärken.
Radio Vatikan: Wie können wir diese Verbrechen verhindern? Wird daran gearbeitet, sie zu verhindern?
Dorine Llanta (FIDH): Auf jeden Fall. Es wird viel Arbeit in die Prävention dieser Verbrechen investiert. Es gibt zum Beispiel Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung, um zu erklären, was diese Gewalt ist, um Tabus abzubauen, damit die Überlebenden darüber sprechen können und nicht stigmatisiert oder abgelehnt werden, was oft zu neuer Gewalt beiträgt. Es gibt auch Interventionen bei bewaffneten Gruppen zum Verbot von sexueller Gewalt. Das mag wie etwas ziemlich Naives klingen, aber manchmal funktioniert es.
Radio Vatikan: Ist die internationale Gemeinschaft nach den Ihnen vorliegenden Informationen aktiv geworden, um den Opfern zu helfen und sie zu versorgen?
Dorine Llanta (FIDH): Es werden einige Anstrengungen unternommen. Am Internationalen Strafgerichtshof gibt es beispielsweise ein System zur Unterstützung und Entschädigung von Opfern, das jedoch aus verschiedenen Gründen recht begrenzt ist, da die Hauptverantwortung dafür bei den Staaten liegt. Es liegt an ihnen, angemessene Dienste einzurichten, z.B. psychosoziale Unterstützung, die Mittel zur Wiederherstellung wirtschaftlicher Stabilität, zu einer gewissen Aktivität, den Zugang zu Bildung und Gesundheit zu geben. All diese Maßnahmen sind Maßnahmen zur Unterstützung und Betreuung der Opfer, die ihnen helfen werden, nach der Gewalt wieder eine gewisse Stabilität zu erlangen. Hinzu kommen jedoch auch Maßnahmen zur Wiedergutmachung für die erlittene Gewalt. Formen der Wiedergutmachung, die aus finanziellen Maßnahmen, Wiedereingliederungsplänen oder sogar symbolischen Maßnahmen bestehen können, sind von entscheidender Bedeutung. Auch hier hat die internationale Justiz eine kleine Rolle zu spielen, aber es ist absolut unerlässlich, dass die Staaten ihre Verantwortung übernehmen und die absolut notwendigen Maßnahmen einführen.
Das Interview führte Jean-Charles Putzolu – Vatikanstadt.
(vatican news – jean-charles potzulo/pr)
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