Libanon: Abermals kein Pr?sident gew?hlt
Zwölf Versuche, kein Ergebnis: Den 128 Abgeordneten des libanesischen Parlaments gelang es am Mittwoch bei der Wahl eines neuen Staatspräsidenten nicht, sich auf einen Kandidaten zu einigen. Es war mehr eine Abstimmung als eine Wahl, bei der der Kandidat der christlichen Parteien den Kandidaten der Hisbollah um einige Stimmen übertraf. Das Machtvakuum dauert nun schon sieben Monate. Im Oktober hörte der 89-jährige Ex-Warlord Michel Aoun als libanesischer Präsident turnusmäßig auf. Seither sucht der bankrotte Zedernstaat einen Nachfolger – und das klappte auch an diesem Mittwoch wieder mal nicht, wie der Politikwissenschaftler Karim Bitar, Libanon-Experte beim IRIS und an der Jesuitenuniversität Saint-Joseph in Beirut, im Gespräch mit Radio Vatikan erklärt:
?Die Präsidentschaftswahlen im Libanon haben nicht nur eine lokale, sondern auch eine regionale Dimension. Die jüngste Entspannung zwischen Iran und Saudi-Arabien scheint sich noch nicht auf das libanesische Gleichgewicht auszuwirken. Vielleicht kann die französische Vermittlung durch den ehemaligen Chefdiplomaten Jean-Yves Le Drian, der nächste Woche von Emmanuel Macron persönlich in den Libanon entsandt wird, etwas bewirken.“
Proporzsystem macht es schwierig
Laut Verfassung muss der neue Staatspräsident maronitischer Christ sein. Doch die aktuelle politische Situation sei ?leider extrem schwierig und extrem verfahren“, so Lisa Kramer von Malteser International gegenüber Radio Horeb. Sie ist Beraterin für Partnerprogramme im Libanon und lebt selbst im Libanon:
?Es gibt den religiösen Proporz in der libanesischen Verfassung, was bedeutet, dass die kleineren und die größeren religiösen Gruppen allesamt in der Regierung, mindestens aber im Parlament vertreten sein müssen. Zum Beispiel ist der Ministerpräsident Sunnit. Der Präsident soll ein maronitischer Christ sein, der Befehlshaber der Armee ist wiederum Christ. Das wurde vor Jahrzehnten festgelegt im Rahmen der Unabhängigkeit von Frankreich und besteht seitdem in dieser Form. Die jetzige Verfassung ist seit 1999 gültig. Dass es nicht vorwärts geht mit der Politik, wird momentan dadurch verhindert, weil sich die religiösen Gruppen nicht auf einen Präsidenten einigen können, der mittlerweile dringend gewählt werden müsste. Im Land, das seit Oktober 2022 von einer Übergangsregierung regiert wird, gibt es keine funktionierende Regierung, obwohl die Probleme so dringend sind, dass eigentlich wirklich Handlungsbedarf für die Menschen vor Ort besteht.“
Nun ist auch der zwölfte Versuch gescheitert und die Menschen im Land blicken mit Resignation auf die vielen Wahlen zurück, so Kramer. Die Wahl am Mittwoch verlief ?schon fast wie nebenbei, weil viele Menschen die Hoffnung verloren haben, dass sich wirklich etwas ändern wird“, erläutert sie:
?Im Kern haben viele leider die Hoffnung verloren, dass der Libanon von sich selbst aus zu einer Lösung für diese Krise kommen wird. Im Vorfeld der Wahl hatte der maronitische Patriarch Kardinal Rai Vermittlungsgespräche mit den verschiedenen Lagern geführt.“
Rolle der Religionen
Die Religionen spielen laut der Expertin im Libanon eine andere Rolle, als in Deutschland:
?Also gerade, wenn man den Vergleich zu Deutschland macht, würde ich sagen, ist die Religion extrem präsent. Die Identitäten sind im Land anhand religiöser Linien festgelegt. Das heißt, ich identifiziere mich nicht nur als Libanese, sondern ich identifiziere mich als libanesischer Christ, was ja bei uns in Deutschland heutzutage nicht mehr der Fall wäre, dass Menschen sagen: Ich bin deutscher Katholik, ich bin deutscher Muslim, ich bin deutscher Schiit und deutscher Sunnit. Hier im Libanon ist es aber so, dass beispielsweise schon an einem Namen großenteils erkannt werden kann, welcher religiösen Gruppe Menschen angehören. Und dadurch, dass das Land so starke Probleme momentan hat, also in einer der schlimmsten Wirtschaftskrisen seit Jahrhunderten weltweit steckt, gibt es immer mehr soziale Spannungen und diese verlaufen entlang religiöser Linien, sodass gegenseitig Vorwürfe gemacht werden und gegenseitige Schuldzuweisungen erfolgen.“
Das Land am Mittelmeer leidet seit mehr als drei Jahren unter der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte. Die Währung hat mehr als 95 Prozent ihres Wertes verloren. Der Libanon braucht sowohl einen Präsidenten als auch eine funktionsfähige Regierung, um bislang ausgebliebene Reformen umzusetzen.
(radio horeb/vatican news -mg)
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