Genozid-Aufarbeitung in Ruanda: Gemeinsam weiterleben, aber wie?
„Eine Christin fragte nach dem Völkermord in Ruanda den Bischof: Können wir die Messe weiterhin so feiern, wie wir sie vor dem Genozid gefeiert haben? - Es war ein Hinweis darauf, dass etwas versagt hatte. Es gab etwas, das neu erfunden oder in dieser mehrheitlich christlichen Gesellschaft überarbeitet werden musste“, erläutert der Mitautor und Mitherausgeber des Buches Pater Michel Kamnazi die Risse, die der Völkermord auch im Glaubensleben der Menschen hinterließ.
Wie weiterleben?
Der Titel des Buches, übersetzt etwa „Theologie in Ruanda nach dem Genozid neu erfinden“, verweist auf die Notwendigkeit eines Neuanfangs. Weiterleben scheint ohne Heilung kaum möglich. Aber geht das mit den bekannten Formen und Orten, aus einer Welt, die aus den Fugen geriet? Nach dem Völkermord ist das Leben in Ruanda ein anderes, selbst Gott scheint verdunkelt. Weiterleben ja, aber wie?
2019 hatte in Kigali anlässlich des 25-Jahr-Gedenkens an den Völkermord eine von Jesuiten organisierte Konferenz über die Genozid-Folgen stattgefunden, deren Beiträge in den Sammelband einflossen. Dabei wurde auch der Opfer und der vielen Verschwundenen gedacht, darunter der Jesuiten Innocent Rutagambwa, Chrysologue Mahame und Patrick Gahizi.
Die Überlegungen in dem Sammelband richten sich darauf, „wie Kirche als Familie Gottes in Ruanda nach dem Genozid neu gedacht werden kann und welche Theologie in diesem Kontext vorgeschlagen sollte“, fasst der ruandische Jesuit Kamnazi gegenüber Pope zusammen. Seit dem Völkermord habe die Kirche in Ruanda Wege gesucht, um Versöhnung zu ermöglichen. Kardinal Antoine Kambanda, dem Erzbischof von Kigali, beschreibe dies im Kapitel über „Die Rolle der Kirche im Versöhnungsprozess in Ruanda“. Aufklärung sei dabei ein Element, erläutert Kamnazi.
Aufklärung und dem Leid zuhören
„Unter anderem haben die Kirche und die Gesellschaft in Ruanda auf die Gacaca-Gerichte, eine Form der Volksgerichtsbarkeit, zurückgegriffen, um die Geschehnisse aufzuklären. Diese Methode, wie auch die organisierte Synode, zielten darauf ab, einen Raum zu schaffen, in dem Menschen zu Wort kommen und das Leid des anderen anhören konnten, um auf dem Weg des Mitgefühls und der Vergebung voranzukommen.“
Weiteres Element: das gemeinsame Gedenken. Viele Menschen hätten auch fast 30 Jahre nach dem Völkermord noch lebhafte Erinnerungen an die Tragödie. Immer wieder äußerten sie, wie wichtig für sie das Gedenken an die Verstorbenen sei. „Jedes Jahr wird der Monat April dem Gedenken an diejenigen gewidmet, die bei diesen unglücklichen Ereignissen ums Leben gekommen sind“, berichtet der Jesuit Kamnazi. „Damit wir uns stärker bewusst werden, wie vermeidbar das war, was geschehen ist, und wie folgenschwer das war, was geschehen ist.“
Gemeinsames Gedenken und Erinnerungskultur
Das Gedenken an die Toten mit und ohne Namen sei eine Möglichkeit, gemeinsam die Verstorbenen zu ehren, für die in Ruanda mehrere Gedenkstätten errichtet wurden. Kamnazi hofft, dass diese Denkmäler zu Orten der Erinnerung für alle Menschen werden, auch für diejenigen, die ihre Landsleute damals im Namen ihres Glaubens beschützt hätten. Diese Erinnerung zu kultivieren könne der Gesellschaft beim Wiederaufbau helfen.
Größte Herausforderung der Kirche in Ruanda sei auch heute noch, „das Vertrauen zwischen den Menschen wieder herzustellen“ und „eine Kultur des Friedens aufzubauen“, fährt der Jesuit fort. Soziale Bindungen seien zerbrochen, das Zusammenleben beschädigt, auch innerhalb der Kirche. Der ruandische Jesuit hofft, dass der Sammelband und die verschiedenen Beiträge der Autoren zu diesem Wiederaufbau beitragen können. Dies könne auch für andere Konfliktgebiete in Afrika und in der Welt wertvoll sein, zeigt er sich überzeugt.
Sakralität, mit Füßen getreten
Wie lässt sich nach Traumata wie in Ruanda, die Gemeinschaften bis ins Mark erschütterten und entzweiten, weiterleben? Wie lässt sich umgehen mit der Tatsache, dass dies von Mensch zu Mensch und an Orten des Lebens, der Gemeinschaft, sogar des Friedens und Glaubens geschah? Diesen Aspekt macht der Bibelwissenschaftler Kamnazi in seinem Artikel sehr anschaulich. Während des Völkermords flohen viele Christen in die Kirchen, weil sie dort auf Schutz und Frieden hofften. Aber selbst dort, an den heiligen Orten des Gebets, kam es zu grausamen Gemetzeln.
Diese krude Missachtung von Sakralität hat den Jesuiten umgetrieben. Er verarbeitet das in seinem Text „The Temple of His Body: Rediscovering Churches and Human Beings as Sacred Spaces”, der Teil des Sammelbandes ist. Darin plädiert der Johannes-Spezialist Kamnazi für eine Wiederentdeckung der Sakralität von Kirchen und Menschen (beziehungsweise deren Körpern) als „heilige Orte“. Insbesondere Kirchen, in denen getötet wurde, könnten Orte des Gedenkens, der Evangelisierung und der Bildung werden, schlägt er eine Transformation des Schreckens vor.
(vatican news – pr mit Material von Stanislas Kambashi SJ)
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