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Demonstrantin für Wahrung der Menschenrechte im Iran Demonstrantin für Wahrung der Menschenrechte im Iran  (AFP or licensors)

Iran: „Jugend lebt in einer ganz anderen Welt“

Shoura Hashemi ist Diplomatin in Wien und eine der Personen in Österreich, die täglich über den Iran berichten. Im Interview mit dem Kölner Domradio zeigt sie sich überzeugt, dass die Mullahs zunehmend einknicken - vor allem vor der jungen Generation.

DOMRADIO.DE: Sie sind auf Twitter sehr aktiv, posten mehrmals täglich Bilder, Videos von Demonstrationen im Iran, von Frauen, die sich tanzend auf Straßen begeben, ohne Schleier und vieles mehr. Was meinen Sie, nimmt das religiöse Regime im Iran ihren medialen Protest wahr? 

Shoura Hashemi (Mandatarin im Dienststellenausschuss, österreichisches Außenministerium): Also, ob es meinen persönlichen Protest wahrnimmt, weiß ich nicht. Ich glaube nicht, dass ich so wichtig bin. Aber dass sehr viele Aktivistinnen und Aktivisten auf der Welt Videos teilen, Informationen einordnen und alles aus dem Iran heraustragen, was vor Ort passiert - an Protest, an Revolutionsbewegung - das nimmt das Regime auf jeden Fall wahr und das setzt sie auch sehr stark unter Druck. 

Zum Nachhören - einen Beitrag vom Kölner Domradio

DOMRADIO.DE: Jetzt hat die Bevölkerung im Iran nicht wirklich Zugriff auf Twitter und Co. Wie gelangen denn Videos und Bilder an Sie? 

Hashemi: Also, die Bevölkerung im Iran hat zwar offiziell keinen Zugriff auf Twitter und Instagram; das Netz ist gefiltert. Aber sie sind natürlich eine junge Bevölkerung, sie sind technisch sehr bewandert und sie kennen sich mit dem Internet gut aus. Es ist eine Generation, die mit digitalen Medien aufgewachsen ist. Das heißt, sie finden Mittel und Wege, das zu umgehen. VPNs spielen da eine große Rolle und so können sie Videos posten auf sozialen Netzwerken. Telegram spielt auch eine sehr große Rolle als Messenger-Kanal mit eigenen Plattformen für die revolutionäre Bewegung. Und zum Teil sind es auch einfach Privatpersonen, die sich in Aktivisten-Netzwerken zusammengetan haben und die uns diese Videos auch per Messenger-Kanal wie Signal schicken. 

Nicht mehr im Griff

DOMRADIO.DE: Seit Jahrzehnten gibt es Diskussionen im Iran. 2019 gab es schon mal große Demonstrationen. Da sind Zehntausende wegen hoher Benzinpreise auf die Straße gegangen, damals wurden mehr als 1500 Menschen durch das religiöse Regime ermordet. Nun der nächste Akt. Was mit einem Kopftuch begann, wurde zur größten feministischen Revolution des Landes. Und die ist noch lange nicht vorbei. Wie viel Angst hat das Regime vor den Frauen und vor der Generation Z? 

Hashemi: Ich bin überzeugt davon, dass das Regime sehr viel Angst hat vor dieser jungen Generation und vor den Frauen, weil sie merken, dass sie das nicht mehr im Griff haben. Das sind Menschen, die jetzt der dritten Generation nach der Islamischen Revolution von 1979 angehören.

Das sind junge Menschen, die eigentlich mit diesen Werten, die damals verkörpert wurden, überhaupt nichts mehr anfangen können. Die leben in einer ganz anderen Welt als diese 80-jährigen Mullahs. Die haben keine Angst vor anderen Staaten. Die sehen die USA oder Israel nicht als den großen Feind.

Das sind einfach teilweise „recht verwestlichte“ junge Menschen, die sich auch aus diesen Gründen, muss man sagen, von der Religion abgewandt haben und die natürlich auch zahlenmäßig sehr groß sind. Also diese junge Generation, die Menschen unter 30, sind ein sehr großer Teil der Bevölkerung. Und das Regime merkt einfach zunehmend, dass sie überhaupt nicht mehr durchkommen. Zum Beispiel auch mit ihrer Sprache.

Gerade die Mullahs, wenn sie irgendwo auftreten, haben eine sehr alte Sprache, die Sprache aus den Siebzigern, eine antiimperialistische Kampfsprache. Die zieht bei diesen jungen Menschen einfach nicht mehr und das macht ihnen Angst. 

EIne verschleierte Iranierin trägt eine VR-Brille auf der International Holy Koran Fair in Teheran
EIne verschleierte Iranierin trägt eine VR-Brille auf der International Holy Koran Fair in Teheran

DOMRADIO.DE: Auslöser für die aktuellen Demos war die Ermordung der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini durch die iranische Sittenpolizei. Mittlerweile redet Iran Human Rights von über 300 Toten und mehr als 15.000 Festnahmen. Und bei vielen besteht die Gefahr, dass sie auch zum Tode verurteilt werden. Nun kam die letzten Tage die Nachricht, dass Frauen, die keinen Schleier tragen, einer Verfolgung ohne Gnade ausgesetzt sind. Was soll das bedeuten? 

Hashemi: Es ist, glaube ich, ein weiteres Zeichen für die Nervosität des Regimes. Die Mullahs merken, dass gerade diese Kopftuch-Frage sich hochstilisiert zur Frage um das System als solches. Das Regime hat definitiv Angst, dass, wenn sie nachgeben bei der Verschleierung - es geht ja um eine Zwangsverschleierung, nicht um eine freiwillige - alles andere dann auch fällt. Und deswegen versuchen sie da auch so streng zu sein. Sie kommen nur nicht damit durch.

Diese Ankündigungen, dass das jetzt immer strenger gehandhabt wird, gibt es seit dem Herbst. Im November 2022 wurde eine Gesetzesverschärfung beschlossen, die Sittenpolizei wurde finanziell gestärkt. Aber all diese Maßnahmen haben nicht dazu beigetragen, dass sich diese Zwangsverschleierung wirklich durchgesetzt hat. Und gerade in den letzten beiden Wochen - da waren Feiertage Im Iran - hat man auf unzähligen Videos und Fotos gesehen, dass die Frauen nicht mehr bereit sind, sich zu verschleiern. Dass sie in Einkaufszentren gehen ohne Verschleierung, dass sie in diesem Tourismusstädten unterwegs sind und dass sie selbst nach Aufforderung durch Sittenpolizisten, durch Regimeleute, nicht bereit sind, sich zu fügen. Und jetzt trägt natürlich auch das warme Wetter dazu bei, dass immer weniger auf diese Bekleidungsvorschriften geachtet wird. Und das macht dem Regime weiter Angst. 

Internationale Aufmerksamkeit macht Mut

DOMRADIO.DE: Wo nehmen die Frauen, aber auch die Männer, die Hoffnung her? 

Hashemi: Ich glaube, was ihnen sehr viel Hoffnung gibt, ist, dass die Weltöffentlichkeit zuschaut; dass die wirklich seit über sechs Monaten zuschaut. Das ist auch der Unterschied zu den Protesten von 2019, wo leider niemand hingeschaut hat. Also auch wir nicht, die Diaspora nicht. Das gibt ihnen Hoffnung. Und dass sie einfach auch im Land selbst merken, dass das Regime immer verzweifelter wird. Dann kommt die wirtschaftliche Lage dazu, die sehr schlecht ist im Iran, die Währung, die fast in täglichen Tagesschritten abgewertet wird, die Inflation, die immer höher wird. Also man spürt, glaube ich, im Land - das ist das, was mir immer wieder gesagt wird - dass da was im Umbruch ist und dass dieses Regime einfach wackelt.

„Ja, also diese kleinen Sanktionspakete, die sind nett, die sind symbolisch, aber die werden natürlich nicht viel ausrichten“

DOMRADIO.DE: Sie sind Diplomatin in Österreich. Was kann denn die EU tun, außer immer nur zu sagen, wir werden die eine oder andere Sanktion erhöhen? 

Hashemi: Ja, also diese kleinen Sanktionspakete, die sind nett, die sind symbolisch, aber die werden natürlich nicht viel ausrichten. Eine ganz große Maßnahme, für die wir auch schon seit Monaten lobbyieren, ist die Listung der Revolutionsgarde, also dieser Wächtereinheit der Revolution, die mittlerweile wie eine Mafia dieses ganze Land in den Händen hält, die gesamte Wirtschaft kontrolliert und eben diese Kleriker an der Macht hält. Wenn man diese Gruppe wirklich als terroristische Organisation bezeichnet und auch auf die EU-Terrorliste setzt, das wäre zum Beispiel ein starker Schritt, das wäre wirklich ein Bruch mit dem Regime.

Das würde auch den Leuten vor Ort helfen, in ihrem Widerstand. Es würde ihnen wieder Kraft geben, es würde Vermögenswerte einfrieren. Das ist auch ganz wichtig, dass diese Leute, diese herrschende Klasse im Iran, ja sehr reich geworden ist in diesen letzten 44 Jahren. Man spricht da auch von diesen Mullah-Millionären, die durch das Umgehen von sanktionierten Ölgeschäften, Millionäre bzw. Milliardäre geworden sind. 

DOMRADIO.DE: Blicken wir noch einmal auf Ihre Social Media-Aktivitäten zurück. Die sozialen Medien, die sind ja leider auch ein Sammelbecken für Hasskommentare. Haben Sie damit auch schon Erfahrungen sammeln müssen mit negativen Kommentaren oder sogar Drohungen erhalten? 

Hashemi: Ja, ich kriege sehr viel Negatives, aber interessanterweise ausschließlich auf Farsi, auf Persisch. Und das sind, davon bin ich ziemlich überzeugt, natürlich Leute, die zum Regime gehören bzw. für das Regime arbeiten. Teilweise wird versucht, mich in Gespräche zu locken, mich zu Interviews zu bringen. Mir werden Links geschickt, die ich anklicken soll, wo natürlich klar ist, da ist irgendeine Spyware, also eine Spionagesoftware, inkludiert. Also ja, das sind natürlich Leute, die für das Regime arbeiten und versuchen, mich zu irritieren - teilweise auch in Kommentaren. Es werden Fragen gestellt, es werden Dinge in Frage gestellt, die ich poste. Es wird versucht, das als Fake News zu deklarieren. Also sie versuchen es auf alle Arten und Weisen. 

Den Menschen beistehen

DOMRADIO.DE: Also könnte man durchaus sagen, ihr Leben hat sich auch ein bisschen verändert. 

Hashemi: Mein Leben hat sich komplett verändert. Ich hatte ein relativ bequemes Leben vor dieser Revolution. Ich war politisch überhaupt nicht aktiv, weder in den Iran-Belangen noch sonst, und habe relativ spontan beschlossen, dass ich das jetzt mache und dass ich meine Fähigkeiten, meine kommunikativen Fähigkeiten, dafür nutze. Und das hat wirklich alles auf den Kopf gestellt. Allein zeitlich. Ich mache fast nichts anderes mehr außer arbeiten und mich mit dem Iran beschäftigen, aber auch von meiner Einstellung her. Ich merke selber, ich bin ernsthafter geworden. Ich bin sehr überzeugt von dem, was ich tue. Ich finde das wichtig, was ich tue. Und es gibt mir auch einen Sinn. Nicht, dass es davor keinen Sinn gab in meinem Leben, aber es ist für mich ganz wichtig, diesen Menschen beizustehen und dieses Vertrauen, das sie in mich gelegt haben, nicht zu enttäuschen. 

Das Interview führte Oliver Kelch für das Domradio Köln, das Partnerradio von Radio Vatikan. 

(domradio - pr)

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13. April 2023, 10:02