Russland: ?Sie weinen und sch?men sich sehr“
Mario Galgano und Antonella Palermo - Kasachstan/Vatikanstadt
Als der Papst vor einer Woche in Astana, der Hauptstadt Kasachstans, war, die unmittelbar nach dem Papstbesuch ihren alten Namen wiedererhielt, kamen auch Gruppen russischer Pilger dorthin. Sie hörten Franziskus aufmerksam zu. Unter ihnen war Fr. Dariusz Harasimowicz OFM Conv, ein polnischer Priester, der in Moskau lebt. Dort ist er Oberer der Franziskanerkustodie. Unsere Kollegin Antonella Palermo traf ihn, als der Papst gerade Kasachstan verlassen hatte, um von seiner 38. apostolischen Reise in den Vatikan zurückzukehren.
Die kleine franziskanische Kustodie in Russland und Kasachstan
Heute seien die Minoriten der Russisch-Kasachischen Provinz eine kleine Realität, die in Moskau, St. Petersburg, Tschernjakowsk, Kaluga, Astrachan und Astana verstreut sei. Insgesamt seien sie 16, aus Litauen, Slowenien, Polen, Belarus und Italien, sowie drei junge Leute in der Ausbildung (russischer und kasachischer Herkunft, Anm. d. Red.). Im vergangenen Juni beschloss das Kapitel, die missionarische Präsenz in Russland und Kasachstan für die nächsten vier Jahre fortzusetzen, und zwar mit der Tätigkeit des franziskanischen Verlags, den der Orden 1994 in Moskau gegründet hat. Hier begann die jüngere Geschichte des Ordens nach dem Zusammenbruch der UdSSR, als die Brüder 1993 von Bischof Tadeusz Kondrusiewicz, dem damaligen Apostolischen Administrator des europäischen Russlands, berufen wurden. Zu Beginn ihrer Mission waren die Brüder von mehreren polnischen Ordensprovinzen abhängig; 2001 wurde die russische Generalkustodie des Heiligen Franz von Assisi gegründet, die auch Kasachstan umfasst.
Das Schöne an einer kleinen Herde
Bruder Dariusz erzählt vom Leben seiner Gemeinschaft: Zweimal in der Woche sei die Feier der Messe für die Öffentlichkeit zugänglich. Sie hätten auch ein Gästehaus. Die Beichte sei eine der Aktivitäten, die am meisten in Anspruch genommen wird. ?Man kommt mit den Menschen vertrauter in Kontakt“, bemerkt er, ?man versucht, ihnen aufmerksamer zuzuhören, von Angesicht zu Angesicht, das gefällt mir“. Und fügt hinzu: ?Das Schöne an dieser Kleinheit, dieser kleinen Herde, ist, dass man sieht, was wirklich wichtig ist.“ Darek, wie er sich selbst nennt, wurde 1996 ordiniert. ?Über viele Jahre hinweg habe ich mich immer wieder gefragt, warum ich gerne in diesen kleinen Realitäten bin. Ich denke, weil wir mehr Zeit zum Beten haben, um dem Herrn im Gebet zu begegnen, in einer persönlichen Beziehung zu Christus. Auf diese Weise kann ich mit den Menschen darüber sprechen, wer Christus ist.“
Wie erlebt Moskau den Konflikt in der Ukraine? Mit welcher Geisteshaltung? Dazu stellt er selber eine Frage: ?Wie kann ich den Schatten des Krieges erklären? Diese Frage habe ich mir schon oft gestellt, vor allem während der Exerzitien in der Fastenzeit. Ich glaube, ich habe sehr gut verstanden, dass dieser Krieg das Ergebnis von Fake News ist, die seit 20 Jahren von den Propagandamedien verbreitet werden. Allzu oft wurde gelogen“, sagt der Ordensmann. Er zitiert das Buch ?Erinnerung und Identität“ von Johannes Paul II., in dem der heilige Pontifex den Begriff des Patriotismus erläutert: ?Das Evangelium sagt nicht nur, wer Gott ist, sondern auch, wer der Mensch ist. Nur wenn man versteht, wer der Mensch ist, kann man eine Gesellschaft aufbauen, die auf den Werten des Evangeliums beruht. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hieß es in den Medien immer wieder, dies sei der größte Fehler der Geschichte. Es ist klar, dass es sich um Fake News handelt: Die Länder, die aus dem russischen Imperium hervorgegangen sind, sind glücklich, sie sind frei.“ Er sagt, dass militärische Lösungen nicht dazu dienen könnte, Blut zu vergießen; in Russland wisse man wirklich nicht, was die Wahrheit sei. Er erinnert daran, dass Christus die menschlichen Werte der Würde gebracht habe: ?Wie wir Christen immer betonen, ist der Frieden immer gut. Gab es wirklich keine andere Möglichkeit, die Probleme zu lösen? Offenbar sehen viele in Russland die drastischen Folgen dieses Krieges nicht.“
Ihm gefiel die Predigt des Papstes bei der Messe auf dem Expo-Gelände in Kasachstan: der Hinweis auf die gegensätzlichen Bilder von ?Schlangen, die beißen“ und ?Schlangen, die retten“, hätten ihn besonders beeindruckt. Und weiter:
?Dann hat mir gefallen, dass er gesagt hat, dass niemand in der Kirche ein Fremder ist. Wir sind eigentlich alle eine Familie. Ich habe diese Atmosphäre geatmet, ich habe gespürt, dass man eine richtige Familie gründen kann, das ist ein Zeichen für die Zukunft. Wahre Freude hat ihre einzige Grundlage in Christus. Wir müssen immer zu ihm zurückkehren, der uns zum wahren Licht führen kann. Krieg zerstört die Beziehungen zwischen den Menschen, Frieden verbindet“, prangert er an. Zu ihm kommen Menschen in Russland, die den Krieg nicht gutheißen: ?Sie weinen und schämen sich sehr. Sie können anderen nicht ins Gesicht sehen. Leider gibt es nicht viele von ihnen. Aber ich glaube, dass diese Gruppe von Tag zu Tag wachsen wird.“
(vatican news)
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