Heiliges Land: ?Der Glaube der Migranten besch?mt mich, den Priester“
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
In offizieller Funktion ist Pater Nikodemus Schnabel seit bald einem Jahr Patriarchalvikar für alle Migranten und Asylsuchenden des lateinischen Patriarchats von Jerusalem. ?Es ist ein riesiges Vikariat“, erzählt er uns, an die 100.000 Menschen umfasst die Gemeinde der Migranten im Heiligen Land, so schätzt er es. Amtliche Zahlen gibt es nicht, kann es nicht geben, ?denn viele der Arbeitsmigrantinnen und Migranten - aber eigentlich vor allem Migrantinnen, 90 Prozent sind Frauen - sind eben auch mit abgelaufenen Visa da oder völlig illegal, oder sind als Touristen gekommen und sind dann ,gejumpt´, wie man das fachsprachlich sagt: also abgesprungen von der Pilgergruppe und dann in den illegalen Arbeitsmarkt gegangen.“
Migrantengemeinde: Anmutung von Pfingsten
Wenn der Benediktiner aufzählt, welche Nationalitäten er in seiner ganz und gar außergewöhnlichen Gemeinde hat, klingt es nach Pfingsten: ?Wir reden hier von Filipinos, Sri Lankern, Indern, Chinesen, Ukrainern, Polen, Rumänen, Englisch- und Französischsprachigen aus Afrika, und Lateinamerika.“
So viele verschiedene Gemeinschaften, so viele verschiedene katholische Bräuche und Riten, so viele Eigenheiten und Schicksale. ?Wir haben Konkani-sprachige Inder, Gujarati-sprachige und Malayalam-sprachige Inder, singhalesische Srilanker, die Filipinos, die entweder auf Englisch oder auf Tagalog feiern“, erzählt der Benediktiner, ?die Afrikaner haben sich zusammengetan, ob englisch- oder französischsprachig, die Lateinamerikaner feiern auf Spanisch und die Chinesen auf Mandarin. Und ja, es gibt ganz verschiedene Lebenswirklichkeiten dieser Menschen.“
Migranten (viele) und Asylsuchende (wenige)
Was machen diese 100.000 Migranten im Heiligen Land? Pater Nikodemus unterscheidet zwischen einer kleinen, schrumpfenden, und einer großen und wachsenden Gruppe. In der kleinen Gruppe sind Eritreer und Äthiopier.
?Das sind wirklich die, die vor Terror und Krieg geflohen sind. Sie leben in einem Limbo, im Vakuum: Sie sind keine Geflüchteten, sondern Asylsuchende. Das heißt, die hoffen darauf, dass sie eigentlich weiterziehen dürfen. Momentan ist das Paradies Kanada. Diese Gruppe schrumpft.“
Im Wachsen dagegen ist die Gruppe der Arbeitsmigrantinnen und -Migranten im Heiligen Land. Menschen, die ein irgendwie gesichertes Leben suchen, die sich wünschen, dass ihre Kinder zur Schule gehen und etwas lernen können. Das sind Schicksale, die dem deutschen Pater sehr nahe gehen, wie er uns sagt. ?Wir haben sehr oft den Fall, eine Mutter lässt ihre Kinder und ihren Mann daheim, oft ist auch der Mann in einem anderen Land, und die Großeltern ziehen die Kinder groß. Und die sehen dann durchaus mal fünf Jahre ihre Kinder nicht, sondern nur über Skype und Zoom.“ Diese Arbeitsmigrantinnen und -Migranten sind in drei Feldern beschäftigt, hat Pater Nikodemus beobachtet: die Frauen in Haushalten oder in der Landwirtschaft, die Männer auf dem Bau.
?Viele fangen ihre Karriere legal an. Es gibt Verträge zwischen Israel und Sri Lanka, Israel und Indien, Israel und den Philippinen. Aber die Arbeitsbedingungen sind prekär. Das heißt, wenn es mit dem Arbeitgeber nicht klappt, und ich möchte nur das Stichwort häusliche Gewalt andeuten, sexuelle Ausbeutung und viele andere Abgründe, die man auch gar nicht in Europa so genau wissen will, dann gehen diese Menschen in die Illegalität und arbeiten halt weiter, wohnen dann oft mit 20 oder 25 Leuten in einem Wohnraum, einem Apartment und putzen dann häufig, das ist dann das klassische Arbeitsfeld der Illegalen, oder sind auch bei Familien, die sie dann einfach sozusagen schwarz beschäftigen.“
Noch prekärer werden die Verhältnisse dieser Menschen durch den Umstand, dass sie nicht heiraten können. Einen Ehemann oder eine Frau oder Kinder zu haben, ist ihnen de facto verwehrt; das Menschenrecht auf Familie, hier ist es außer Kraft gesetzt. Denn:
?Wer heiratet, wird automatisch illegal. Und meine Frauen dürfen keine Kinder gebären. Geburt bedeutet auch Illegalität. Das heißt also, Schwangerschaftskonflikte sind mein tägliches Brot in der Seelsorge. Selbstmordgedanken dieser alleinerziehenden Frauen ist mein tägliches Brot in der Seelsorge. Und man kann erahnen, diese Frauen werden auch nicht unbedingt freiwillig schwanger, in einer Liebesbeziehung, das passiert auch, sondern zum Teil {eben nicht, meint der Pater, aber er lässt den Satz unvollständig}. Da verbinden sich Schicksale, die geballte Tragik sind.“
Ja zum Leben? Dann ja zu Kinderkrippen
Wenn aber Christen kompromisslos ?Ja“ zum Leben sagen, dann hat das praktische Folgen für die Nächstenliebe. Die werdenden Mütter brauchen jeden Beistand, jeden Schutz. Deshalb hat Nikodemus Schnabel zusammen mit Ordensfrauen mehrere Dutzend Kinderkrippen für diese Migrantinnen im Heiligen Land gegründet. Einige der Mütter sind dort sogar angestellt, ?herausgenommen aus dem brutalen Arbeitsmarkt“, wie der Benediktiner sagt, und können sich so um ihre eigenen und um die Kinder anderer Frauen in ähnlicher Lage kümmern. Auch ein Kinderheim betreibt der Migrantenseelsorger. Es heißt Schutzengel-Haus.
?Den Vater gibt es nicht und die Mutter ist dermaßen überfordert vom eigenen Leben, vom Überlebenskampf, dass wir die Kinder aufnehmen und die auch bei uns übernachten, wir sie versorgen, also 24 Stunden für sie da sind. Das sind Kinder, die auch psychologische und soziale Betreuung brauchen. Ein ganz großer Schwerpunkt der Arbeit. Einfach aus der Konsequenz heraus: Wenn ich zum Leben ermutige, also wenn ich A sage, muss ich auch die Konsequenz, nämlich B anbieten, dass das auch möglich ist.“
Die Versklavten - und ihr Glaube
Hier sind sie, die existentiellen Peripherien, von denen Papst Franziskus nicht müde wird zu reden. Lebenswirklichkeiten, die in Westeuropa einfach unvorstellbar sind. Was aber gleichzeitig stark und groß ist bei den Migranten im Heiligen Land, ist ihr Glaubensleben.
?Das ist diese positive Seite, die mich tief erschüttert. Es sind Geschwister im Glauben, denn es gibt ja keine deutsche, keine indische, keine srilankische Taufe, es gibt nur die eine Taufe, und das sind wirklich meine Schwestern und Brüder. Das heißt, wenn ich von denen rede, rede ich nicht nur von Humanität und Geschwisterlichkeit aller Menschen im Sinne von , sondern es geht ja noch näher: Das sind meine Mit-Getauften, die ganz derselben Kirche angehören wie ich. Und wenn ich sehe, unter welchen Umständen sie leben und ihre Frau stehen, ihren Mann stehen im Leben unter wirklich widrigen Bedingungen - und dann, mit welcher Intensität sie ihren Glauben leben: Wirklich, das berührt mich zutiefst.“
Zoom-Messen aus schierer Sehnsucht
Und Pater Nikodemus berichtet von Dutzenden digitaler Gebetsgruppen nachts um elf oder um Mitternacht – digital nicht aus Bequemlichkeit, sondern aus schierer Sehnsucht.
?Das wird auch alles gestreamt. Es ist ganz normal, dass ein Gottesdienst sofort auf YouTube live geht oder Facebook oder Instagram. Die Digitalität ist für sie ein Segen, aber aus einer Sehnsucht heraus, dass diese Menschen darunter leiden, dass sie nicht täglich zur Eucharistiefeier gehen können, und, noch schlimmer, nicht einmal am Sonntag. Es gibt eine unfassbare Sehnsucht, den Glauben zu leben. Die Inder zum Beispiel haben auch ganz viele Bibelprogramme, damit sie die Bibel besser kennenlernen können. Und wenn ich predige, ich bin immer wieder überrascht, wenn ich da die Bibel zitiere, die rufen mir die Bibelstelle rein!“
Chinesische Bauarbeiter, die einander evangelisieren
Eine ganz besondere Gemeinschaft von Migranten im Heiligen Land betreut Nikodemus Schnabel auch: chinesische Bauarbeiter. Eine sozusagen geheime Gruppe. Denn ein Glaubensleben zu haben, ist für diese Männer eine Gefahr.
?Diese Gemeinschaft hat nicht Angst vor Israel, dass sie abgeschoben werden, sie sind alle legal da, als Bauarbeiter, aber sie praktizieren ihren Glauben im Untergrund. Es ist meine einzige Gruppe, die wirklich nur aus Männern besteht. Bei allen anderen gibt es einen Frauenüberhang von 90 Prozent, die Chinesen sind da eine Sonderform. Die treffen sich heimlich und studieren die Bibel, feiern Gottesdienst und missionieren sich untereinander. Es ist tatsächlich eine der Gruppen, wo ich regelmäßig Erwachsenentaufen habe. Und werde ich sehr, sehr demütig und denke: Die besseren Missionare sind die Bauarbeiter untereinander, und ich als Theologe kann von denen lernen.“
Die Glaubensintensität seiner Brüder und Schwestern Migranten im Heiligen Land berührt den deutschen Seelsorger zutiefst. Er schildert es so:
?Wenn ich da am Altar stehe und sehe, ich meine, das sind die modernen Sklaven unserer Zeit, die wirklich marginalisiert und diskriminiert werden: Mit welcher Freude und welcher Intensität sie Gottesdienst mitfeiern… Und dann stehe ich da am Altar und kämpfe eigentlich immer noch bei jedem Gottesdienst mit den Tränen, und denke, ich stehe hier als Priester, als Mönch, als promovierter Theologe, ich bin so privilegiert - aber diese Menschen sind näher an Gott als ich es bin.“
(vatican news)
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