Syrien: ?Worum sie mich bitten, ist Hilfe beim Auswandern“
?Das erste, worum sie mich bitten, ist Hilfe bei der Auswanderung.“ Mit Sorge erzählt der Apostolische Nuntius in Syrien, Kardinal Mario Zenari, im Interview mit ?Telepace“ von dem Wunsch, den vor allem junge Syrer äußern, wenn sie ihm begegnen. ?Sie sehen keine Zukunft", erklärt der Kardinal und beschwört damit ein Bild herauf, das die derzeitige Situation im Land abbildet: ?im Dunkeln, in der Kälte und in der Schlange vor den Bäckereien, die Brot zu staatlich regulierten Preisen verkaufen". Ein Großteil der Bevölkerung des ehemals einigermaßen wohlhabenden Landes lebt heute, im elften Jahr des Krieges, am Rand des Existenzminimums.
?Es handelt sich um die schwerste humanitäre Katastrophe seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs", erklärt der Nuntius. Franziskus hatte bei seiner Weihnachtsansprache vor dem Segen Urbi et Orbi den Blick auf Syrien gelenkt. Für viele syrische Familien ist die einzige Lösung, die sich abzeichnet, die Flucht. ?Viele sind vor kurzem nach Europa gegangen und sitzen nun in der Ukraine fest", warnte der Kardinal. ?Ich habe aus direkter Quelle erfahren, dass die Familien den Schleppern etwa 20.000 Dollar zahlen, um auf den Alten Kontinent zu gelangen". Das sind exorbitante Kosten für den Lebensstandard in diesen Gegenden. Aber viele nehmen das trotzdem auf sich. ?Die Menschen müssen das Wenige, das sie haben, verkaufen, sich verschulden und sind dann vielleicht gezwungen, zurückzukehren“, so der Nuntius.
Weltinteresse weg, Leid noch vorhanden
Und obwohl die Nachrichten von den glücklosen Geflüchteten an den Rändern Europas Schlagzeilen machen: Nach Ansicht von Kardinal Zenari besteht die Gefahr, dass die Welt die syrische Tragödie übersieht. In den vergangenen zwei oder drei Jahren ?ist Syrien in Vergessenheit geraten“, beklagt der Nuntius. ?Nachrichten darüber finden keinen Platz mehr in den Medien und so bleibt der Schmerzensschrei so vieler unserer Brüder und Schwestern ungehört."
Das Leid wird durch die Hilfe gelindert, die die Menschen auch über die Nuntiatur erreicht. Kardinal Zenari dankte den vielen ?barmherzigen Samariter", wohlhabende und weniger wohlhabende. ?Mich berührt ihre Großzügigkeit: Sie sind Wassertropfen oder auch Wasserhähne in der Wüste.“ Es brauche aber auch ?die internationale Gemeinschaft, um einen Fluss der Hilfe für Syrien zu öffnen". Der Kardinal erinnert daran, dass nach Ansicht von Experten mindestens 400 Milliarden Dollar nötig sind, um den Wiederaufbau zu beginnen, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen und den Menschen wieder Hoffnung zu geben.
In der Zwischenzeit leisten die wenigen im Land verbliebenen Christen unermüdlich Wohltätigkeitsarbeit. Eines der aktiven Projekte betrifft den fast völlig fehlenden Gesundheitssektor. Das Projekt heißt ?offene Krankenhäuser" und zielt darauf, mittellose Kranke in drei katholischen Einrichtungen zu versorgen, zwei in Damaskus und eine in Aleppo. ?In vier Jahren wurden 60.000 kranke Menschen aller ethnischen oder religiösen Zugehörigkeiten kostenlos behandelt“, erzählt Zenari. ?Ein Projekt, das auch den sozialen Wiederaufbau zum Ziel hat. Viele muslimische Familien sind von der Großzügigkeit der Christen überrascht. Auf diese Weise versuchen wir, den Dialog und die Koexistenz zwischen den Religionen zu fördern, was sehr wichtig ist".
Hintergrund
Seit 2011 herrscht in Syrien Krieg. Schätzungen zufolge haben mehr als eine halbe Million Menschen ihr Leben verloren, rund 13 Millionen Syrer mussten ihre Heimat verlassen. Knapp die Hälfte von ihnen sind Binnenflüchtlinge im eigenen Land. Die andere Hälfte ist vor der Gewalt ins Ausland geflohen, die meisten in die Nachbarländer, vor allem in den seinerseits krisengeplagten Libanon. Syriens autokratischer Präsident Baschar al-Assad hat den Großteil des Landes wieder unter seine Kontrolle gebracht. Frieden und Sicherheit für die syrische Bevölkerung sind allerdings weit entfernt.
(vatican news – gs)
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