Justin Welby: Kirche ist synodal, wenn man gemeinsam geht
Christine Seuss und Christopher Wells - Vatikanstadt
Erzbischof Justin Welby von Canterbury nimmt derzeit in Rom an einer Reihe von Begegnungen mit Papst Franziskus und anderen religiösen Führern teil, am Donnerstag steht der Abschluss des Internationalen Friedenstreffens auf dem Programm, das durch die Gemeinschaft Sant’Egidio organisiert wurde.
In dem Gespräch mit dem Primas der Anglikanischen Kirche ging es darum, wie alle Religionen zusammenarbeiten können, um in Sachen Umweltschutz gemeinsam voranzukommen, aber auch, welche Erfahrungen die anglikanische Gemeinschaft der katholischen Kirche zu Beginn der Synode über die Synodalität anbieten kann, und welche Hoffnungen er für einen gemeinsamen Besuch mit Papst Franziskus im Südsudan hegt. Erzbischof Welby schloss das Interview mit der Erinnerung daran, dass Gott größer ist als alle Schwierigkeiten, die die Welt uns bereiten kann.
Eine vollständige Abschrift des Interviews von Christopher Wells mit Erzbischof Welby finden Sie hier:
Herr Erzbischof, ich weiß, dass Sie zum Teil wegen der Vorbereitungen für die Klimakonferenz COP26 hier sind, und am Montag haben Sie mit Papst Franziskus einen Appell über die Sorge für unser gemeinsames Haus unterzeichnet. Können Sie uns sagen, wie die Kirchen weiter zusammenarbeiten können, um das Thema der Sorge für das gemeinsame Haus voranzubringen?
Erzbischof Justin Welby: ?Gestern (Montag, Anm.) war ein außergewöhnlicher Tag, an dem der Vatikan zusammen mit den Regierungen Italiens und des Vereinigten Königreichs, die gemeinsam den Vorsitz von COP26 innehaben, eine höchst bemerkenswerte interreligiöse Gruppierung zusammengebracht hat. Wenn man sich im Saal umschaute - und Sie werden die Bilder gesehen haben -, dann waren, meine ich, Glaubensrichtungen vertreten, die etwa 80 % der Welt repräsentierten. Es geht also nicht so sehr um die Frage: "Was können die Kirchen tun?", sondern um die Frage: "Was können die Glaubensgemeinschaften in der Welt tun?
An erster Stelle steht natürlich das Engagement an der Basis. Einer der Sätze, die ich gestern in einer der Sitzungen verwendet habe, lautete, dass wir von oben nach unten, von der Mitte nach außen und von unten nach oben handeln müssen. Und die Religionen haben die Möglichkeit, von unten nach oben zu handeln. Wir müssen handeln. Es nützt nichts, nur den Politikern zu predigen. Wir müssen handeln. Und das Handeln ist ein Handeln in der Entwicklung; in der Bildung, an der alle Glaubensgemeinschaften sehr stark beteiligt zu sein scheinen; und in der Ermutigung der Politiker, indem wir sie unterstützen und ihnen helfen. Dazu gehört auch, dass wir unsere eigenen Gewohnheiten ändern. Die Kirche von England hat sich selbst das Ziel gesetzt, dass alle ihre Gebäude, einschließlich der Schulen, bis 2030 kohlenstoffneutral sein sollen. Das ist eine große Herausforderung. Das ist es, was wir tun.
Wir nutzen auch die moralische Autorität der Kirche, obwohl wir im internationalen Vergleich kein großer Investor sind - wir sind ein ziemlich kleiner Winzling. Unsere Investmentleute haben eine Koalition mit einem verwalteten Vermögen von über 10 Billionen Dollar zusammengestellt, mit einem Instrument der London School of Economics, das es uns ermöglicht, mit den Unternehmen, an denen wir beteiligt sind, in Kontakt zu treten und ihre Fortschritte auf dem Weg zu Null Kohlenstoff zu messen. Wir nutzen also unsere Stimmen und unsere Investitionen, um die Unternehmen in Richtung Kohlenstofffreiheit zu bringen.“
Pope: Es war sehr interessant zu hören, wie Sie nicht nur von oben nach unten, sondern auch von der Mitte nach außen und von der Basis nach oben über die Sorge für unser gemeinsames Haus sprechen. Es gibt viel Kritik an Politikern und internationalen Führungspersönlichkeiten, dass sie nicht genug tun. Gibt es einen Weg, wie die Gläubigen in den Kirchen und den anderen Religionen abseits der Blockade, die wir manchmal in der politischen Welt erleben, handeln können?
Erzbischof Justin Welby: ?Die Antwort lautet natürlich ja, aber das wird nicht ausreichen. Es ist notwendig, aber nicht ausreichend. In der Erklärung, die der Heilige Vater, der Ökumenische Patriarch und ich vor ein paar Wochen abgegeben haben - vor zwei oder drei Wochen -, werden Sie gesehen haben, dass Regierungen, Unternehmen, Einzelpersonen, Kirchen und Glaubensgemeinschaften aufgefordert werden, ihr Verhalten zu ändern.
Das Problem ist, dass jeder, der außen vor gelassen wird, den Prozess untergräbt. Die Regierungen müssen also die Handels- und Steuervorschriften ändern, um Anreize für eine grüne Wirtschaft in der Zukunft zu schaffen.
Unternehmen müssen ihre Praktiken ändern und auf kohlenstofffreien Betrieb umstellen; Einzelpersonen müssen ihre Gewohnheiten ändern; und Glaubensgemeinschaften müssen durch ihre Taten und ihre Worte für diese Veränderungen werben und die sich wandelnde öffentliche Meinung unterstützen.
Ich habe am Dienstagmorgen den italienischen Staatspräsidenten getroffen, und er hat mehr als einmal gesagt, dass wir die öffentliche Meinung anführen müssen. Die Glaubensgemeinschaften müssen die öffentliche Meinung anführen, und ich denke, er hat uns zu Recht auf diese Weise herausgefordert.“
Pope: Wie Sie wissen, wird die katholische Kirche in Kürze einen zweijährigen Synodenprozess zum Thema Synodalität einleiten. Die anglikanische Gemeinschaft hat eine sehr lange Geschichte der Synodalität und vielleicht eine andere Erfahrung mit Synodalität als die katholische Kirche. Können Sie kurz erläutern, wie Synodalität in der anglikanischen Gemeinschaft gelebt wird und was Ihre Erfahrung der Kirche auf dem Weg zu unserem eigenen Synodalprozess bringen kann?
Erzbischof Justin Welby: ?Ja, ich finde es faszinierend, dass dies in der katholischen Kirche geschieht, und ich bin sehr interessiert daran. Der ökumenische Dialog zwischen der katholischen Kirche und der anglikanischen Gemeinschaft - ARCIC - hat sich in einer kürzlich erschienenen Veröffentlichung mit diesem Thema beschäftigt. Und sie sind zu dem Schluss gekommen, dass wir zwar beide von Synodalität sprechen, aber etwas anderes darunter verstehen.
Innerhalb des Anglikanismus, Synodalität, die meisten Synoden - zu sagen, dass irgendetwas überall im Anglikanismus passiert, birgt immer Schwierigkeiten. In der Kirche von England haben wir zum Beispiel drei Häuser: Bischöfe, Klerus und Laien. Und sie – Synode für uns - ermöglicht es uns, auf drei Ebenen die Stimme der Laien, der Ordinierten und der Bischöfe zu hören: auf der Dekanatsebene, die sehr lokal ist, direkt über der Pfarrei; auf der Diözesanebene; und auf der nationalen Ebene der Kirche von England. Das ist wirklich wichtig.
Wir sind der Meinung, dass dies ein sehr grundlegendes ekklesiologisches Verständnis des Volkes Gottes ist, das zum Ausdruck bringt, wie der Geist die Kirche führt. Und das ist sehr interessant. Benedikt spricht in seiner Regel über das Kloster - ich glaube, es ist Kapitel 3 oder so ähnlich - er spricht darüber, dass im Kloster, wenn eine große Entscheidung ansteht, alle zusammenkommen sollten, denn die Jüngsten und Unwichtigsten können tatsächlich die Weisheit haben, das weise Wort des Geistes.
Synoden können sich genauso verfestigen wie jede andere Struktur in der Kirche, deshalb denke ich, dass es sehr wichtig ist, dass ?Synode“ - so wie in einer wunderbaren Ansprache in der Mitte von einer der (letzten Synoden, Anm.), ich glaube, es war die Synode über die Familie, oder es könnte die Synode über die Jugend gewesen sein, in seiner mittleren Ansprache während der dreiwöchigen Periode, der Heilige Vater über die Synode (was wörtlich bedeutet, gemeinsam zu gehen, syn-hodos) als ,auf dem gleichen Weg zu sein‘ sprach.
Und in unserer Sitzung am Dienstagmorgen sprachen wir über die Notwendigkeit, dass die Kirche nicht stecken bleibt, nicht stehen bleibt, sondern geht. Und ich denke, wir haben dasselbe Verständnis von Ekklesiologie, von dem, was es bedeutet, Kirche zu sein, nämlich dass wir gemeinsam gehen. Und die Synode in ihrer besten Form ermöglicht es uns, gemeinsam zu gehen und einander aufmerksam zuzuhören. Die Schwachen zu stärken und die Starken zu befähigen, den Schwachen zu dienen und nicht zu dominieren.“
Pope: Papst Franziskus hat davon gesprochen, auf alle Stimmen zu hören... in der Kirche, in der katholischen Kirche, in der weiteren christlichen Gemeinschaft und auch auf die Stimmen außerhalb des Christentums. Haben Sie aus Ihrer Sicht darüber nachgedacht, wie die anglikanische Gemeinschaft einen Beitrag zur katholischen Synode über Synodalität leisten kann?
Erzbischof Justin Welby: ?Ich denke, eine der aufregendsten Entwicklungen des ökumenischen Dialogs in den letzten Jahren war, dass wir gelernt haben, nicht zu belehren und zu sagen: ,Wir haben das verstanden und werden euch jetzt belehren‘, sondern zu sagen: ,Wir müssen von euch lernen‘.
Ich denke, dass wir so miteinander umgehen müssen, dass wir beide voneinander lernen müssen. Ich hoffe, dass wir viel von der tiefgründigen Weisheit der katholischen Kirche lernen werden und dass wir auf der anderen Seite vielleicht etwas beitragen können. Aber lassen Sie uns in Gottes Gnade abwarten und sehen.“
Pope: Sowohl Sie als auch Papst Franziskus haben den Wunsch geäußert, in den Südsudan zu reisen. Wie sehen Sie den Friedensprozess im Südsudan und glauben Sie, dass es eine echte Hoffnung auf eine gemeinsame Reise von Ihnen und Papst Franziskus in den Südsudan gibt?
Erzbischof Justin Welby: ?Nun, um die letzte Frage zuerst zu beantworten und Ihnen eine kurze Antwort zu geben. Ja. Mit Nachdruck.
Um auf die erste dieser Fragen zurückzukommen: Die Fortschritte im Friedensprozess - ich spreche aus 20 Jahren Erfahrung in der Arbeit an solchen Dingen - sind quälend. Sie sind langsam. Man ist immer wieder überrascht, wo man Fortschritte macht, und überrascht, wo man vermeintliche Fortschritte wieder verliert. Das ist auch im Südsudan nicht anders.
Deshalb halte ich diese Reise für sehr wichtig: die Liebe der Hirten zu den Schafen zu zeigen, den Schafen zuzuhören, bei denen zu sein, die verwundet sind. Um es mit den wunderbaren Worten von Papst Franziskus zu sagen: die Schafe riechen und den Geruch der Schafe zu tragen. Und zu dienen. Ich denke, diese Reise ist in der Tat sehr wichtig.“
Pope: Wir haben bei den verschiedenen Themen, die wir heute behandelt haben, viel über das Zuhören gesprochen. Gibt es etwas, das Sie uns mitteilen möchten, das wir vielleicht noch nicht besprochen haben, und zwar in Bezug auf Ihren Besuch hier oder in Bezug auf Ihren Blick in die Zukunft?
Erzbischof Justin Welby: ?Was ich mit Blick auf die Zukunft sagen würde, ist, dass wir eine schlimme Zeit hinter uns haben, und zwar überall auf der Welt. Und vielerorts ist es immer noch schlimm - auch in Italien, auch in England, auch im Vereinigten Königreich, in Amerika.
COVID war schrecklich. Der Krieg hat sich ausgebreitet. Ich fürchte, dass wir die Auswirkungen, die Folgen dieser schrecklichen Ereignisse noch viele Jahre lang spüren werden.
Aber wir dienen dem Gott, der Jesus Christus von den Toten auferweckt hat. Und deshalb sage ich zu mir selbst und zu allen, die zuhören: Fürchte. Dich. Nicht. Gott bleibt größer als alle Schwierigkeiten, die die Welt bringen kann.“
(vatican news)
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