Vor sieben Jahren: Flucht vor dem ?Islamischen Staat“
?Es war die Nacht vom 6. auf den 7. August 2014“, erinnert sich der Priester Renato Sacco von der katholischen Friedensbewegung Pax Christi. ?Übrigens war das auch der Tag des Festes der Verklärung Christi – und der Jahrestag der Atombombe von Hiroshima. Der ?Islamische Staat‘ hatte längst die Stadt Mossul unter Kontrolle; in dieser Nacht nun verjagte er 100.000 Menschen aus der Ninive-Ebene.“
Es waren vor allem Christen; die meisten versuchten, auf irgendeine Weise die Stadt Erbil zu erreichen, Hauptstadt des autonomen Kurdengebiets im Nordirak. Es kam zu Staus, Verzweiflung, chaotischen Szenen.
?Ich telefonierte am Morgen mit dem (chaldäischen) Patriarchen Louis Sako und anderen Personen, dabei erfuhr ich alles. Ich versuchte, mehrere Nachrichtenagenturen und Journalisten auf das Geschehen aufmerksam zu machen, aber sie gaben mir zu verstehen, dass das nicht so interessant wäre; fast nur Radio Vatikan griff die Nachricht auf. Sobald aber die Meldung erst einmal zirkulierte, riefen mich dieselben Journalisten an, die mich vorher abgewiesen hatten – ihnen war klargeworden, dass da etwas Dramatisches im Gang war.“
An Vorzeichen für das Drama hatte es, im Rückblick jedenfalls, nicht gefehlt. 2008 war der chaldäische Bischof von Mossul, Faradsch Raho, entführt und getötet worden; im Jahr zuvor hatte es einen jungen Priester und drei Begleiter getroffen. Anfang August 2014 begann dann auch der Völkermord der IS-Mörderbande an den Jesiden.
Hohe Hürden für eine Rückkehr der Geflüchteten
?In dieser Tragödie haben sehr viele gelitten. Viele Frauen wurden entführt und zu Sexsklavinnen gemacht; Tausende von ihnen sind immer noch in dieser tragischen Lage…“
In Erbil und Umgebung halten sich auch heute noch viele der damals Geflüchteten auf. Nach der militärischen Niederlage des ?Islamischen Staats“ haben zwar viele christliche Familien begonnen, wieder in die Heimat zurückzuziehen. Aber die Hürden sind enorm.
?Vergessen wir nicht die große Zerstörung; das kann man nicht alles so schnell wiederaufbauen. Und dann die nicht-explodierten Bomben, die verminten Häuser – es gab auch Sprengfallen. Darum konnte man nicht einfach, wie nach einer Überschwemmung, in die alten Häuser zurück. Durch den Wiederaufbau fangen Orte wie Karakosh und Mossul jetzt allmählich wieder an, zu leben – aber zum Beispiel in Mossul ist ein großer Teil der Stadt völlig zerstört, der ist gar nicht mehr bewohnbar. In einigen Häusern, in denen sich noch wohnen lässt, sind jetzt andere eingezogen, darum kann man da nicht einfach wieder hinziehen. Also, es gibt eine Rückkehr – aber sie ist doch noch ziemlich langsam und mühsam, auch wenn sie Hoffnung macht.“
Papstbesuch: Alle waren auf einmal Iraker
Anfang März hat Papst Franziskus den Irak besucht – eine international mit großer Aufmerksamkeit verfolgte Reise. Dem Land haben die ausnahmsweise einmal positiven Schlagzeilen gutgetan.
?Ich glaube wirklich, diese Reise war ein Durchbruch: für die Menschen dort, für den Westen, für das, was der Papst gesagt und getan hat. Eine Ordensfrau hat es mir gegenüber so auf den Punkt gebracht: In diesen Tagen der Reise gab es keine religiösen Unterschiede mehr, alle waren Iraker… Auch für den Westen, glaube ich, war die Reise sehr wichtig, als ein Appell an unser Gewissen. Kein politischer Führer der Welt hat das getan, was Franziskus getan hat: Er hat sich mit Ayatollah Sistani getroffen, er hat Krieg und Waffenhandel geächtet. Und dann hat er uns Menschen im Westen die etwas provokante Frage gestellt: Wer hat denn diese Waffen verkauft? Die ganze Zerstörung im Irak hat natürlich etwas mit den großen Interessen der Waffenhändler zu tun – und da kommen wir ins Spiel!“
Den Irak jetzt nicht alleinlassen
Don Renato Sacco ruft dazu auf, den Irak jetzt nicht alleinzulassen, sondern das Fenster der Gelegenheit zu nutzen, das sich durch die Papstreise an Euphrat und Tigris ergeben hat. Die Herausforderungen seien allerdings übergroß: erst der Krieg, jetzt die Korruption, die Corona-Pandemie, die aufgeheizte Stimmung angesichts der Parlamentswahlen vom Oktober.
?Aber denken wir daran, dass Papst Franziskus betont: Wir sind alle Geschwister. Die Christen anderer Riten, die Muslime oder Jesiden sind unsere Brüder und Schwestern. Sie sind darauf angewiesen, dass die Hoffnung lebendig bleibt.“
(vatican news – sk)
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