?Wenn ?thiopien hustet, krankt das ganze Horn von Afrika“
Olivier Bonnel und Anne Preckel - Vatikanstadt
Der Konflikt war vor etwa zwei Wochen militärisch eskaliert. Äthiopiens Führung startete eine Militäroffensive gegen die rebellische Provinz Tigray im Norden des Landes und ließ einige Führer der Region verhaften. Zuvor hatte Ministerpräsident Abiy Ahmed Ali der Führung in Tigray vorgeworfen, Stützpunkte der Bundesarmee überfallen und Waffen erbeutet zu haben.
Die Mahnung des Papstes...
Äthiopiens Bischöfe warnten vor einem Bürgerkrieg, international wurde die Sorge laut, der Konflikt könne die gesamte Region destabilisieren. Papst Franziskus mahnte bei einem seiner sonntäglichen Mittagsgebete zu einer friedlichen Lösung. Die EU-Kommission forderte die äthiopische Regierung auf, Hilfsorganisationen Zugang zur Region Tigray zu gewähren, aus der eine Massenflucht in Gang ist. Welche bedeutsame Rolle Äthiopien am Horn von Afrika spielt, erläutert Sonia Le Gouriellec gegenüber Radio Vatikan:
?Wenn Äthiopien hustet, dann ist sozusagen das ganze Horn von Afrika krank. Äthiopien ist das hauptsächlich beitragende Land zu den UNO-Blauhelm-Soldaten für die ganze Region. Sie haben Truppen im Sudan oder Somalia. Äthiopien hat jetzt angefangen, einige UN-Truppen aus Somalia abzuziehen. Diese sollen in dem inneräthiopischen Konflikt eingesetzt werden. Das könnte dazu führen, dass es in Somalia zu einem neuen Konflikt kommt.“
Zudem könnte der inneräthiopische Konflikt auch Eritrea mit hineinziehen. De facto gingen in der Nacht auf Sonntag in Äthiopiens Nachbarland mehrere Raketen aus Tigray nieder. Die Präsidenten beider Länder hatten im vergangenen Monat gemeinsam Militärstützpunkte in Tigray besucht, in Tigray fühlt man sich heute offenbar umzingelt: ?Unser Land greift uns mit Eritrea an, das ist Verrat“, formulierte Regionalpräsident Debretsion Gebremichael und drohte mit weiteren Raketenangriffen.
Warum geht es eigentlich bei dem Konflikt? Einen Hintergrund bildet das jahrzehntelange Ringen ethnischer Gruppen um Macht und Mitsprache in Äthiopien. Die Volksgruppe der Tigray, mit nur sechs Prozent der 110 Millionen Einwohner eine Minderheit im Land, hatte lange Zeit großen Einfluss – bis 2018 mit Abiy Ahmed Ali erstmal ein Vertreter der Oroma, der größten Bevölkerungsgruppe Äthiopiens, an die Macht kam. Seitdem sahen sich die Tigray benachteiligt und strebten nach mehr Selbstbestimmung, wohingegen Äthiopiens neue Führung auf kompakte Einheit und einen starken zentralistischen Staat setzte.
Im Kern gehe es hier auch um einen Streit um den äthiopischen Föderalismus, erläutert Le Gouriellec gegenüber Radio Vatikan. Denn die Tigray, die beim Aufbau des modernen Äthiopiens und der Ausarbeitung der Verfassung von 1995 eine zentrale Rolle spielten, hatten dieses politische Gestaltungsprinzip für das Land mit eingeführt. In der Konstitution ist Eigenverantwortung der Regionen festgeschrieben. Und nicht nur das, so Le Gouriellec:
?Die Verfassung erlaubt sogar die Abspaltung, falls dies erwünscht wird! Das ist also der springende Punkt in der heutigen Situation. Auf der einen Seite kann Abiy Ahmed Ali nicht einfach still bleiben und nichts tun, um auf diese Sezessionswünsche einzugehen. Auf der anderen Seite hat die Region von Tigray die neuen Beamten der Zentralregierung zurückgewiesen, die geschickt wurden, um eine Zusammenarbeit zwischen der Regierung und der Region zu ermöglichen. Die Gelder der Regierung wurden deshalb gestrichen, und es kam zum Bruch des Dialoges.“
Im September hatten die Behörden in Tigray bereits eigene Parlamentswahlen abgehalten und dabei Anweisungen von Addis Abeba ignoriert, die sie nicht anerkannten. Der jetzt militärisch zutage getretene Konflikt hatte sich schon länger angekündigt. Eine Abspaltung der Region Tigray wäre ?politisch gesehen dramatisch“, so die französische Beobachterin, sie könnte Präzedenzfall werden für andere Volksgruppen. Auch deshalb dürfte Abiy Ahmed Ali den Tigray-Konflikt wohl mit aller Härte lösen wollen.
Die Sorge um die humanitäre Lage
Besorgt über die humanitäre Lage in der äthiopischen Krisenregion hatte sich am Wochenende der internationale Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS) geäußert. Er forderte einen sicheren Zugang für humanitäre Hilfe in dem unterversorgten Gebiet: ?Bei einer Fortsetzung der Kämpfe könnten Helfer, Flüchtlinge und die Mitglieder der verschiedenen Gemeinschaften bald ohne Nahrungsmittel dastehen“, sagte er am Wochenende gegenüber Pope.
Über die Lage vor Ort ist wenig bekannt, da Internet, Telefonverbindungen und Strom gekappt und Straßen blockiert sind. Tausende Menschen sind auf der Flucht. Laut Untersuchungen von Amnesty International (AI) wurden in der Nacht vom 9. November bei einem Massaker im Ort Mai-Kadra wahrscheinlich Hunderte Zivilisten getötet. Am Wochenende griff der Konflikt zudem auf das Nachbarland Eritrea über.
(vatican news - pr/mg)
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