Jerusalem: Wiederaufnahme des Pilgerwesens wird l?nger dauern
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Vor genau einem Jahr konnte das Österreichische Hospiz einen neuen Gästetrakt eröffnen, der die Einrichtung nach 160 Jahren ihres Bestehens vervollständigte. Niemand hätte sich bei dem Festakt im April 2019 jemals ein Jerusalem ohne Pilger vorstellen können. Doch genau das ist eingetroffen, erklärt Rektor Markus Stefan Bugnyar im Gespräch mit uns.
?Das Gästehaus steht leer, wir haben seit Mitte März keinen einzigen Gast gehabt. Und damit keine Einnahmen, weder im Kaffeehaus noch im Gästehaus.“
Einnahmen Null – gegenüber 40.000 Euro Ausgaben monatlich. Dabei geht es um Betriebskosten und um Schlüsselarbeitskräfte, die auch dann gebraucht werden, wenn das Haus leer steht. Bugnyar denkt besonders an seine palästinensischen Mitarbeiter.
?Ähnlich wie in anderen Ländern gibt es in Israel eine Art Kurzzeitarbeitsmodell und Härtefonds, um Menschen durch diese Krisenzeit zu tragen. Wir haben bei unseren 42 Mitarbeitern allerdings zwölf, auf die die Kriterien dieser Regelung nicht zutreffen, zum einen weil sie möglicherweise kürzer als sechs Monate bei uns tätig sind, das betrifft einige, die wir nach der Eröffnung unseres neuen Gästehaustrakts eingestellt haben, oder weil sie jünger als 20 Jahre sind. Oder weil sie, das betrifft die Mehrheit, keine israelische ID haben, sondern nur eine Westbank-ID. Für sie gibt es keine Maßnahmen seitens der israelischen Regierung.“
Dank eines ersten Schubs an Spenden an das Österreichische Hospiz konnte diesen zwölf palästinensischen Mitarbeitern bereits geholfen werden, sagt Bugnyar. Er sieht aber neue Gefahr im Verzug: Israel gewährt staatliche Unterstützung für höchstens vier Monate, also bis Juni/Juli. Aber:
?Die Coronakrise dauert wesentlich länger, als wir es Mitte März für möglich gehalten hätten. Unsere aktuelle Einschätzung, das ist auch die Einschätzung von Tourismusbetrieben hier und der kirchlichen Entscheidungsträger, ich habe darüber mit Erzbischof Pizzaballa sprechen können: Wir gehen davon aus, dass wir frühestens im September wieder Pilgergruppen bei uns willkommen heißen dürfen. Das heißt, wir können jetzt besser einschätzen, wie lang die Durststrecke sein wird, in der wir uns aus Drittmittelquellen finanzieren werden müssen.“
Hinzu komme, dass ausgerechnet Jerusalem besonders von der Pandemie betroffen sei. ?Jerusalem ist Corona-Hotspot im Heiligen Land aufgrund der ultraorthodoxen Juden, die hier wohnen. Mehr als 30 Prozent der Bevölkerung Jerusalems sind Ultraorthodoxe, und nochmal 20 Prozent sind religiöse Juden. In Ostjerusalem haben wir natürlich eine arabisch-muslimische Mehrheit. Hier gibt es verschiedene Gründe, warum das Problembewusstsein in diesen beiden Bevölkerungsgruppen nicht so stark ausgeprägt ist, wie man sich das wünschen würde, und warum diese beiden Bevölkerungsgruppen zu einem sehr hohen Anteil dafür anfällig sind, den Coronavirus weiter zu verbreiten. Faktum ist: Es so, und deshalb wird es in Jerusalem, auch wenn andere Städte schon früher zur Normalität zurückkehren, etwas länger dauern. Das erschwert noch einmal mehr unsere Situation.“
Bugnyar selbst war seit 6. März nur zwei Mal in der Stadt unterwegs, wie er uns erzählt. Dabei erlebte er höfliche, aber strenge Kontrollen. Die Sicherheitsmaßnahmen, die in Jerusalem immer massiv waren, gelten nun der Pandemie-Eindämmung.
?Im Moment darf man sich hier in einem Radius von 500 Metern von seiner Wohnung bewegen, Sport im Freien ist untersagt, die Zahl der Teilnehmer bei einem öffentlichen Gebet wurde gerade von zwei auf zehn erhöht im jüdischen und muslimischen Bereich. Wir sind gerade im Fastenmonat Ramadan, und es ist klar, dass das jetzt natürlich keine beeindruckende Zahl ist, wenn man die Traditionen kennt. Das ist alles sehr, sehr streng - und möglicherweise auch in Jerusalem mit seiner jüdisch-ultraorthodoxen Bevölkerung und arabisch-muslimischen Bevölkerung sehr wahrscheinlich in dieser Form auch notwendig.“
Die Mehrheit der jüdischen wie muslimischen Freunde, mit denen er rede, so bekräftigt der österreichische Priester, habe Verständnis für die Maßnahmen – noch. Je länger die Einschränkungen andauerten, desto stärkeres Unbehagen mache sich breit. ?Wir haben eine erschreckend hohe Zahl an Arbeitslosen, wir haben viele Menschen, die sich die Normalität wiederum herbeisehnen und viele Menschen, die sich Sorgen machen. Und es werden immer mehr Fragen und öffentliche Kritik laut.“
Denn wie immer im Heiligen Land, überlagern politische Spannungen und Feindseligkeiten zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen das übrige Geschehen. Auch in Zeiten des Virus. In den Palästinensergebieten werfen immer mehr Menschen ihren Verantwortlichen Korruption vor, und Israel musste in einem Jahr dreimal wählen, erinnert Bugnyar und resümiert, dass ?manche Leute das Gefühl haben, dass man diese Krisenzeit Coronavirus nutzt, um selber seinen politischen Weg abzusichern. Diese Befürchtungen gibt es, und auch viele Menschen, die sich Sorgen machen, wie denn jetzt mit den Daten und Informationen umgegangen wird, die aktuell gerade gesammelt werden müssen, um eine zweite Welle, Gott behüte, zu verhindern. Hier gibt es viel Kritik, in den öffentlichen Medien, in den Zeitungen, und auch im persönlichen Gespräch mit vielen Freunden.“
Spendenhinweis:
Österr. Hospiz z. Hl. Familie
Sozialfonds
IBAN: AT 43 1919 0003 0015 0125
BIC: BSSWATWWXXX
(vatican news)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, k?nnen Sie hier unseren Newsletter bestellen.