Interview: F?llt die orthodoxe Weltgemeinschaft auseinander?
Zwar ist der Grieche Bartholomaios Ökumenischer Patriarch von Konstantinopel, also ?primus inter pares“ unter den orthodoxen Patriarchen aus aller Welt. Aber sein Moskauer Amtsbruder Kyrill ficht die Ukraine-Entscheidung von Bartholomaios und letztlich auch dessen Autorität an. Steht die orthodoxe Weltkirche damit vor einem Schisma?
Das fragte Stefan Kempis (Radio Vatikan) den deutschen Experten Johannes Oeldemann, Direktor am Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik in Paderborn.
Frage: Wie sieht das aus mit diesem innerorthodoxen Schisma – ist das überhaupt ein Schisma, oder ist das alles gar nicht so schlimm?
Oeldemann: ?Ich würde sagen, es ist schon ziemlich schlimm. Allerdings gibt es auch gute Argumente dafür, dass man noch nicht von einem Schisma spricht. Denn die Aufkündigung der Kommuniongemeinschaft zwischen Moskau und Konstantinopel ist zunächst ja nur einseitig von Seiten Moskaus erfolgt, aber nicht von Seiten Konstantinopels. Das heißt: Der Patriarch von Konstantinopel kommemoriert weiterhin den Patriarchen von Moskau in seinen Gottesdiensten, und Gläubigen des Patriarchats von Konstantinopel ist es auch erlaubt, bei Priestern des Moskauer Patriarchats die Sakramente zu empfangen. Es ist, sozusagen, erst einmal nur ein einseitiger Schritt, und solange er nicht zweiseitig ist, kann man nicht von einem Schisma im strengen Sinne des Wortes sprechen.“
Frage: Nun haben aber gerade die Russisch-Orthodoxen zahlenmäßig die größten orthodoxen Legionen aufzubieten. Macht es das nicht ernsthafter und schwieriger?
Oeldemann: ?Natürlich macht es das schwierig, weil das Moskauer Patriarchat eine gewichtige Größe innerhalb der Orthodoxie darstellt. Dieser Konflikt zwischen Moskau und Konstantinopel ist latent ja schon seit vielen Jahren spürbar, weil Konstantinopel traditionell an erster Stelle in der orthodoxen Kirche steht, aber eben Moskau heute die gewichtigste und einflussreichste orthodoxe Kirche ist.“
Frage: Moskau hat an einem innerorthodoxen Konzil nicht teilgenommen, stellt sich jetzt aber hinter Vermittlungsversuche des Patriarchen von Jerusalem, eine Art Synode einzuberufen, auf der die Schwierigkeiten geklärt werden sollen. Ist das nicht ein Widerspruch?
Oeldemann: ?Ja und nein. Der Streit um das Konzil von Kreta, wo die Moskauer relativ kurzfristig abgesagt haben, ist sicherlich mit eine der Ursachen dafür, dass sich die Dinge rund um die Ukraine jetzt so entwickelt haben, wie sie sich entwickelt haben. Andererseits merkt Moskau aber auch, dass die Gefahr besteht, dass es in eine gewisse Isolation gerät, und versucht natürlich jetzt, Verbündete innerhalb der orthodoxen Kirche zu finden. Bisher weigert sich ja Konstantinopel konsequent, eine solche pan-orthodoxe Versammlung einzuberufen, und ehrlich gesagt sehe ich auch wenig Chancen, dass es in einer solchen großen Runde zu einer Verständigung kommen könnte.
Ich glaube, zunächst einmal wären direkte Gespräche zwischen Vertretern Moskaus und Konstantinopels erforderlich – vielleicht nicht auf der allerobersten Ebene. Es hat schon mal einen kleinen Ansatz gegeben: Da haben sich Metropolit Hilarion als Vertreter Moskaus und ein Vertreter Konstantinopels in New York getroffen, auf Vermittlung eines Hierarchen der antiochenischen Kirche. Ich denke und hoffe, dass solche Begegnungen dazu beitragen können, die Lage ein wenig zu entspannen. Wir hatten am vergangenen Wochenende eine ökumenische Studientagung an der Katholischen Akademie in München, wo auch Vertreter beider Seiten dabei waren und ich den Eindruck hatte, dass letztlich alle dankbar waren, dass es so eine ?neutrale‘ Plattform gibt, wo man mal miteinander ins Gespräch kommen kann – jenseits aller Polemik, die häufig in den sozialen Medien zu lesen ist.“
Frage: Hat eigentlich der Streit in der Weltorthodoxie Auswirkungen auf die Ökumene?
Oeldemann: ?Ja, das hat er. Denn das Moskauer Patriarchat hat beschlossen, seine Vertreter aus allen Gremien zurückzuziehen, wo jemand von Seiten des Patriarchats von Konstantinopel den Vorsitz oder auch nur den Ko-Vorsitz führt. Und das gilt eben für praktisch alle zwischenkirchlichen Dialoggremien, weil dort eben traditionell der Vertreter des Patriarchats von Konstantinopel den Vorsitz führt. In der Internationalen orthodox-katholischen Dialogkommission, aber beispielsweise auch in der Gemeinsamen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz und der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland arbeiten jetzt jeweils die Vertreter der russischen Kirche nicht mit – womit natürlich ein gewichtiger Teil der Orthodoxie in diesen Gremien jetzt fehlt.“
Frage: Lähmt das also derzeit den katholisch-orthodoxen Dialog? Man kann ja ohne die Russen keine verbindlichen Papiere mehr beschließen…
Oeldemann: ?Lähmen, das ist zuviel gesagt. Man versucht, die Gespräche fortzuführen; das Koordinierungskomitee der Internationalen Dialogkommission zum Beispiel hat sich jetzt jährlich auch ohne einen Vertreter Moskaus getroffen, und auch hier in Deutschland trifft sich die Gemeinsame Kommission weiterhin. Das Ganze ist insofern eine schwierige Geschichte, weil man nicht nach dem Motto ?Business as usual‘ weiterverfahren kann – als ob nichts geschehen wäre. Andererseits ist es aber natürlich auch wichtig, bestehende Gesprächsfäden aufrechtzuerhalten. Hier in Deutschland sind wir in der glücklichen Lage, dass es neben diesen Gesprächen noch eine Tradition theologischer Gespräche der Deutschen Bischofskonferenz unmittelbar mit dem Patriarchat von Moskau gibt, die im Juni dieses Jahres wieder fortgesetzt werden soll. So gibt es sozusagen zwei unterschiedliche Ebenen, wo man – in Anführungszeichen – mit beiden Seiten im Dialog bleibt.“
Frage: Der Konflikt dreht sich ursprünglich – Sie haben es schon erwähnt – um die Ukraine. Wenn man auf die Landkarte schaut, versteht man sofort, dass die russische Orthodoxie nicht nur aus historischen Gründen starke Interessen an den kirchlichen Vorgängen in der Ukraine hat. Haben die Russen ein bisschen Recht, oder liegen sie ganz falsch?
Oeldemann: ?Ich würde sagen, natürlich gibt es auch gute Gründe für die russische Position. Denn immerhin haben sie mindestens in den letzten dreihundert Jahren sozusagen die pastorale Sorge für die Gläubigen in der Ukraine ausgeübt – auch wenn Konstantinopel zu Recht natürlich darauf hinweist, dass das Christentum ursprünglich von Konstantinopel aus nach Kiew gekommen ist und die Kiewer Metropolie zum Patriarchat von Konstantinopel gehörte. Aber man kann natürlich auch diese dreihundert Jahre Kirchengeschichte nicht einfach mit einem Federstrich beiseiteschieben… Ich glaube, ein Blick auf die Geschichte allein löst die Problematik nicht; wichtig ist, auf die Gegenwart zu schauen, und da ist es nun einmal so, dass doch auch ein großer Teil der Gläubigen in der Ukraine sich inzwischen deutlich von Moskau distanziert. Das ist, glaube ich, weniger eine Schuld des Moskauer Patriarchats als vielmehr eine Folge der russischen Politik gegenüber der Ukraine, und die ganzen politischen Implikationen spielen eine gewichtige Rolle in diesem Prozess der Autokephalie-Erklärung. Solange dieser russisch-ukrainische Konflikt nicht ausgeräumt ist, halte ich es auch für schwierig, da zu einer Verständigung zu kommen.“
Frage: Ist das also eigentlich kein kirchlicher, erst recht kein theologischer, sondern ein politischer Streit?
Oeldemann: ?Es ist ein Streit, in dem unterschiedliche Faktoren eine Rolle spielen. Politische Faktoren waren aus meiner Sicht in gewisser Weise der Auslöser, aber es gibt schon auch kirchliche oder auch theologische Fragen, die dahinterstehen. Zum Beispiel die Tatsache, dass das Verfahren, wie denn eine orthodoxe Ortskirche die Autokephalie erhält, innerorthodox umstritten ist. Beide Seiten argumentieren damit, die jeweils andere Seite habe sich unkanonisch verhalten, also nicht den kirchlichen Canones gemäß. Aber die Canones, auf die man sich beruft, stammen alle aus dem ersten Jahrtausend, und es zeigt sich, dass sie für die Welt des dritten Jahrtausends nicht mehr unbedingt greifen, wo wir doch in einer sehr pluralistischen Situation leben – gerade auch in einem Land wie der Ukraine. Es fehlen sozusagen übergeordnete Regelungs-Mechanismen, auf die man sich verständigen könnte.
Das hätte das Konzil von Kreta leisten können, aber es war da eben schon im Vorhinein klar, dass Russen und Griechen sich über die Frage der Autokephalie-Erklärung nicht einig waren, deswegen hatte man das von der Tagesordnung des Konzils gestrichen. Das heißt: Selbst wenn die Russen dort hingekommen wären, wäre wahrscheinlich diese Frage noch ungelöst gewesen. Und da muss, glaube ich, noch viel an vorbereitender Arbeit getan werden, vielleicht auch auf akademisch-wissenschaftlicher Ebene. Dass man sich nochmal mit den Canones auseinandersetzt, versucht, eine vernünftige Hermeneutik zu entwickeln, wie man die altkirchlichen Canones denn in der heutigen Zeit interpretieren kann.“
(vatican news – sk)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, k?nnen Sie hier unseren Newsletter bestellen.