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Manfred Nowak, Menschenrechtsexperte Manfred Nowak, Menschenrechtsexperte 

Menschenrechtsexperte: Tiefste Krise seit 1945

Die Menschenrechte durchlaufen derzeit ihre tiefste Krise seit dem 2. Weltkrieg. Das sagt uns wenige Tage vor dem 70. Geburtstag der Menschenrechtscharta und mit Blick auf die nahende Unterzeichnung des UNO-Migrationspaktes einer der weltweit anerkanntesten Experten auf dem Gebiet: Manfred Nowak, wissenschaftlicher Direktor am Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte in Wien und Generalsekret?r des European Interuniversity Centre for Human Rights and Democratisation (EIUC) in Venedig.

Christina Höfferer - Vatikanstadt

Pope: Wie sehen Sie die Situation der Menschenrechte kurz vor einem wichtigen Termin, der Unterzeichnung des UNO-Migrationspakt in Marrakesch?

Manfred Nowak im Interview

Manfred Nowak: Wir befinden uns in der tiefsten Krise von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat seit dem Ende des zweiten Weltkriegs. Die Nachkriegsordnung war aus den fürchterlichen Erfahrungen von zwei Weltkriegen, der großen Depression, dem Aufstieg des Faschismus bis hin zum Holocaust geprägt. In Reaktion darauf wurden die Vereinten Nationen und die Europäische Union, der Europarat und viele andere Institutionen gegründet, zunächst mit dem Ziel, Frieden zu gewährleisten. Zum ersten Mal wurde Krieg völkerrechtlich verboten, in der Satzung der Vereinten Nationen. Aber zweitens auch deshalb, um Entwicklung zu sichern, damit die Menschen in Freiheit von Not und Armut leben können. Also Freiheit von Krieg und Gewalt, Freiheit von Not und Armut auf der Basis der Würde und der Menschenrechte, das sind die wesentlichen Ziele der Vereinten Nationen, aber auch anderer Organisationen. Und diese Nachkriegsordnung hat uns zumindest in Europa doch 70 Jahre Frieden beschert hat, wir hatten keinen Krieg im Rahmen der Europäischen Union.

?Menschenrechte wurden immer verletzt, aber jetzt werden sie zum Teil in ihrer Basis in Frage gestellt“

Pope: Wir hatten Krieg am Balkan und auch im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Ansonsten ist Europa ein friedlicher und prosperierender Kontinent.

Manfred Nowak: Dieser Grundkonsens wird heute zunehmend in Frage gestellt. Brauchen wir wirklich Menschenrechte? Sind nicht autoritäre Staaten oder illiberale Demokratien besser als freiheitliche Demokratien? Brauchen wir noch den Rechtsstaat, insbesondere wenn es auch um Flüchtlinge und Migrantinnen geht, und so weiter. Das heißt, Menschenrechte wurden immer verletzt, aber jetzt werden sie zum Teil in ihrer Basis in Frage gestellt. Deswegen ist es wichtiger denn je, dass wir die Ideen und Ziele von Menschenrechten und Demokratie in die Hirne, aber auch in die Herzen der Menschen pflanzen, und das geht am besten mit einer Menschenrechtsbildungsoffensive, die im Kindergarten schon beginnen sollte, aber in alle Schulstufen bis hinauf in die Universitäten gehen sollte, dass wir globale Bürgerinnen und Bürger sind, für die Frieden, Toleranz, Menschenrechte und Demokratie Werte sind, die auch wert sind gelebt zu werden. Denn Menschenrechte sind die Basis für eine friedliche, aber auch prosperierende Gesellschaft.

?Es wurde nur der Endsieg des Kapitalismus über den Kommunismus gefeiert“

Pope: Worauf führen Sie diese derzeitige Krise der Menschenrechte zurück?

Manfred Nowak: Da gibt es natürlich viele Ursachen. Ich würde meinen, dass die Welt, insbesondere die westliche Welt, nach dem Ende des Kommunismus in Ost- und Mitteleuropa, also Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre, eine historische Chance gehabt hat, nun wirklich das, was in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und in der Satzung der vereinten Nationen vorgesehen war, umzusetzen. Nämlich eine Globale Ordnung zu schaffen, auf der Basis von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat. Aber diese historische Chance wurde verspielt, indem eben nicht primär der Sieg der Demokratie und der Menschenrechte über Kommunismus, Totalitarismus und Diktatur gefeiert wurde, sondern eigentlich nur der Endsieg des Kapitalismus über den Kommunismus. Das war viel zu eng gegriffen.

?Kluft zwischen reich und arm groß wie nie zuvor seit 1945“

Pope: Was war das Ergebnis des Endes des Kommunismus in Osteuropa?

Manfred Nowak: Man hat damals doch eine neoliberale Weltordnung geschaffen, in Freigabe der Globalisierung mit dem Washington-Konsens 1989. Das ist für mich die Hauptursache dafür, dass zum einen die Kluft zwischen arm und reich ungeheure Ausmaße angenommen hat, und heute wieder auch in den USA, Großbritannien ein Ausmaß angenommen hat, wie es vor dem ersten Weltkrieg bestanden hat. Was ja auch damals wesentlich zum Ausbruch des Kriegs beigetragen hat. Das heißt, diese große Schere zwischen arm und reich höhlt einfach den Sozialvertrag zwischen den Menschen aus. Es höhlt die Grundfeste der Demokratie aus, es führt auch zu Sozialabbau, sogenannte Failed oder Fragile States, Staaten, die nicht im Stande sind, die Menschenrechte zu gewährleisten.

?Wir haben heute mehr Konflikte als jemals zuvor seit Ende des zweiten Weltkriegs“

Pope: Welche Auswirkungen ergeben sich dadurch?

Manfred Nowak: Das führt gleichzeitig wieder zu einem Vakuum, das gefüllt wird von organisierter Kriminalität, Drogenhandel, Organhandel, Waffenhandel. Es führt aber auch zu Terrorismus, zu bewaffneten Konflikten. Wir haben heute mehr Konflikte als jemals zuvor, seit Ende des zweiten Weltkriegs, weniger internationale, aber sehr viele lokale Bürgerkriege mit unglaublicher Brutalität.

Dieser Turbokapitalismus führt natürlich auch zum Klimawandel, der wiederum eine der Ursachen für Armut ist, dass Menschen sich selbst und ihre Familie nicht mehr ernähren können und daher gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Das führt wiederum zu einer globalen Migration, wie wir sie in diesem Ausmaß noch nicht gesehen haben. Es gibt jetzt mehr Flüchtlinge als jemals zuvor seit 1945. 65 Millionen Menschen sind vertrieben. Viele interne Vertriebene, aber auch sehr viele, die ihr Land verlassen mussten und jetzt in den Nachbarländern leben und nicht mehr willkommen sind, weil die europäischen Staaten, aber auch Nordamerika, Australien, also die klassischen Immigrationsstaaten, ihre Grenzen geschlossen haben gegenüber Flüchtlingen, aber auch gegenüber Migrantinnen, also jenen, die mehr oder weniger freiwillig ihre Heimat verlassen haben.

(vatican news)

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05. Dezember 2018, 11:52