Papstbesuch Estland: Eine winzige Kirche, aber mit gutem Ruf
Gudrun Sailer – Vatikanstadt/Baltikum
Pope: Die Katholiken in Estland sind rund 6.000 Menschen, ein halbes Prozent. Warum reist eigentlich Papst Franziskus in ein Land mit so wenigen Katholiken? Nur weil alle drei baltischen Staaten vor 100 Jahren ihre Unabhängigkeit von Russland feierten?
Angelika Schmähling: ?Dass die Länder 100 Jahre Unabhängigkeit feiern, ist schön, aber nicht der einzige Anlass des Papstbesuches. Warum der Papst nach Estland kommt? Die Länder gibt’s nur im Dreierpack, zumindest ist das unsere europäische Sicht, wobei die Esten selbst sich eher Finnland zugehörig fühlen würde. Wenn der Papst schon einmal in der Region ist, ist es sinnvoll, dass er alle drei Länder besucht. Gerade Estland mit seinen wenigen Katholiken braucht ja auch eine Bestärkung, und es ist umso schöner, dass der Papst auch dahin kommt.“
Pope: Wie sieht diese absolute Diasporakirche in Estland aus?
Angelika Schmähling: ?Die Kirche in Estland ist als apostolische Administratur strukturiert. Es ist keine eigene Diözese. Die Leitung hat Bischof Philippe Jean-Charles Jourdan, ein Franzose. Die meisten Priester und Ordensleute kommen aus dem Ausland, es gibt 14 Priester in Estland und 17 Ordensschwestern. Die Kirche gliedert sich in 9 Pfarreien, darunter ist eine ukrainische Gemeinde. Spannend ist, dass dafür, dass die Kirche so klein ist, es erstaunlich gute Bildungseinrichtungen gibt: zwei große katholische Schulverbände, die im Land einen sehr guten Ruf haben.
Pope: Religion spielt in Estland generell nur noch für eine Minderheit der Bevölkerung eine Rolle. Wie würden Sie diese Distanz zur Religion beschreiben, ist es eine eher freundliche oder eher misstrauische Distanz zu Religion und Kirche?
Angelika Schmähling: ?In Estland ist es tatsächlich so, dass nur ein Drittel der Bevölkerung überhaupt ein religiöses Bekenntnis hat. Die atheistische Propaganda der Sowjetzeit hat unheimlich stark gewirkt. Viele Menschen wissen einfach nichts von Gott, deswegen ist Kirche für sie etwas Fremdes. Aber die Vorbereitung des Papstbesuchs hat gezeigt, dass die Politik und Gesellschaft sehr offen ist und mithilft, die katholischen und christlichen Schulen haben einen sehr guten Ruf, auch das zeigt, dass die Bevölkerung der Kirche gegenüber zumindest positiv gegenübersteht.“
Pope: wir haben es schon gestreift - für die kleine katholische Gemeinschaft in Estland ist der Papstbesuch ein großes Ereignis. Wie fühlt sich das für die Gläubigen an? Und für alle anderen? Ich frage deshalb, weil wir das Phänomen kennen, dass vor Papstbesuchen in säkularisierten Ländern oft nur über die Kosten debattiert wird... ist das in Estland ähnlich?
Angelika Schmähling: ?Ich war im April in Estland, da war große Aufregung: der Papst kommt zu uns, was für eine Herausforderung! Die Begeisterung war groß. Bischof Jourdan hat erzählt, er erhält gute Unterstützung vom Staat und sogar von Konzernen. Da überwiegt die positive Erwartung. Der Papst kommt nach Estland, das Land hat nur 1,3 Millionen Einwohner, das ist ein positiver Effekt für das Land. Und was das Schöne ist beim Papstbesuch, es wird eine relativ kleine Veranstaltung, und die Leute kommen sehr nahe heran an den Papst, das ist etwas ganz Besonderes.“
Pope: Aus Estland stammt der Komponist Arvo Pärt, der für seine spirituellen Kompositionen weltberühmt ist. Er wurde 2017 mit dem Ratzinger-Preis für Theologie geehrt, ungewöhnlich für einen Komponisten, und ist überhaupt ein gern gesehener Gast im Vatikan. Inwiefern kann man in Arvo Pärt und seiner Musik einen kulturell-religiösen Brückenbauer Estlands sehen?
Angelika Schmähling: ?Ja, Musik verbindet! Arvo Pärt ist der bekannteste Este auf der Welt. Überhaupt spielt Musik im Baltikum eine große Rolle. Auch im Unabhängigkeitskampf. Die friedliche Revolution in Estland und Lettland war eine singende Revolution, die großen Sängerfeste wurden als Protest genutzt, da wurde erstmals wieder die estnische Hymne gesungen. Deshalb steht der Papstbesuch unter dem Motto eines estnischen Liedes, mein Herz, freue dich – ist das Motto des Papstbesuches
Pope: Was erwarten sich die Menschen in Estland von Papst Franziskus? Was soll er sagen, und was sollte er eher vermeiden zu sagen?
Angelika Schmähling: ?Der Papst äußert sich nicht zu politischen Fragen, insofern ist die Frage, inwiefern er auf die geopolitische Lage eingeht. Estland hat Russland als Nachbarn. Da könnte ich mir schon vorstellen, dass Papst Franziskus nochmal an den Frieden erinnert, zu demokratischem Zusammenhalt aufruft und die Esten bestärkt. Ansonsten, die wichtigste Botschaft für Estland ist zu zeigen, dass es Religion und Gott gibt, dass Papst Franziskus die Neugier auf den Glauben weckt. Wenn das funktioniert, wäre der Papstbesuch wirklich gelungen.“
Renovabis, die Solidaritätsaktion der deutschen Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa, wird in diesem Jahr übrigens 25 Jahre alt und entstand somit im selben Jahr wie der bislang letzte Papstbesuch im Baltikum: 1993 besuchte der polnische Papst Johannes Paul II. Estland, Lettland und Litauen, die zwei Jahre zuvor ihre Unabhängigkeit von Russland gewonnen hatten.
Direkt nach dem Besuch von Franziskus im Baltikum feiert Renovabis seinen 25. Geburtstag mit einem großen Kongress in Berlin, zu dem sich fast 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 26 Ländern angemeldet haben.
(Pope – gs)
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