Rohingya in Bangladesch: Heimat gibt es nicht
Anne Preckel - Vatikanstadt
Als ?Wettrennen gegen die Zeit“ bezeichnet Nothelferin Jennifer Bose die Care-Hilfsmaßnahmen, die sich derzeit auf die Stabilisierung der Flüchtlingsunterkünfte konzentrieren. Durch den Monsun verursachte Überschwemmungen und Erdrutsche stellten eine akute Gefahr für die Vertriebenen dar. Pope erreichte die junge Helferin telefonisch in einem der Flüchtlingslager in Cox‘s Bazar:
?Die Situation in den Camps ist katastrophal. Die Menschen brauchen im Grunde alles, was man sich vorstellen kann: Sauberes Trinkwasser, bessere Unterkünfte und Zelte – denn sie leben tatsächlich noch in Plastikzelten. Sie brauchen medizinische Versorgung, aber auch Unterstützung, um mit ihrem Trauma umzugehen.“
Vielen Flüchtlingen sitze der Schrecken der Vertreibung und Flucht noch in den Knochen, so Bose. Hunderttausende waren seit Ende August 2017 aus dem Westen Myanmars nach Bangladesch geflohen – das birmanische Militär und vertrieben sie brutal. Sie hatten die Rohingya unter Generalverdacht gestellt und sie als Terroristen bezeichnet, nachdem eine Gruppe aufständischer Rohingya im Oktober 2016 Polizeiposten attackiert hatte. Von einem möglichen ?Völkermord“ an den Rohingya und ?ethnischen Säuberungen“ sprach an diesem Montag der UNO-Hochkommissar und jordanische Thronfolger Zeid bin Ra’as Zeid Al Hussein.
Bose, die sich seit Beginn der Krise ein Bild von der Lage der Rohingya machen konnte, berichtet:
?Ich habe viele schlimme Geschichten gehört. Auch schon vor sechs Monaten, als ich Rohingya-Frauen traf, die mir erzählten, wie sie vergewaltigt wurden. Ich habe Kinder gesehen mit Schusswunden, Männer, die gefoltert wurden. Was mir insbesondere in den Camps aufgefallen ist: die furchtbare Angst der Menschen. Sie haben Angst davor, nach Myanmar zurückgeschickt zu werden. Die Regierungen von Bangladesch und Myanmar sind im Gespräch zur Rückkehr der Flüchtlinge, aber für die meisten gibt es gar keine Heimat mehr, die Häuser und Dörfer wurden verbrannt, viele ihrer Familienmitglieder haben sie verloren. Und solange keine Besserung in Sicht ist, ist es unmöglich, dass sie zurückkehren können.“
Die Regierungen von Bangladesch und Myanmar hatten sich eigentlich auf eine Rückführung der Rohingya in deren birmanische Heimatregion Rakhine geeinigt. Entsprechende Maßnahmen hatte Myanmars Staatsrätin Aung San Suu Kyi bereits im Oktober angekündigt. Care sieht davon bislang nichts verwirklicht. ?Von Wiederaufbau kann bisher keine Rede sein“, urteilt Bose: ?Für eine Rückkehr muss außerdem gewährleistet sein, dass die Flüchtlinge in eine sichere Umgebung zurückkehren, in der sie keine Gewalt fürchten müssen. Ein Großteil der in den letzten sechs Monaten geflüchteten Menschen aus Myanmar ist von den Folgen der Flucht immer noch sehr, sehr stark traumatisiert.“
Diese Ausgangssituation müssten die Regierungen beider Länder berücksichtigen, wenn sie die Flüchtlinge zurückführen wollten. Die Rückkehr müsse ?sicher und in Würde geschehen“, so die Care-Mitarbeiterin: ?Dabei unterstützen wir auch, dass die Rückkehr aller Flüchtlinge nach Myanmar nur unter Berücksichtigung internationaler Standards und freiwillig geschehen darf“, ergänzt sie.
In den Flüchtlingscamps in Bangladesch gebe es ?auch langfristig massive Probleme“, für die Lösungen gefunden werden müssten, fährt Bose fort: ?Die meisten Kinder gehen nicht zur Schule. Es gibt außerdem kaum Arbeitsmöglichkeiten, und das führt natürlich dazu, dass sich die meisten Flüchtlinge kein neues Leben aufbauen können.“
Immerhin sei die Gastfreundschaft in Bangladesch, wo die Schutzsuchenden Zuflucht fanden, bemerkenswert, so Bose. Die Bengalen ?waren und sind noch immer sehr, sehr großzügig“:
?Die meisten Flüchtlinge wurden wirklich gut aufgenommen von der Gemeinschaft hier in Cox’s Bazar. Aber natürlich ist Bangladesch an sich ein sehr armes Land; es fehlt an Ressourcen, an Platz. Cox’s Bazar, wo ich mich gerade aufhalte, hat zum Beispiel 50.000 Einwohner. Die Flüchtlingsgemeinschaft zählt mehr als zwölf Mal so viel wie die Bezirksbevölkerung! Es ist also weiterhin schwierig, aber zugleich beweist Bangladesch auch eine sehr große Großzügigkeit, es hat bisher die Grenzen offengehalten, und das muss man wirklich hoch ansehen!“
Die UNO hat unterdessen davor gewarnt, dass die Gewalt gegen die Rohingya langfristig die gesamte Region destabilisieren könnte. ?Heutige Menschenrechtsverletzungen sind die Konflikte von morgen“, kommentierte der jordanische Prinz und UNO-Hochkommissar Zeid bin Ra’as Zeid Al Hussein die Rohingya-Krise. Er schloss nicht aus, dass die Ereignisse von Rakhine einen breiteren, religiös motivierten Konflikt auslösen könnten.
Die Ursachen der Spannungen reichen bis ins letzte Jahrhundert hinein. So gab es seit den 1940er Jahren mehrfach Militäroperationen gegen die Rohingya auf birmanischen Boden, bereits Ende der 1970er und Anfang der 1990er Jahre waren viele von ihnen nach Bangladesch geflohen. Die Linien des Konfliktes lassen sich bis zum 2. Weltkrieg nachzeichnen, in dem die Rohingya auf Seiten der Briten und die Buddhisten in Rakhine auf japanischer Seite kämpften. Auf Diskriminierungen hin hatten sich bei den Rohingya schon damals Guerillakämpfer formiert, die gegen die birmanische Zentralregierung vorgingen. Die letzten Attacken militanter Rohingya auf Polizeiposten sieht Myanmars Führung in dieser Optik als Fortsetzung dieses Kampfes.
(vatican news / diverse - pr)
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