Historischer Besuch von Kardinal Rai in Saudi-Arabien
von Stefan von Kempis
Erst einmal hat ein Patriarch, der die größte christliche Gemeinschaft des Libanon vertritt, seinen Fuß auf saudischen Boden gesetzt: 1975 war das, zu Beginn des libanesischen Bürgerkriegs und vor der iranischen Revolution, die vier Jahre später die geopolitischen Karten in der Region neu mischte. Saudi-Arabien ist ein streng sunnitisches Königreich, es hütet die heiligen Stätten des Islam (Mekka und Medina) und verbietet die Ausübung anderer Religionen auf seinem Territorium; selbst das Zeigen von Kreuzen oder der Besitz einer Bibel steht unter Strafe. Umso bemerkenswerter jetzt die Einladung an Kardinal Rai. Sie ist eines der Zeichen der Öffnung, wie sie sich seit einiger Zeit häufen.
Der Beiruter Patriarch traf an diesem Dienstag König Salman. Dabei trugen einige Geistliche, die ihn begleiteten, gut sichtbar ihre goldenen Brustkreuze. Auch der umtriebige Kronprinz Mohammed bin Salman will Rai empfangen; der 32-jährige Sohn des Königs steht hinter den radikalen Reformen im Land, allerdings auch hinter der Ausschaltung politischer Gegner, hinter dem Krieg im Jemen und, wie viele glauben, hinter der Verschärfung der politischen Spannungen im Libanon.
Libanons (sunnitischer) Ministerpräsident Saad Hariri ist Anfang November überraschend zurückgetreten – per Fernsehansprache aus Riad. Beobachter vermuten, dass seine saudischen Förderer ihn fallengelassen haben, einige bezweifeln sogar, dass sich Hariri derzeit frei bewegen darf. Immerhin konnte Kardinal Rai an diesem Dienstag auch mit Hariri sprechen. Allein diese Begegnung könnte dazu beitragen, dass sich die aufgeheizte Stimmung im Libanon jetzt etwas abkühlt.
Die Einladung an Patriarch Rai ist nach Rais Angaben schon 2013 unter dem damaligen König Abdullah ergangen; auf jeden Fall wurde der Besuch schon vor dem Ausbruch der politischen Krise im Libanon geplant. Bei einem Empfang in der libanesischen Botschaft in Riad lobte Rai das gute Zusammenleben von Muslimen und Christen – im Libanon, versteht sich. Er sprach von seiner Hoffnung, dass Saudi-Arabien dem Libanon in den ?schwierigsten politischen, wirtschaftlichen und sicherheitsrelevanten Umständen“ beistehe.
Mit König Salman hat der Patriarch nach Angaben der saudischen Nachrichtenagentur über religiöse Toleranz und den Kampf gegen Extremismus gesprochen. Vor allem der letzte Punkt interessiert die Saudis: Sie sind besorgt über den Aufstieg Irans in der Region und wollen verhindern, dass die mit Iran verbündete Hisbollah-Miliz im Libanon immer mächtiger wird. Dazu suchen sie bei der zahlenmäßig starken christlichen Gemeinschaft des Libanon Verbündete.
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, k?nnen Sie hier unseren Newsletter bestellen.