Fastenpredigt: Geist der Weltlichkeit dringt ein wie ein Virus
Mario Galgano - Vatikanstadt
Die Debatten über ?Glaube und Vernunft“, genauer gesagt ?über Vernunft und Offenbarung“, seien von einer ?radikalen Dissymmetrie“ geprägt: Der Gläubige teile die Vernunft mit dem Atheisten; der Atheist aber teile ?den Glauben an die Offenbarung nicht mit dem Gläubigen“. Dies erläuterte Kardinal Raniero Cantalamessa, Prediger des Päpstlichen Hauses, während der zweiten Fastenpredigt, die an diesem Freitagmorgen, 1. März, in der Audienzhalle im Vatikan stattfand.
Indem er das Thema seiner Überlegungen aus dem Johannesevangelium – ?Ich bin das Licht der Welt“ - vertiefte, stellte Cantalamessa fest, dass der Gläubige zwar ?die Sprache des atheistischen Gesprächspartners spricht“, dieser aber ?nicht die Sprache der anderen Partei“. Aus diesem Grund, so Cantalamessa, ?ist die fairste Debatte über Glauben und Vernunft diejenige, die in ein und derselben Person stattfindet, zwischen dem eigenen Glauben und der eigenen Vernunft“.
Berühmte Fälle
Er erinnerte daran, dass es ?in der Geschichte des menschlichen Denkens berühmte Fälle von Menschen gibt, bei denen eine identische Leidenschaft für die Vernunft und den Glauben nicht zu bezweifeln ist“: Augustinus, Thomas von Aquin, Blaise Pascal, Søren Kierkegaard oder John Henry Newman.
Sie alle seien zu dem Schluss gekommen, dass ?der höchste Akt der menschlichen Vernunft darin besteht, zu erkennen, dass es etwas gibt, das über ihr steht“. Es sei auch das, was die Vernunft am meisten adele, weil es ihre Fähigkeit zeige, ?über sich selbst hinauszuwachsen“. Der Glaube ?widersetzt sich nicht der Vernunft, sondern setzt die Vernunft voraus“, so wie ?die Gnade die Natur voraussetzt“.
Was Jesus von einem Propheten unterscheidet
In Bezug auf den Ausdruck ?Licht der Welt“ wies der Kardinal darauf hin, dass er zwei grundlegende Bedeutungen habe. Die erste sei, dass Christus ?das Licht der Welt ist, insofern er die höchste und endgültige Offenbarung Gottes an die Menschheit ist“. Die Neuheit bestehe in der ?einzigartigen und unwiederholbaren Tatsache, dass er selbst die Offenbarung ist“. Cantalamessa erinnerte daran, dass die Propheten in der dritten Person sprachen: ?So spricht der Herr!“, während Jesus in der ersten Person sprach: ?Ich sage euch!“ In Christus ?ist das Medium der Übermittlung wirklich die Botschaft; der Bote ist die Botschaft“.
Die zweite Bedeutung sei, dass Jesus das Licht der Welt ist, insofern er ?die Welt erleuchtet, das heißt, er offenbart die Welt sich selbst; er lässt alles in seinem richtigen Licht sehen“. Unter diesem Gesichtspunkt habe das Licht, das Christus ist, ?immer einen erbitterten Konkurrenten gehabt: die menschliche Vernunft“.
Missverständnis beim Dialog zwischen Glaube und Vernunft
Indem er das allgemeine Thema der diesjährigen Fastenpredigten - die der Meditation über das große ?Ich bin“ (Ego eimi) gewidmet sind, das Jesus im Johannesevangelium ausspricht - weiterentwickelte, wies der Kardinal auf ein weiteres Missverständnis hin, das in Bezug auf den Dialog zwischen Glaube und Vernunft zu klären sei. ?Die gängige Kritik an den Gläubigen“, sagte Cantalamessa, ?lautet, dass sie nicht objektiv sein können, da der Glaube ihnen von vornherein die zu erreichende Schlussfolgerung auferlegt“. Mit anderen Worten: ?Er wirkt wie ein Vorverständnis und ein Vorurteil“. Es werde jedoch nicht beachtet, dass ?dasselbe Vorurteil im umgekehrten Sinne auch beim ungläubigen Wissenschaftler oder Philosophen wirkt, und zwar in noch stärkerem Maße“. Wenn man davon ausgehe, dass es Gott nicht gebe, dass ?das Übernatürliche nicht existiert und dass Wunder unmöglich sind, ist die Schlussfolgerung ebenfalls von vornherein vorgegeben“.
Es gebe, so stellte der Kardinal klar, nur zwei mögliche Lösungen für die Spannung zwischen Glaube und Vernunft: entweder den Glauben ?innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft“ zu reduzieren, oder die Grenzen der reinen Vernunft zu sprengen und ?abzuheben“. Nach Ansicht des Kardinals müsse dieser Diskurs, ?bevor er zu einer Debatte zwischen 'uns und ihnen', zwischen Gläubigen und Nicht-Gläubigen wird, eine Debatte unter den Gläubigen selbst sein“. Die schlimmste Form des Rationalismus sei nämlich ?nicht die äußere, sondern die innere Theologie“, also jene Theologie, die das eigene Ich bevorzuge und sich nicht von der Begegnung mit dem Herrn leiten lasse.
?Instrumentelle“ Bedeutung
Bevor er seine Überlegungen schloss, kam der Kardinal noch einmal auf die zweite Bedeutung des Ausdrucks ?Licht der Welt“ zurück und hob dessen ?instrumentelle“ Bedeutung hervor, wonach Jesus das Licht der Welt ist, da er ?alle Dinge erhellt; er macht mit der Welt, was die Sonne mit der Erde macht“. Auch in dieser Bedeutung haben Christus und sein Evangelium aus Cantalamessas Sicht einen Konkurrenten, der der ?gefährlichste von allen“ ist: die Weltlichkeit. Die Gefahr, sich ihr anzupassen, sei ?im religiösen und geistlichen Bereich das Äquivalent dessen, was wir im sozialen Bereich Säkularisierung nennen“.
Der Ursprung der Verweltlichung, so der Prediger, ?hat viele Ursachen, aber die Hauptursache ist die Krise des Glaubens“. In diesem Zusammenhang verwies der Kardinal auf den ?Geist der Welt“, den der Apostel Paulus als direkten Gegenspieler des ?Geistes Gottes“ bezeichnet. Eine entscheidende Rolle spiele dabei ?die öffentliche Meinung“: Heute könne man sie als ?Geist, der in der Luft liegt“, bezeichnen, denn er verbreite sich vor allem ?über den Äther, über die Mittel der virtuellen Kommunikation“. Die Versuchung bestehe darin, sich ?dem Zeitgeist“ anzupassen. Und um ?die zersetzende Wirkung des Weltgeistes“ zu beschreiben, verglich Cantalamessa ihn mit einem Computervirus. Er dringe ?durch tausend Kanäle ein, wie die Luft, die wir atmen, und wenn er erst einmal in uns ist, verändert er unsere Funktionsmodelle: das Modell 'Christus' wird durch das Modell 'Welt' ersetzt“, warnte er.
(vatican news)
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