Prevost: ?Der Bischof ist Seelsorger, kein Manager“
Andrea Tornielli - Vatikanstadt
Vor 67 Jahren in Chicago (USA) geboren, war der Augustiner zunächst als Missionar und dann als Bischof in Chiclayo (Peru) tätig. Nun steht er als Präfekt des Bischofsdikasteriums vor einer völlig neuen Aufgabe: Papst Franziskus hatte den Ordensmann im Januar als Nachfolger von Kardinal Marc Ouellet bestimmt, dessen Rücktritt aus Altersgründen er zeitgleich angenommen hat. Im Interview mit den Vatikanmedien spricht Prevost darüber, was einen zeitgenössischen Bischof ausmachen sollte.
Was hat es für Sie bedeutet, vom Missionsbischof in Lateinamerika zum Leiter des Dikasteriums zu werden, das dem Papst bei der Auswahl der Bischöfe hilft?
Robert F. Prevost: ?Ich betrachte mich immer noch als Missionar. Meine Berufung ist es, wie die jedes Christen, ein Missionar zu sein, das Evangelium zu verkünden, wo immer man ist. Sicherlich hat sich mein Leben sehr verändert: Ich habe die Möglichkeit, dem Heiligen Vater zu dienen, der Kirche zu dienen, heute, hier, von der römischen Kurie aus. Eine ganz andere Aufgabe als früher, aber auch eine neue Gelegenheit, eine Dimension meines Lebens zu leben, die darin bestand, einfach immer Ja zu sagen, wenn ich um einen Dienst gebeten wurde. In diesem Geist habe ich meine Mission in Peru beendet, nach achteinhalb Jahren als Bischof und fast zwanzig Jahren als Missionar, um in Rom eine neue zu beginnen.“
Könnten Sie ein Idealbild des Bischofs für die Kirche unserer Zeit entwerfen?
Robert F. Prevost: ?In erster Linie muss er ,katholisch‘ sein: Manchmal besteht die Gefahr, dass der Bischof sich nur auf die lokale Dimension konzentriert. Aber ein Bischof sollte eine viel umfassendere Vision der Kirche und der Realität haben und die Universalität der Kirche erfahren. Er muss auch die Fähigkeit haben, zuzuhören und sich beraten zu lassen, und er muss psychologisch und geistlich reif sein. Ein grundlegendes Element des Identitätskonzepts ist es, ein Seelsorger zu sein, der in der Lage ist, den Mitgliedern der Gemeinschaft nahe zu sein, angefangen bei den Priestern, für die der Bischof Vater und Bruder ist. Diese Nähe zu allen zu leben, ohne jemanden auszuschließen.
Papst Franziskus sprach von den vier Nähebenen: die Nähe zu Gott, zu den bischöflichen Brüdern, zu den Priestern und zum ganzen Volk Gottes. Man darf nicht der Versuchung nachgeben, isoliert zu leben, abgeschottet in einem Palast, erfüllt von einer bestimmten sozialen Ebene oder einer bestimmten Ebene innerhalb der Kirche. Und wir dürfen uns nicht hinter einer Vorstellung von Autorität verstecken, die heute keinen Sinn mehr macht. Die Autorität, die wir haben, ist die, zu dienen, Priester zu begleiten, Seelsorger und Lehrer zu sein. Wir sind oft damit beschäftigt, die Lehre, die Art und Weise, wie wir unseren Glauben leben sollen, zu lehren, aber wir laufen Gefahr zu vergessen, dass unsere erste Aufgabe darin besteht, zu lehren, was es bedeutet, Jesus Christus zu kennen und Zeugnis von unserer Nähe zum Herrn zu geben. Das steht an erster Stelle: die Schönheit des Glaubens zu vermitteln, die Schönheit und Freude, Jesus zu kennen. Das bedeutet, dass wir es selbst leben und diese Erfahrung teilen.“
Wie wichtig ist der Dienst des Bischofs für die Einheit um den Nachfolger Petri in einer Zeit, in der die Polarisierung auch in der Kirchengemeinschaft wächst?
Robert F. Prevost: ?Die drei Worte, die wir in der Arbeit der Synode verwenden - Partizipation, Gemeinschaft und Mission - geben die Antwort. Der Bischof ist zu diesem Charisma berufen, den Geist der Gemeinschaft zu leben, die Einheit in der Kirche, die Einheit mit dem Papst zu fördern. Auch das bedeutet, katholisch zu sein, denn wo ist die Kirche ohne Petrus? Jesus hat beim letzten Abendmahl darum gebetet, ,dass alle eins seien‘, und diese Einheit wünschen wir uns für die Kirche. Heute entfernen uns die Gesellschaft und die Kultur von dieser Vision Jesu, und das richtet viel Schaden an. Der Mangel an Einheit ist eine Wunde, an der die Kirche leidet - eine sehr schmerzhafte Wunde. Spaltungen und Polemik in der Kirche sind nicht hilfreich. Gerade wir Bischöfe müssen diese Bewegung zur Einheit, zur Gemeinschaft in der Kirche beschleunigen.“
Kann das Verfahren zur Ernennung neuer Bischöfe verbessert werden? In der Apostolischen Konstitution ,Praedicate Evangelium‘ heißt es, dass ,auch Mitglieder des Volkes Gottes‘ beteiligt werden sollen. Geschieht das denn?
Robert F. Prevost: ?Wir hatten eine interessante Diskussion unter den Mitgliedern des Dikasteriums über diese Frage. Seit einiger Zeit werden nicht nur einige Bischöfe oder Priester angehört, sondern auch andere Mitglieder des Volkes Gottes. Das ist sehr wichtig, denn der Bischof ist berufen, einer bestimmten Ortskirche zu dienen. Deshalb ist es auch wichtig, auf das Volk Gottes zu hören. Wenn ein Kandidat niemandem in seinem Volk bekannt ist, ist es schwierig - nicht unmöglich, aber schwierig - dass er wirklich Hirte einer Gemeinschaft, einer Ortskirche werden kann. Deshalb ist es wichtig, dass der Prozess ein wenig offener ist, um verschiedenen Mitgliedern der Gemeinschaft zuzuhören. Das bedeutet nicht, dass die Ortskirche ihren Hirten wählen muss, als ob die Berufung zum Bischof das Ergebnis einer demokratischen Abstimmung, eines fast ,politischen‘ Prozesses wäre. Es ist eine viel umfassendere Sichtweise erforderlich, und die Apostolischen Nuntiaturen sind dabei sehr hilfreich. Ich glaube, dass wir uns allmählich mehr öffnen und den Ordensleuten, den Laien, etwas stärker zuhören müssen.“
Eine der Neuerungen, die der Papst eingeführt hat, war die Ernennung von drei Frauen unter den Mitgliedern des Bischofsdikasteriums. Was können Sie über deren Beitrag sagen?
Robert F. Prevost: ?Wir haben schon mehrfach gesehen, dass ihre Sichtweise eine Bereicherung ist. Zwei von ihnen sind Ordensfrauen und eine ist Laiin, und ihre Sichtweise deckt sich oft perfekt mit dem, was die anderen Mitglieder des Dikasteriums sagen, während andere Male ihre Meinung eine andere Perspektive einbringt und einen wichtigen Beitrag zu dem Prozess leistet. Ich denke, ihre Ernennung ist mehr als nur eine Geste des Papstes, um zu sagen, dass es hier jetzt auch Frauen gibt. Es gibt eine echte, sinnvolle Beteiligung, die sie bei unseren Treffen anbieten, wenn wir die Kandidatendossiers diskutieren.“
Die neuen Regeln zur Missbrauchsbekämpfung haben die Verantwortung der Bischöfe verstärkt, die aufgefordert sind, schnell zu handeln und für eventuelle Verzögerungen und Unterlassungen geradezustehen. Wie wird diese Aufgabe von den Bischöfen wahrgenommen?
Robert F. Prevost: ?Auch hier sind wir auf dem Weg. Es gibt Orte, an denen schon seit Jahren gute Arbeit geleistet wird und die Regeln in der Praxis umgesetzt werden. Zugleich glaube ich, dass es noch viel zu lernen gibt. Ich spreche von der Dringlichkeit und der Verantwortung, die Überlebenden zu begleiten. Eine der Schwierigkeiten, die immer wieder auftauchen, besteht darin, dass der Bischof seinen Priestern nahe sein muss, wie ich bereits sagte, und er muss aber zugleich den Überlebenden nahe sein. Einige empfehlen, dass der Bischof die Opfer nicht direkt empfangen sollte, aber wir können unsere Herzen, die Tür der Kirche nicht vor denen verschließen, die unter Missbrauch gelitten haben. Die Verantwortung des Bischofs ist groß, und ich denke, wir müssen noch große Anstrengungen unternehmen, um auf diese Situation zu reagieren, die so viel Schmerz in der Kirche verursacht. Es wird Zeit brauchen; wir versuchen, mit den anderen Dikasterien zusammenzuarbeiten. Ich glaube, dass es zur Aufgabe unseres Dikasteriums gehört, die Bischöfe zu begleiten, die nicht die notwendige Vorbereitung erhalten haben, um mit diesem Thema umzugehen. Es ist dringend notwendig, dass wir verantwortungsvoller und sensibler mit diesem Thema umgehen.“
Die Gesetze gibt es jetzt ja. Es ist schwieriger, die Mentalität zu ändern...
Robert F. Prevost: ?Natürlich gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Kulturen, wie man in solchen Situationen reagiert. In einigen Ländern wurde das Tabu, über dieses Thema zu sprechen, bereits ein wenig gebrochen, während es andere Länder gibt, in denen die Überlebenden oder deren Familien am liebsten niemals über den erlittenen Missbrauch sprechen wollen. In jedem Fall ist Schweigen keine Antwort. Schweigen ist nicht die Lösung. Wir müssen transparent und ehrlich sein, die Opfer begleiten und ihnen helfen, denn sonst werden ihre Wunden nie heilen. Daraus ergibt sich eine große Verantwortung für uns alle.“
Die Kirche ist auf dem Weg, der zur Synode über die Synodalität führen wird. Was ist die Rolle des Bischofs?
Robert F. Prevost: ?In dieser ständigen Erneuerung der Kirche, zu deren Förderung uns Papst Franziskus einlädt, liegt eine große Chance. Auf der einen Seite gibt es Bischöfe, die offen ihre Besorgnis äußern, weil sie nicht verstehen, wohin sich die Kirche entwickelt. Vielleicht bevorzugen sie die Sicherheit von Antworten, die sie bereits in der Vergangenheit erfahren haben. Ich glaube wirklich, dass der Heilige Geist in dieser Zeit in der Kirche sehr präsent ist und uns zu einer Erneuerung drängt, und deshalb sind wir zu der großen Verantwortung aufgerufen: das zu leben, was ich eine neue Haltung nenne. Es geht nicht nur um einen Prozess, es geht nicht nur darum, einige Dinge zu ändern, vielleicht mehr Treffen zu veranstalten, bevor man eine Entscheidung trifft. Es ist viel mehr. Aber es ist auch das, was vielleicht gewisse Schwierigkeiten verursacht, denn im Grunde müssen wir vor allem auf den Heiligen Geist hören können, was er von der Kirche verlangt.“
Wie macht man das?
Robert F. Prevost: ?Wir müssen in der Lage sein, einander zuzuhören, zu erkennen, dass es nicht darum geht, eine politische Agenda zu diskutieren oder einfach zu versuchen, Themen zu fördern, die mich oder andere interessieren. Manchmal scheint es, als würde man alles darauf reduzieren, wählen zu wollen und dann das zu tun, wofür gestimmt wurde. Stattdessen geht es um etwas viel Tieferes und ganz anderes: Wir müssen lernen, wirklich auf den Heiligen Geist und den Geist der Wahrheitssuche zu hören, der in der Kirche lebt. Wir müssen von einer Erfahrung, in der die Autorität spricht und damit alles klar ist, zu einer Kirchenerfahrung übergehen, die die Charismen, Gaben und Ämter in der Kirche zur Geltung kommen lässt. Das bischöfliche Amt leistet einen wichtigen Dienst, aber dann müssen wir all dies in den Dienst der Kirche stellen - in diesem synodalen Geist, der einfach bedeutet, dass wir alle zusammen gehen und gemeinsam suchen, was der Herr in dieser unserer Zeit von uns verlangt.“
Wie sehr beeinflussen die wirtschaftlichen Probleme das Leben der Bischöfe?
Robert F. Prevost: ?Vom Bischof wird auch verlangt, dass er ein guter Verwalter ist, oder zumindest die Fähigkeit hat, einen guten Verwalter zu finden, der ihm hilft. Der Papst hat uns gesagt, dass er eine Kirche will, die arm und für die Armen ist. Es gibt Fälle, in denen die Strukturen und die Infrastruktur der Vergangenheit nicht mehr benötigt werden und es schwierig ist, sie zu erhalten. Gleichzeitig ist die Kirche auch an den Orten, an denen ich gearbeitet habe, für Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen verantwortlich, die grundlegende Dienstleistungen für die Menschen anbieten, weil der Staat diese oft nicht garantieren kann. Ich persönlich bin nicht der Meinung, dass die Kirche alles verkaufen und ,nur‘ auf der Straße das Evangelium verkünden sollte. Dies ist jedoch eine sehr große Verantwortung, für die es keine Patentrezepte gibt. Die geschwisterliche Hilfe unter den Ortskirchen muss mehr gefördert werden. Angesichts der Notwendigkeit, Dienststrukturen mit nicht mehr so hohen Einnahmen aufrechtzuerhalten, muss der Bischof sehr praktisch sein. Die Ordensschwestern sagen immer: ,Man muss der göttlichen Vorsehung vertrauen und ihr alles anvertrauen, dann wird sich ein Weg finden…‘. Wichtig ist auch, dass wir nie die geistliche Dimension unserer Berufung vergessen. Sonst besteht die Gefahr, dass wir zu Managern werden und wie Manager denken. Das passiert manchmal.“
Wie sehen Sie die Beziehung zwischen dem Bischof und den sozialen Medien?
Robert F. Prevost: ?Soziale Medien können ein wichtiges Instrument sein, um die Botschaft des Evangeliums zu vermitteln und Tausende von Menschen zu erreichen. Wir müssen uns darauf vorbereiten, sie gut zu nutzen. Ich fürchte, dass diese Vorbereitung manchmal zu kurz kommt. Gleichzeitig stellt uns die heutige Welt, die sich ständig verändert, vor Situationen, in denen wir wirklich mehrmals nachdenken müssen, bevor wir sprechen oder eine Nachricht auf Twitter schreiben, um zu antworten oder auch nur Fragen in einer öffentlichen Form zu stellen, vor den Augen aller. Manchmal besteht das Risiko, Spaltungen und Kontroversen zu schüren. Es besteht da eine große Verantwortung, die sozialen Netzwerke, die Kommunikation, richtig zu nutzen, denn es birgt eine Chance, aber auch ein Risiko. Und es kann der Gemeinschaft der Kirche Schaden zufügen. Deshalb muss man bei der Nutzung dieser Mittel sehr umsichtig sein.“
(vatican news - cs)
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