20 Jahre Irak-Krieg: Niemand h?rte auf den Papst-Appell
Marie Duhamel und Mario Galgano - Vatikanstadt
In der Nacht von 19. auf 20. März 2003 begannen die Angriffe der USA und ihrer ?Koalition der Willigen“ auf den Irak. Wegen angeblicher Massenvernichtungswaffen in den Händen von Machthaber Saddam Hussein gab der damalige US-Präsident George W. Bush den Kriegsbefehl.
Wenige Wochen zuvor: ?Niemals darf der Krieg als ein Mittel wie jedes andere betrachtet werden, das zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Nationen eingesetzt wird“, so richtete am 13. Januar 2003 Johannes Paul II. in seiner Ansprache an das beim Heiligen Stuhl akkreditierte diplomatische Korps den Appell, den drohenden Krieg, der später das irakische Volk treffen sollte, abzuwenden. Johannes Paul II. rief dazu auf, die Folgen, die ein Konflikt ?während und nach den militärischen Operationen“ mit sich bringen würde, nicht zu übersehen.
Dieser Appell wurde auch beim Angelus vom 16. März 2003 wiederholt, als er ?angesichts der ungeheuren Folgen, die eine internationale Militäroperation für die Völker des Irak und für das Gleichgewicht der gesamten Region des Nahen und Mittleren Ostens, das schon so sehr auf die Probe gestellt wurde, sowie für die Extremismen, die daraus entstehen könnten, haben würde“, der Welt sagte: ?Es ist noch Zeit zu verhandeln; es gibt noch Raum für den Frieden; es ist nie zu spät, einander zu verstehen und weiter zu verhandeln.“
Geheimdienstquellen lagen falsch
US-Außenminister Colin Powell gab später zu, dass viele Geheimdienstquellen falsch lagen. ?Der Papst hatte gesprochen und niemand hatte ihm zugehört“, erinnert sich Kardinal Fernando Filoni, der damalige apostolische Nuntius in Bagdad, jetzt im Gespräch mit uns. Am Mikrophon der vatikanischen Medien erinnert der Kardinal nach zwanzig Jahren an jenen dramatischen Moment in der Geschichte der Menschheit:
?Wir alle, die wir im Irak waren, hatten das Gefühl eines besonderen Schicksals, gegen das wir nichts anderes tun konnten, als die Entscheidungen über uns ergehen zu lassen, die den Krieg auslösen würden und wo wir nur Opfer hätten sein können. Wir mussten den Krieg erleiden! Das war die Wahrnehmung der Menschen, die ich traf. Sie alle warteten auf das, was geschehen würde. Niemand konnte wissen, wie der Krieg ausgehen würde, die Bombardierungen, die Kämpfe, was passieren würde... Die Menschen hatten sich mit Reis und Brot eingedeckt, aber niemand wusste genau, wie es enden würde und wie die Menschen mit den Bombardierungen fertig werden würden, von denen wir weder wussten, wo, noch wie, noch wann sie stattfinden würden.“
Keine Hoffnung mehr auf Frieden
Es gab also keine Hoffnung mehr auf Frieden, fährt Filoni fort:
?Alle Möglichkeiten waren erörtert worden. Der Papst hatte gesprochen und niemand hatte ihm zugehört, die Vereinten Nationen hatten sich für den Krieg ausgesprochen, in Europa gab es verschiedene Meinungen zum Krieg, aber die Entschlossenheit war schon einige Tage zuvor auf den Azoren zwischen Präsident Bush und dem spanischen Premierminister José María Aznar und dann Tony Blair, dem britischen Premierminister, der entschieden hatte, wie und wann er angreifen würde, vorhanden gewesen. Hier waren wir nur Opfer dieser Realität. Seitens der irakischen Führung war die Bereitschaft für Verhandlungen vorhanden. Zumindest hatten sie mir gegenüber stets ihre Bereitschaft zum Dialog bekundet. Sie haben nur eines verlangt: Erniedrigt die politischen Führer nicht, dann können wir über alles verhandeln. Selbst das wurde nicht akzeptiert...“
Man erwartete dann nur noch den Beginn des Krieges:
?Wir lebten in der Erwartung des ersten Bombardements, das in der Nacht vom 19. auf den 20. März kam und die Regierungsgebäude und auch die Kommunikationszentren traf. Die Telefone fielen sofort aus, es gab keine Möglichkeit der Kommunikation mehr. Dann begann die Invasion auch im Süden Kuwaits, wo zwar Saddams Truppen stationiert waren, aber das Übergewicht der Militäraktion überwältigte alle eingesetzten Verteidigungsanlagen.“
Er habe sich als Nuntius entschieden, zu bleiben, um die Menschen zu begleiten. Warum diese Entscheidung? Dazu Kardinal Filoni:
?Als diplomatischer Dienst des Heiligen Stuhls sind wir an den verschiedenen Orten, um den Frieden zu sichern, um die Freiheit der Kirche zu gewährleisten, um unseren Christen nahe zu sein, um die Solidarität des Papstes mit all diesen Kirchen zu zeigen, ob sie nun Minderheiten oder Mehrheiten sind. Der Nuntius ist dazu da, den Heiligen Vater zu vertreten. Johannes Paul II. hatte wiederholt seine Nähe zum irakischen Volk gezeigt. Entgegen dem, was in vielen Ländern gesagt wurde, ist es nicht wahr, dass alle gegen den Irak waren, die Kirche war gegen den Krieg und für das irakische Volk. Über andere Themen könnte man diskutieren.“
Aus Solidarität geblieben
Er sei also aus Solidarität geblieben, betont Filoni, ?denn wir waren dort, um diese Solidarität zu zeigen“. Und er könne sagen, dass nicht nur der Nuntius, sondern kein einziger Priester, kein einziger Bischof, kein einziger Ordensmann gegangen sei: ?alle sind geblieben“. Dies wurde sowohl von der irakischen Bevölkerung als auch von den Behörden stets sehr geschätzt.
Er habe den Sturz von Saddam Hussein miterlebt. Es folgten sehr schwierige Jahre mit einer Konfrontation zwischen Schiiten und Sunniten und der Schwierigkeit, eine stabile Macht zu finden, erinnert sich Filoni:
?Saddam Hussein war ein Sunnit und die sunnitische islamische Minderheit - eine beträchtliche Minderheit - hatte die Macht inne. Die Schiiten waren nicht an der Macht, denn sie waren vor allem im Süden des Landes unterdrückt worden. In dem Moment, in dem Saddams Regime fiel, übernahmen die Schiiten als erstes die Macht. Zwischen den Verbündeten, die auf dem Vormarsch waren und die Macht des Regimes stürzten, und den anderen, die nicht wussten, wie sie reagieren sollten, herrschte also Anarchie. Jeden Tag gab es Angriffe, nicht auf das Militär, sondern auf diejenigen, die die Macht an sich reißen oder sich anderweitig einen Vorteil verschaffen wollten, um zu stehlen.“
Viele Opfer
Es sei eine Zeit der großen Kämpfe gewesen, mit vielen Opfern: wenn jemand beispielsweise mit einem Auto vorbeifuhr, wurde es gestohlen... Es herrschte Chaos, man wusste nicht, wer das Sagen hatte, das Militär, die Polizei waren verschwunden, es gab keinerlei Kontrollinstanz, erläutert Filoni:
?Jeder erinnert sich an die Plünderung der Ministerien, mit Ausnahme eines Ministeriums, das sofort besetzt wurde: das Ölministerium. Ich erinnere mich gut daran, wie eines der schrecklichsten Dinge die Plünderung der Museen war, wo Tausende von Kunstwerken verschwanden. Selbst die amerikanischen Soldaten nahmen diese Objekte mit, und tatsächlich wurden sie später in ihren Rucksäcken gefunden. Schrecklich war auch das Niederbrennen der riesigen Bibliothek von Bagdad. Zwei oder drei Tage lang regnete es Asche auf die Stadt herab. Es war eine unannehmbare Verwüstung: auch die Bibliotheken zu treffen, bedeutete, die Geschichte, das Leben eines Volkes zu treffen, abgesehen von der Tatsache, dass die gesamte Menschheit um Güter von unschätzbarem Wert beraubt wird.“
Die Zeiten änderten sich und so konnte es zum Besuch eines Papstes kommen: Franziskus war vor zwei Jahren im Irak. Es sei eine Antwort auf den Wunsch von Johannes Paul II. im Jahr 2000 gewesen, zum Heiligen Jahr in den Irak zu reisen. ?Ein Wunsch, der ihm verwehrt geblieben war“, so Filoni. ?Mit dem Besuch von Papst Franziskus erfüllte er eine Erwartung und öffnete Türen, angefangen bei der Tatsache, dass der Papst den Dialog mit der sunnitischen Welt und auch mit der schiitischen Welt aufnahm, indem er Al-Sistani aufsuchte und allen zeigte, dass ein Dialog möglich ist. Dies sind Türen, die geöffnet wurden, aber der Weg ist noch weit.“
(vatican news)
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