P. Hagenkord: ?Der Papst-Rücktritt war am pr?gendsten für mich“
Radio Vatikan: Das Radio war ja traditionell dem Jesuitenorden anvertraut, aber kaum sitzt ein Jesuit auf dem Papststuhl, ändert sich das. Warum? Was hat das für Auswirkungen?
P. Hagenkord: Naja, das sieht vielleicht komisch aus, dass ausgerechnet ein Jesuit, Papst Franziskus, dafür sorgt, dass die Jesuiten nicht mehr die Verantwortung fürs Radio tragen. Es ist, glaube ich, aber dann doch eher ein Zufall. Die Dinge haben sich weiterentwickelt. Einfach so weiter machen wie früher, ging eben nicht mehr und Papst Franziskus hat den Schluss daraus gezogen.
Bei seiner Gründung damals ist der Sender dem Orden nicht so sehr deswegen anvertraut worden, weil die Jesuiten besonders gute Journalisten waren, sondern, als der Radiosender gegründet wurde, war das eine Frage der Physik, also der Technik. Man brauchte Physiker, die mit den riesigen Spulen umgehen konnten und Mittelwelle und Langwelle und so weiter kannten, und die hat damals Papst Pius XI. im Jesuitenorden gefunden. Deshalb hat er das Projekt dem Orden das anvertraut und daraus ist dann Radio Vatikan gewachsen.
Die Jesuiten haben dann im Laufe der Zeit immer wieder wichtige Funktionsstellen besetzt, sie haben durchgehend den Generaldirektor gestellt und zeitlang den technischen Direktor. Immer wieder stellten die Jesuiten auch Leiter von Sprachredaktion, immer wieder auch Leiter von anderen Funktionsteilen des Radios… Aber irgendwann wird der Radiosender halt so groß, dass man sich fragen muss, geht das eigentlich noch? Kann man einem Orden das anvertrauen, oder muss man das nicht einfach breiter streuen? Und so ist heute, wie ich finde auch zurecht, die Leitung des Radios in der Hand von Profis.
Das kann natürlich auch wieder ein Jesuit sein. Aber die Frage ist so eben nicht, ob der Kandidat ein Jesuit oder nicht, um beispielsweise Leiter eines Programms zu sein, sondern die Frage ist, kann der oder die das? Und das ist ein Schritt in Richtung Professionalisierung und Modernisierung. Es hat natürlich auch den Effekt, dass nicht mehr so viele Jesuiten beim Radio sind, und das hat natürlich auch den Effekt, dass der Jesuitenorden sich fragt, was genau ist jetzt unsere Funktion im Radio, warum sollen wir uns da engagieren? Aber das sind Dinge, die sich sicherlich ausruckeln werden und ich glaube, der Orden, zu dem ich ja auch gehöre, tut gut daran, sich weiter zu engagieren.
Radio Vatikan: Wie kommt es zur großangelegten Reform der gesamten Vatikanmedien und was ist die Absicht dahinter?
P. Hagenkord: Medien gehören ja zu der Sparte von Gesellschaft, die sich radikal verändert hat in den letzten 30 Jahren sage ich mal. Zunächst mit der Erfindung des Internets und dann immer wieder, quasi im Monatstakt, kommt ja irgendwie was Neues hinzu. Aber auch die grundlegende Art und Weise, wie Radio gemacht wird, wie Journalismus gemacht wird, wie Audio, Netz, Video und so weiter gemacht wird, hat sich geändert. Da kann man nicht mehr die Strukturen halten, wie sie früher einmal waren. Also, ich sende auf Kurz- und Langwelle und da wird mir schon irgendjemand zuhören. So funktioniert das nicht mehr.
Es gibt über die Jahre hinweg bei Radio Vatikan immer wieder die Versuche, sich anzupassen. Beispielsweise in der deutschsprachigen Redaktion, da ist der Klassiker ja der Newsletter, der relativ früh eingeführt wurde. Andere Redaktionen haben sich da mit dem Internet sehr viel schwerer getan. Die Reform versucht darauf auch eine Antwort zu geben, zu sagen: Schauen wir uns doch mal genau an, was sind die Mediennutzungsgewohnheiten, oder besser die sich ändernden Nutzungsgewohnheiten? Wie kann man darauf reagieren, was brauchen wir für Strukturen, wie müssen wir anders zusammen arbeiten? Das ist das eine.
Auf der anderen Seite kostet das unheimlich viel Geld, und da stellt sich die Frage, wie kann man ein Maximum erreichen, wie kann man dafür sorgen, dass das, was da gemacht wird, auch wirklich tatsächlich zum Nutzen der Hörerinnen und Hörer oder der Userinnen und User ist, und wie kann der Vatikan sicherstellen, dass das alles noch zu rechtfertigen ist? Das muss ab und zu einmal reformiert werden, eben weil die Nutzungsgewohnheiten sich radikal geändert haben. Und die Reform der Medien des Vatikan ist der Versuch einer Antwort darauf. Allerdings befürchte ich gerade weil sich die Nutzungsgewohnheiten ständig weiterentwickeln, dass die Reform auch nicht mit der Reform endet, sondern dass sich die Medien auch in Zukunft mittel- und langfristig immer wieder neu anpassen müssen.
Radio Vatikan: Wo liegen die Herausforderungen, greifbare Schwierigkeiten in der Reform?
P. Hagenkord: Die liegen zum einen darin, dass Radio Vatikan und die Dinge, die dazu kamen, also beispielsweise das Vatikanfernsehen beziehungsweise die Mediennutzungsgesellschaft, das Internet und so weiter, eine multikulturelle Größe darstellt. Wenn man sich beispielsweise nur eine einzige Sprache ansieht, Englisch: ob das nun Englisch für, sagen wir, Südafrika ist, oder Englisch für Großbritannien, Englisch für Kanada und die USA, Englisch für Indien, Englisch für Afrika, Englisch für Australien - das sind ja nicht nur verschiedene Dialekte, sondern dahinter stecken verschiedene Kulturen, dahinter stecken verschiedene Fragestellungen und Interessen. Das kann man nicht mit einer Antwort, mit einer Sendung, bedienen.
Und dann nimmt man die anderen Sprachen alle dazu, die sind ja ganz verschieden auch von der Nutzungen her. Die einen setzen viel mehr noch auf Radio, weil Radio immer noch das demokratischste alle Medien ist, andere sind mittlerweile fast vollständig im Internet… Es ist nicht so ganz einfach, eine gemeinsame Antwort für alle zu finden.
Und das Zweite ist, dass wir schlicht nicht anders groß geworden sind. Radio Vatikan wird betrieben und gemacht von Leuten, die seit langen Jahren Radio gemacht haben, da kann man nicht sagen, setzt euch jetzt mal in ein Großraumbüro und macht Internet. Das muss man langsam angehen, das muss man lernen, aber das kann man auch lernen und viele lernen es tatsächlich, aber es ist eben auch nicht so ganz einfach.
Dann ist es aber drittens auch eine teure Veranstaltung. Man muss sich genau überlegen, was wollen wir eigentlich erreichen, wo setzen wir die Mittel ein, und was lassen wir auch sein? Und da kommt wieder die Multikulturalität rein, natürlich muss ich mich fragen, setze ich auf die großen Sprachen, und da lautet die Antwort natürlich, dass die ja auch die größte Aufmerksamkeit bekommen, oder setze ich auf die kleinen Sprachen, dann erreiche ich aber kaum Leute. Also, wo gehe ich hin? Wenn ich mich entscheiden würde, sagen wir mal die Anzahl der Sprachen, das große Bündel der Sprachen etwas zu reduzieren, dann habe ich bei jeder Entscheidung dann die Bischofskonferenz vor der Tür stehen, die fragt, warum wir? Unsere Sprache ist doch auch wichtig und so weiter und so weiter…
[ Und das ist nur die Oberfläche! ]
Und das ist nur die Oberfläche! Wenn man dann die rechtlichen Probleme in Betracht zieht, also wer darf eigentlich was verwalten und so weiter, dann wird das richtig kompliziert. Deswegen dauert das auch so lange und es hat durchaus auch einige Rückschläge gegeben. So ganz einfach wird es auch in Zukunft nicht werden.
Radio Vatikan: Was einige vielleicht nicht wissen, Radio Vatikan ist Mitglied in der EBU, der European Broadcast Union. Was bedeutet das?
P. Hagenkord: Die EBU ist die Vereinigung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, das sind die BBC und die ARD genauso wie die öffentlich-rechtlichen Sender der kleineren Staaten Zentral-Ost-Europas oder Spaniens… aber auch die Nordgrenze Afrikas ist dabei! Und auch Radio Vatikan ist Mitglied, allerdings natürlich ein ganz kleines.
Also, wenn man sieht, was für Schlachtschiffe da im Teich unterwegs sind, da kann Radio Vatikan natürlich überhaupt nicht mithalten und wir können auch nicht viel zum Programm beitragen. Der große Vorteil der EBU ist ja, dass man ein Recht auf Austausch hat. Das heißt, wenn die BBC an einem Beitrag dreht, die Bilder auch gleichzeitig von der ARD benutzt werden können. Da gibt es ein Austauschsystem, das auch für Audio gilt, ohne dass man erst großartig verhandeln muss. Da kann RV natürlich nicht mithalten. Was aber beispielsweise Musikrechte angeht, das ist nicht unerheblich, oder Bilder, wenn der Papst irgendetwas macht, dann machen wir das mit der RAI, also mit dem italienischen Fernsehen zusammen, und das ist schon ein großer Beitrag, den Radio Vatikan hier geleistet hat oder den jetzt die Vatikan-Medien leisten.
Wir sind außerdem - und das ist auch interessant - ein internationaler Sender, also ein vielsprachiger Sender, und davon gibt auch nicht so viele in der EBU. Das heißt, wir decken selbst außerhalb von Europa sehr viele Kulturen, Fragen, auch journalistische Fragestellungen ab, und auch die Erfahrungen, die wir haben, die sind durchaus auch interessant für andere. Ich selbst war ja Vertreter von Radio Vatikan in journalistischen Belangen bei der EBU. Und da wurde immer wieder abgefragt, wie macht ihr das, was sind denn die Fragen? Das lässt sich natürlich nicht eins zu eins übersetzen auf die großen Sendeanstalten, aber die Fragen, die wir haben, tauchen dann irgendwann auch bei diesen auf.
Es ist vor allen Dingen ein Geben und Nehmen, das meines Erachtens sogar immer noch zu wenig abgeschöpft wird. Da sind noch sehr viel mehr Erfahrungen innerhalb der EBU, die Radio Vatikan auch nutzen könnte und nutzen sollte.
Radio Vatikan: Was hat dich selbst am meisten an der Arbeit im Radio fasziniert?
P. Hagenkord: Menschen! Menschen treffen. Das ist das Spannende. Das heißt jetzt gar nicht mal irgendwelche wichtigen, tollen oder berühmten Leute, sondern überhaupt Menschen treffen und sich Geschichten erzählen zu lassen. Nachrichtenjournalismus ist das eine, das ist das Tagesgeschäft und das ist wichtig, aber das Interessante daran für den Journalisten, die Journalistin ist dann immer die Frage, was für Geschichten stecken dahinter, wer ist das, was bewegt diese Menschen? Meine Lieblingsfrage im Interview, obwohl ich sie selten auch gesendet habe, war immer: Was haben sie gelernt bei dieser Veranstaltung oder bei diesem Ereignis oder durch das, was hier passiert ist.
Also was passiert mit Menschen, die in Ereignissen drin stecken, die sie vielleicht überrascht haben oder die sie verändert haben oder die eine Situation verändert - und daraus dann eine Sendung zu machen, die vielleicht auch andere Menschen interessiert, das ist das Spannende an Radio. Und, das darf auch gesagt werden, das hat Radio anderen Medien auch voraus, wenn man der Stimme eines Menschen natürlich auch anhören kann, wie er das sieht, was ihn umtreibt und so weiter. Das kann auch das Internet nicht, das kann Fernsehen schon gleich gar nicht, da guckt man viel zu sehr auf die Bilder. Das ist die große Stärke von Radio.
Radio Vatikan: An welche Begebenheiten erinnerst du dich besonders gerne?
P. Hagenkord: Das sind natürlich die Papstreisen. Die beiden Reisen, wo ich mit dabei war, in Kuba zum Beispiel, zuerst mit Benedikt und dann später noch einmal mit Franziskus, das war faszinierend. Ansonsten wäre ich ja nie auf die Idee gekommen, irgendwelche Reportagen Interviews mit den Menschen in Kuba zu machen, und dann unter diesen Umständen, das war toll.
Aber trotzdem muss ich sagen, es ist ein Ereignis oder ein Block von Ereignissen, der alles übertönt und das ist natürlich der Papstwechsel. Also die Wahl von Franziskus, die das beendet hat und der Beginn mit dem Rücktritt oder mit der Rücktrittsankündigung von Benedikt, das war ein Monat, der glaube ich unsere Art und Weise zu arbeiten sehr geprägt hat, aber auch in meiner Wahrnehmung ein ganz wichtiger und ereignisreicher Zeitraum war.
Damit angefangen, dass auf einmal sehr viele Menschen kamen und sagten, hört mal, könnt ihr uns vor der Kamera oder ins Mikro erklären, was hier gerade passiert, also, dass wir zu Erklärern für andere Radio- oder Fernsehsender wurden. Das führte bis dahin, dass wir erklären mussten, was ein Konklave ist und wie das funktioniert, was der Rücktritt kirchenrechtlich bedeutete, das war etwas völlig Neues, auch für uns. Da musste man sich also richtig reingraben, wir waren davon ja auch völlig überrascht worden. Das war ein Monat, der zurückschauend auf meine zehn Jahre in Rom der Monat war, der mich am meisten geprägt hat und der auch am meisten - sagen wir mal - meine Selbstwahrnehmung ausmacht.
(vatican news - cs)
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