Vatikan/D: Als es den ?Kalten Krieg“ mit Nazi-Deutschland gab
Mario Galgano - Vatikanstadt
Seit 20 Jahren steht er als Archivar im Dienst des Heiligen Stuhls: der flämische Historiker Johan Ickx hat nun sein neues Buch über Pius XII. - der von 1939 bis 1958 auf dem Stuhl Petri saß - und die Juden auf Italienisch und Französisch herausgegeben; demnächst wird es auch auf Englisch erhältlich sein. In ?Pius XII. und die Juden“ belegt Ickx die ?Anstrengungen“, die Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., unternommen hatte, um den verfolgten Juden zu helfen, wie der Archivar im Interview mit Radio Vatikan hervorhebt. Vor etwa genau einem Jahr wurde das Archiv des Pontifikats von Pius XII. den Historikern zugänglich gemacht…
?Und nach der Archivöffnung wurden schon viele Schlagzeilen geschrieben. Einige haben von Neuigkeiten gesprochen, aber Vieles stimmte nicht. Ich war sehr verwundert, all diese Scoops zu lesen, denn ich selber war mit dem vorliegenden Buch beschäftigt und der Hauptteil in diesem Buch sind eigentlich die unscheinbaren Geschichten über Juden, die Papst Pius XII. um Hilfe bitten.“
Aus den besonderen und neuen Erkenntnissen, die man aus den neuzugänglichen Quellen zu diesem Pontifikat herauslesen konnte, gehöre die historische Tatsache, dass im März 1943 der ?Kalte Krieg“ zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Dritten Reich begann. Ickx spricht bewusst von einem ?Kalten Krieg“, über den bisher noch kein Historiker gesicherte Erkenntisse hatte:
?Das heißt, die diplomatischen Beziehungen werden gestört, und zwar von den Nazis. Sie wollen nicht mehr mit dem Vatikan verhandeln. Das war bisher nicht bekannt. Das hat der Vatikan auch selber nie bekannt gegeben. Wenn man weiß, dass man in einem ,Kalten Krieg´ mit den Nazis ist – wir bezeichnen ja erst den Konflikt mit dem Sowjetregime als ,Kalten Krieg´ - dann sind auch alle bisherigen Informationen über die Besatzung Italiens in ein anderes Licht zu betrachten.
Das Dokument von 1916
Ein anderes Element, das ich hervorheben will, ist ein Dokument von 1916. Man ist bisher nie darauf gekommen, dass ein Dokument herausgegeben wurde, und zwar vom Staatssekretär Pietro Gasparri (im Amt von 1914 bis 1930, Anm. d. Red.) während des Ersten Weltkriegs. Die Schrift ist gerichtet an die Juden in New York und in diesem Dokument hat der Heilige Stuhl ganz klar erklärt, dass die Juden unsere Brüder seien. Und man solle die Juden so wie alle anderen Völkern behandeln. Dieses Dokument wird von den Juden in New York als eine Enzyklika des damaligen Papstes Benedikt XV. betrachtet und bezeichnet.“
Und das Besondere am Archiv der Sektion für die Beziehungen mit den Staaten des vatikanischen Staatssekretariats sei, dass es neben den Unterteilungen in Ländern und Regionen einen Teil gebe, der die Bezeichnung ?ebrei“, also ?Juden“ vorweist, so Archivar Ickx.
Die Unterabeilung für die Juden im Archiv
?Das hat natürlich einen Grund, weshalb es eine solche besondere Unterteilung extra für die Juden gab, denn 1939 hatte Papst Pius XII. beschlossen, im Staatssekretariat ein Büro einzurichten, das sich nur damit beschäftigen sollte, den Juden in ganz Europa zu helfen, wenn sie Hilferufe an den Papst richten. Wir haben bisher rund 2.800 dieser Bittschriften gefunden. Das entspricht in etwa 4.500 Menschen, denen man direkt geholfen hat oder dies zumindest versucht hat.“
Hilfsangebote
Der Heilige Stuhl habe in den 30er Jahren versucht, jegliche Hilfen anzubieten. Manchmal sei es gelungen, und manchmal sei es auch für den Vatikan nicht möglich gewesen, Hilfe zu leisten, so Ickx.
?Aber das war nicht die Schuld des Heiligen Stuhls oder vom Papst. Die Schuld lag schlicht an der Kriegssituation und der gezielten Verfolgung der Juden durch die Nazis in Deutschland und ihrer Verbündeten Staaten.“
Was den belgischen Historiker Ickx besonders überrascht hat, sei die ?Anschuldigung“ einiger Historiker gegen das Büro des Minutanten Angelo Dell´Acqua (1903-1972). Der aus der Lombardei stammende und vom damaligen Mailänder Kardinal Alfredo Ildefonso Schuster nach Rom gesandte Dell´Acqua sei ein Antisemit gewesen, haben vor einem Jahr einige Wissenschaftler aus den angeblich gefundenen Quellen gefolgert.
?Man hatte da offenbar Beweise in unserem Archiv gefunden, denn der entsprechende Kurienmitarbeiter hatte sich vorsichtig zu der Massenvernichtung geäußert. Aber, am Anfang erschien in Rom das Ganze unglaublich. Auch in Europa selbst, und die Amerikaner waren nicht überzeugt davon, dass es so was geben konnte. Keiner konnte das glauben, dass die Massenvernichtung im Gang war. Dieser Dell´Acqua musste als Diplomat-Minutant solche Informationen für seine Vorgesetzten auswerten. Er tat es eben mit großer Vorsicht. Einige Historiker haben da jetzt einige Äußerungen von ihm genommen, um dann eben zu behaupten, er sei schlicht ein Antisemit gewesen. Er habe geschrieben, dass man den Juden nicht glauben könne. Doch diese Bemerkungen waren ja auf spezifische Anfragen gerichtet.“
Man könne also nicht aus Einzelbemerkungen allgemeine Rückschlüsse ziehen, so Ickx. Und genau dieser Prälat Dell´Acqua war schließlich jener, der damit beauftragt war, sich 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche – und das in ganzen sechs Jahren – für die Hilfe an den Juden zu kümmern. Deshalb mache es keinen Sinn, ihn als Antisemiten zu bezeichnen.
?Helfer der Juden“
Auch der deutsche Historiker und Experte für Kirchengeschichte Michael Feldkamp, der am Donnerstagabend just einen Online-Vortrag zu ?Pius XII. und die Juden“ hielt, sieht das Wirken Pius XII. als ?Helfer der Juden“. Die Öffnung der Archive vor einem Jahr zu diesem Pontifikat im Vatikan hätte aber einige Probleme bei der historischen Aufarbeitung zutage gebracht:
?Wovor ich schon vorher gewarnt habe, und eine Erfahrung, die ich schon mit anderen Archivalien oder Archivquellen im Vatikan gemacht habe, wie zum Beispiel mit denen, die in den 80er Jahren freigegeben wurden, dass die Historiker sich auf diese Unterlagen stürzen und dann irgendetwas Schönes finden und daraus dann am Besten gleich eine Theorie machen. Das ist das Gefährliche, diesen Einzelfund überzubewerten.“
Papst Franziskus hatte entschieden, die Archive aus dem Pontifikat Pius XII. für die Forschung am 2. März 2020 zu öffnen. Wegen Corona musste der Zugang für die Historiker kurze Zeit darauf wieder geschlossen werden. Für den Historiker Feldkamp habe aber diese Erfahrung gezeigt, wie voreingenommen einige ?Kollegen“ gearbeitet hätten.
(vatican news)
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